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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Hol den

Vorschlag-

hammer!



Romeo und Julia am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Krafft Angerer

Bewertung:    



Nicht dass ein Vorschlaghammer etwas Schlechtes wäre. Manchmal geht es nicht ohne ihn, und gerade in Dresden, wo die die Drei-Tage-Jubel-Feier der dt. Einheitlichkeit umrahmenden Nestler-Steine ein unschönes Symbol für die hiesigen Denkstrukturen bilden, bräuchte man ihn öfter als anderswo.

Dass die Romeo und Julia-Inszenierung mit ihrer furiosen Schlussszene, in der zu der in der Überschrift zitierten Musik von den „Helden“ das frisch errichtete Denkmal der vorbehaltlosen Liebe grandios zerschlagen wird, jedem bösmeinenden oder auch nur denkfaulen Kritikus eine Steilvorlage liefert, kann nur auf den ersten Blick verwundern. Wer diese annimmt, läuft ins Abseits und entlarvt sich als gewiefter Bohrer des dünnen Bretts (bin mal gespannt, wem aus der hiesigen Beschreiberschaft dies unterläuft).

Es lohnt nämlich schon, sich mit dem Ansatz des Stückes intensiv auseinanderzusetzen, nicht nur wegen des Mutes, den die Bürgerbühne hier aufbringt. Wer Großes will, kann auch groß scheitern, und der Shakespeare-Text lädt fast durchgängig zur wohlmeinender Deklamation im Namen des Guten ein. Dieser Falle entging die Inszenierung zumeist, wenn auch nicht immer.

Und natürlich kann man ein solches mit Pathos überladenes Drama wie jenes der beiden Königskinder, die aus familiären Gründen nicht zueinander kommen konnten, nicht ganz ohne selbiges in die heutige Coolness übertragen. Aber im Prinzip gelang auch das einigermaßen gut, auch wenn einiges dann doch mit dem bewusstseinsstarren Zeigefinger vorgeführt wurde.

Inwieweit die Storyline des alten Meisters aus Stratford-upon-Avon zum Allgemeingut auch östlicher Kulturkreise gehört, kann ich nicht beurteilen, man verwechselt ja hierzulande gern Europamerika mit der Welt in Gänze. Wenn dem nicht so sein sollte, hat man es als arabischer Zuschauer schwer, der Handlung zu folgen, zu viel wird vorausgesetzt und zu viel nur angedeutet.

Es stehen sich also zwei Gruppen gegenüber, „Halbstarke“ hieß das mal, das kann man auch auf jedem Scheunevorplatz oder Kornmarkt sehen heutzutage. Dass es die Montagues und Capulets sind, ist eher am Rande interessant, es geht ums Grundsätzliche. Eine von diesen verliebt sich in einen von jenen, und das geht gar nicht. (Aus eher technischen Gründen, wenn man das so nennen will, wird die Romeo-Fraktion von den Flüchtlingen gespielt. Ja, das ist nun mal so, die Zahlen sprechen für sich und erklären – nicht entschuldigen – sicher auch einen Teil der Ängste der hiesigen Jungmännerschaft, die Allah mit kleinem Hirn und dicken Bäuchen gestraft hat, auf dem Heiratsmarkt zu kurz zu kommen angesichts der Vielzahl gut gebauter Mitbewerber südlichen Teints.)

Die Klärung dieses Sachverhalts führt zu zwei Toten, unentschieden zwar, aber für den Ausgleich sorgte Romeo, der folglich in Abwesenheit des Feldes verwiesen wird. Ehe noch mehr anbrennt, soll Julia zwangsverheiratet werden – klingt komisch, ist aber auch bei den Katholiken so -, was sie in den organisierten Scheintod führt. Leider vergaß man Herrn Romeo einzubinden, der das Ganze dann für bare Münze nimmt, sich einen großen Schluck aus der Gift-Pulle gönnt, seiner Braut nichts übrig lässt (Hah! Macho!) und jene zum Schusswaffen-Einsatz zwingt, gegen sich selbst wohlgemerkt. (Die Ordnungsmacht in Form des regierenden Prinzen von Verona wird hier übrigens durch eine Arab Queen gegeben, warum auch nicht.)

