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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Die Mini-Playback-Show der großen Gefühle



Matthias Buss und Cathleen Baumann in Miss Sara Sampson am Staatsschauspiel Dresden - Foto (C) Matthias Horn

Bewertung:    



Die Bühne zeigt eine Dauercamper-Idylle, drei Wohnanhänger unter hochstämmigen Fichten, etwas klappbares Gestühl… Ansonsten reichlich Platz um sich auszutoben. Den wird es auch brauchen.

Vater Sampson (Ben Daniel Jöhnk) mit Diener Waitwell (Matthias Buss) ist auf der Suche nach seiner Tochter Sara, die er mit der Ablehnung des erwählten Bräutigams in die Flucht trieb und seine Härte nun bitter bereut. Dem Diener hat man eine seltsame Kostümierung verpasst, die mit der Lessingschen Sprache nicht harmonieren will. Doch das passt bald ins Bild.

Aus dem Wohnwagen zur Linken erscheint morgens Mellefont, nach klassischer Lesart der Verführer. Christian Clauß turnt etwas aus seinem reichen Repertoire vor (er darf das an diesem Abend noch häufig tun) und trägt dann eine Selbstanklage bezüglich Mädchenverderbung vor, Lessing hat ihn mit Skrupeln ausgestattet. Dann der Auftritt jenes Mädchens, Miss Sara Sampson, die sich angesichts der neunten Woche in diesem trostlosen Versteck allerdings ungnädig und ungeduldig zeigt und von ihrem nächtlichen Albtraum mit bösem Ende berichtet.

Da war doch was mit Heiraten? Doch Mellefont hat zuvor noch etwas Geschäftliches zu erledigen, eine Verheiratung aus wirtschaftlichen Gründen. Mit seinem Charme beruhigt er Sara, ihr Vater sieht derweil aus dem mittleren Wohnwagen zu. Der Originaltext wird dabei mit neuzeitlichem Jargon aus der Welt der scripted reality versetzt, was anfangs amüsiert, aber ziemlich schnell nervt. Immerhin darf Sara am Ende der Szene ihre Perücke abnehmen.

Mit dem Auftauchen der Marwood, Mellefonts ehemaliger Geliebter, schließt sich das Dreieck. Cathleen Baumann kommt als hysterische Zicke, was ihr zweifellos bestens gelingt, aber dem Dreieck etwas Seitenspannung nimmt. Sie hat auch etwas mitgebracht, das gemeinsame Töchterlein Arabella, das ebenfalls Matthias Buss spielt und das von der Regie fortan vor allem eingesetzt wird, um jeden Anflug von Tragik oder auch nur Ernsthaftigkeit abzuwürgen.

Der erste Versuch der Lady, den Kindsvater zurückzuerobern, wird zwar reichlich unflätig abgeschmettert, aber mit Dosenbier und Fettbemmen gelingt dann doch die zeitweilige Bekehrung. Da diese jedoch nicht lange vorhält, wird die Marwood zur Medea und liefert sich eine wüste Prügelei mit dem Begehrten. Auch hier sieht Saras Vater zu, mit größtem Vergnügen diesmal, doch nach beidseitiger Erschöpfung müssen die großen Gefühle ran, die hier in Schlager-Englisch vorzutragen sind.

Das Balg läuft derweil über die Bühne und schreit unentwegt „Ich liebe Lessing!“ Man ahnt, dass die Liebe unerfüllt bleiben wird in dieser Inszenierung.

Die Erzählung der Handlung kann man hier getrost abbrechen, wer das Stück nicht kennt, dem sei zumindest zusammengefasst, dass der Vater pauschal alles verzeiht und das junge Paar in Freude aufnehmen will, doch Sara zuvor am Marwoodschen Gift stirbt, die daraufhin mit Tochter flieht. Der hin- und hergerissene Mellefont spielt, als es ernst wird, keine aktive Rolle mehr.

In einer klassischen Inszenierung geht das nicht ohne Tränenströme im Publikum ab, zu ergreifend hat Lessing die Handlung geformt und die Personen an sich und an den anderen leiden lassen. Doch hier bleiben alle Augen trocken.

Auch wenn das durch den Regisseur Sebastian Kreyer beabsichtigt war: Die Art, wie er das erzielt, gereicht ihm nicht zur Ehre, ganz abgesehen davon, ob das wirklich ein sinnvolles Ziel ist. Die Inszenierung hat eine so große Distanz zum Stoff, dass man sich fragt, warum ausgerechnet dieses Stück ausgewählt wurde für die Bühnenparty mit Musik.