Angesichts des tragischen 2:2 in der Verlängerung geht es nicht ins Elfmeterschießen, sondern es wird abgebrochen, die Beteiligten haben sich fortan alle lieb. Shakespeare war da wohl doch ein wenig naiv.

Man kann die Handlung erkennen, keine Frage, nur vereinfacht es die Sache sehr, das Stück schon einmal klassisch gesehen zu haben. Auch, weil die Video-Einspielungen einiger Interviews zwar den Horizont weiten, aber mit dem Geschehen auf der Bühne nur bedingt zu tun haben. Am Anfang wirken diese – in den Fragen nach dem/der persönlichen Romeo/Julia - ein wenig bemüht und sogar peinlich, gewinnen aber im Laufe des Abends an Tiefe. Insbesondere die Statements des Islamwissenschaftlers Ali Ghandour sind spannend (und im Programmheft in voller Länge nachlesbar).

Theatral ist das alles keine Offenbarung, wie auch. An der Dramatik z.B. der doppelten Sterbeszene haben sich auch schon Profi-Schauspieler verhoben, und immerhin die Kampfszenen wirkten (und waren sicher) gut einstudiert. Ansonsten erschien der Text dann doch sehr aufgesagt, die arabische Sprache erzeugte Wirkung vor allem in den Wut-Szenen, zwang aber zum ständigen Starren auf die Obertitel, und mehr als „engagiert“ mag ich keiner der DarstellerInnen bescheinigen. Doch auf schauspielerische Brillanz kam es hier auch nicht an.

Das Stück ist wertvoll, ohne Frage. Es passt nach hier, es tut not, es wird sein (junges) Publikum sicher in Massen finden, und „gut gemeint“ wäre eine sehr unzureichende Beschreibung. Der erwähnte Vorschlaghammer zum Schluss lässt vermuten, daß man hinter der Bühne das Problem der Heroisierung und Denkmalsetzung durchaus erkannt hatte. Ein bisschen von der Frische und Spielfreude dieser Schlussszene mehr in den mitunter doch recht langen 80 Minuten vorher, und es hätte deutlich weniger zu nörgeln gegeben.

Und gerne noch hervorgehoben: Die einfühlsame musikalische Begleitung durch sechs MusikerInnen beidseits der Bühne (verantwortlich: Michael Emanuel Bauer) und das schlichte, aber aussagestarke Bühnenbild von Markus Pötter.




Romeo und Julia am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Krafft Angerer

Sandro Zimmermann - 2. Oktober 2016
ID 9593
ROMEO UND JULIA (Kleines Haus, 01.10.2016)
Regie: Miriam Tscholl
Text: Martin Heckmanns
Übersetzung ins Arabische: Günther Orth
Bühne: Markus Pötter
Kostüme: Belén Montoliú Garcia
Musik: Michael Emanuel Bauer
Video: Wanja Saatkamp
Licht: Olaf Rumberg
Kampfchoreografie: Axel Hambach
Dramaturgie: Paula Oevermann
Besetzung:
Die Montagues ... Rouni Mustafa (Romeo), Ibrahim Qadi (Mercution), Ahmad Diab (Benvolio) und Ali Hasan (Claudio)
Die Capulets ... Tabea Günther (Julia), Anik Urich (Freundin), Lisa Kanthack (Mutter) und Dominik Lösche (Vater)
Tybalt ... David Fischer
Emilia ... Nathaly Wuttke
Gregory ... Julius Zimmermann
Sampson ... Jonas Bartel
Prinz ... Baian Aljeratly
Musiker ... Felix Demeyere (Schlagzeug), Johann Schiel (Cello), Yein Song (Piano), Isabelle Thiele (Querflöte) und Khaled Zaghnoun (Percussion)Gesang ... Leen Zalkha
Premiere am Staatsschauspiel Dresden: 1. Oktober 2016
Weitere Termine: 2., 6., 31. 10. / 3., 15., 25. 11. / 1. 12. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de


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