Diese Distanz zeigt sich in fast allem, in den Textergänzungen durch Neusprech, die nur selten wirklich gelungen sind, in der Mimik, den Gesten, den Kostümen, der beliebigen Musik… Nur der Bühne (Thomas Dreißigacker) kann man bescheinigen, dass sie auch ernsthafteren Ansätzen gerecht geworden wäre.

Das Grundproblem: Nur einer der vier Hauptfiguren (Sara) wird eine Chance gegeben, sich auf der Bühne zu entwickeln, die anderen bleiben zumeist Karikaturen ihrer Figuren. Taucht einmal etwas Dramatik auf, wird sie mit dem nächsten Klamauk wieder abgeschossen. Leider glaubt man den handelnden Personen dann auch die mit großer Ernsthaftigkeit vorgetragenen Schlüsseltexte, etwa den Monolog der Marwood über das Sich-Verstellen-Müssen kaum noch, man wartet förmlich, dass die nächste Spaßkanone abgefeuert wird.

Ganz am Ende blitzt in zwei Szenen (dem Abgang der Marwood mit Wohnwagen und dem einsam ballspielenden Vater) auf, was aus dem Stoff auch auf diese Art herauszuholen wäre. Doch das bleiben Einzelmomente.

Im Programmheft war zu lesen, dass Regisseur Kreyer stets ohne fertiges Konzept zur Probe komme und mit selbständigen Schauspielern arbeiten wolle, die seinen Hang zum Trash und seinen Humor teilen würden. Aber wenn die Ideen wirklich von den Schauspielern kamen, es fehlte zumindest jemand mit dem Gefühl für das richtige Maß an Albernheiten.

Im Einzelnen: Ben Daniel Jöhnk hatte seinem Sampson ein hanseatisches „s-t“ zu verpassen und öfter mit Plattdeutsch aus der Rolle zu fallen, was auch Matthias Buss so erging, der zudem noch mit seinen Kostümen (auch als Kind) gestraft war. So ließ sich die Tiefe, die zumindest der Vater verdient hätte, selten erzeugen.
Christian Clauß musste neben dem gewohnt großen und immer wieder imponierenden Körpereinsatz seinen Mellefont meist prollig daherkommen lassen, was ohne Frage amüsant war, vor allem in den Vater-Tochter-Szenen. Die innere Zerrissenheit des Vielgeliebten und Entscheidungsschwachen konnte so aber nur im Ansatz hervortreten.

Cathleen Baumann ließ sich auch vom Regieansatz nicht daran hindern, ihrer Marwood neben den komischen Seiten auch Tragik zu verleihen. Das war sehenswert, neben der Sara rettete sie an diesem Abend, was zu retten war.

Die Titelrolle war für Ines Marie Westernströer erneut eine ideale Aufgabe, und ihr half die Regie – außer vier eigenartigen Perücken – zum Glück auch relativ wenig Albernheiten über, vielleicht wehrte sie sich auch tapfer. Nicht nur im letzten großen Monolog durfte sie deshalb „richtig Theater spielen“, ein Privileg, das sie auch reichlich nutzte.

Gut, Sebastian Kreyer hat das gemacht, was man von ihm erwarten durfte. Ob es an diesem Farbton in Dresden bislang gefehlt hat, wage ich allerdings zu bezweifeln. Kriegenburgs Was ihr wollt zum Beispiel schlägt in dieselbe Kerbe, dennoch ist das Stück hinter dem kunterbunten Vorhang noch zu erkennen. Bei Kreyer waren die komischen Farben so dick aufgetragen, dass sie alles andere überdeckten.



Ines Maria Westernströer und Christian Clauß in Miss Sara Sampson am Staatsschauspiel Dresden - Foto (C) Matthias Horn

Sandro Zimmermann - 3. November 2014
ID 8221
MISS SARA SAMPSON (Kleines Haus 1, 01.11.2014)
Regie: Sebastian Kreyer
Bühne: Thomas Dreißigacker
Kostüm: Maria Roers
Dramaturgie: Beret Evensen
Licht: Björn Gerum
Besetzung:
Sir William Sampson ... Ben Daniel Jöhnk
Miss Sara, Sir William Sampsons Tochter ... Ines Marie Westernströer
Mellefont ... Christian Clauß
Marwood, Mellefonts ehemalige Geliebte ... Cathleen Baumann
Arabella, ein Kind, Marwoods Tochter / Waitwell, Diener des Sampson ... Matthias Buss
Premiere war am 1. November 2014
Weitere Termine: 9., 15. 11. / 5., 26. 12. 2014 / 4. 1. 2015


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de


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