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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Und am Ende

schuf Gott das

Happy-End



Hiob am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Matthias Horn

Bewertung:    



Jahwe hat – wen wundert’s – jiddischen Humor. Ausgerechnet seinem treuesten Knecht Mendel Singer, der als Tora-Lehrer nun wirklich im Sinne des Herrn wirkt und sich auch sonst nichts zu Schulden kommen lässt im Glauben wie im Leben, gibt er in seinem Remake des Alten Testaments, das nunmehr im Galizien des beginnenden 20. Jahrhunderts und später in New York spielt, die Rolle des Hiob. Da kann man schon vom Glauben abfallen, wenn der eine Sohn zu den Kosaken geht, der andere rübermacht über den großen Teich, die Tochter eine Art Lily Marleen für Kosaken wird und dann das Nesthäkchen auch noch behindert ist, von der nörgligen Gemahlin ganz zu schweigen. Oder?

Andere Zeiten, andere Sitten: Heute reicht das gerade mal für das Drehbuch einer Vorabendserie im Unterschichtenfernsehen, aber im Stedele oder besser Derfele vor gut hundert Jahren in der heutigen Ost-Ukraine musste alles, was geschah, einen tieferen resp. höheren Sinn haben. Und da war man als Strenggläubiger schon pissed ob der Tatsache, dass das eigene Wohlverhalten so gar keine Dividende abwarf. Dann hätte man es ja auch lassen können. Es gibt zwar dann doch ein Happy-End, aber im Gegensatz zur biblischen Erzählung bescheiden im Rahmen des Noch-Möglichen, Wiederauferstehungen sind nicht im Programm, auch der liebe Gott muss sparen.

Gut, so kann nur ein Heide schreiben, dem der Zugang zu diesen Dingen fehlt und der lieber weiß als glaubt. Im engen Gehege der Religion muss sich da eine heftige Binnendramatik entwickeln. Und das tut sie auch in der Dresdner Fassung der Roman-Bearbeitung von Koen Tachelet, dem belgischen Münchner Kammerspiel-Dramaturgen, die auch schon wieder fast zehn Jahre auf dem Buckel hat, aber vom in Ankara geborenen Hausregisseur des Maxim-Gorki-Theaters Berlin Nurkan Erpulat stilsicher aktualisiert wird. Belgien-Bayern-Türkei-Russland-Preußen: Die Welt zu Gast in Dresden, da braucht es doch gar keine Fußball-EM, zumal das Stadion eh zu klein ist, liebe Genossinnenungenossen.

Auch wenn die Handlung nach einem furiosen Beginn dann erstmal schwer in die Gänge kommt: Die zahlreichen schauspielerischen Delikatessen helfen über die Längen hinweg, zumal dem Stück mit Daniel Kahn ein Bühnenmusiker und Darsteller geschenkt ist, über den man nur staunen kann ob seines komödiantischen Talents. Als Musiker ist er mit seinen The Painted Bird ohnehin eine feste Größe, war auch schon zur Jüdischen Woche in Dresden zu Gast. Als Schauspieler in der Rolle des Menuchim ist er eine Entdeckung. Zumal er sich gegen Größen der Dresdner Theaterwelt behaupten musste, zuallererst Christine Hoppe, die ihrer Deborah die gewohnte klare Strenge gab, aber auch einige Ausbrüche gönnte. Nur im regisseursseitig angeordneten Tanztheater fremdelte sie sichtlich.

Ganz im Gegensatz zu Jannik Hinsch, der als Jonas und Mac keiner besonderen Tiefe bedurfte, aber dies mit kraftvollem Spiel ausglich und eben auch tänzerisch bella Figura machte. Chef im Ring dabei bleibt jedoch Christian Clauß als Schemarjah, später schlicht Sam genannt. Noch überzeugender geriet aber sein großer Monolog in der Stückmitte, als aus der Geschichte vom Auszug des auserwählten Volkes aus Ägypten plötzlich eine sehr heutige Schilderung einer Flucht-Odyssee über das Mittelmeer wurde, für mich der Höhepunkt des Stücks.

Lucy Emons gab die Tochter Mirjam: Spielfreudig, präsent, aufregend, glaubwürdig. Eine feine Leistung. Und der andere Neuling im Ensemble – wenn man nach der Hälfte der Spielzeit noch davon sprechen will – Mathis Reinhardt war als Mendel „Hiob“ Singer ganz und gar ebenbürtig, mit beachtlicher Stimmgewalt, und dankenswerterweise ohne den Ehrgeiz, seine Rolle zu sehr in den Mittelpunkt der Handlung zu stellen. Gerade dies machte die Ensembleleistung am Ende rund.

Nicht zu vergessen sind die unaufdringlich-stimmigen Kostüme von Irène Favre de Lucascaz und die Bühne von Alissa Kolbusch, die von trostlos-öde bis funkelnd-hell alles zu bieten hatte und es desöfteren sehr schön und sehr traurig regnen ließ. Ein am Ende wirklich großartiger Abend, dem man in der ersten Euphorie gewünscht hätte, ein Vierteljahr früher gestartet zu sein. Dann wäre Dresden vielleicht auch mal wieder auf einer Vorschlagsliste für ein Theatertreffen erschienen, ob nun für das reale oder das virtuelle. Jaja, kleiner hammers heute nicht.



Hiob am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Matthias Horn

Sandro Zimmermann - 19. Februar 2017
ID 9854
HIOB (Kleines Haus, 18.02.2017)
Regie: Nurkan Erpulat
Bühne: Alissa Kolbusch
Kostüm: Irène Favre de Lucascaz
Musik: Daniel Kahn
Licht: Peter Lorenz
Dramaturgie: Michael Isenberg
Besetzung:
Mendel Singer ... Mathis Reinhardt
Deborah ... Christine Hoppe
Jonas / Kosak / Mac ... Jannik Hinsch
Schemarjah / Arzt / Kapturak / Bauer ... Christian Clauß
Mirjam ... Lucie Emons
Menuchim  / Rabbi ... Daniel Kahn
Premiere am Staatsschauspiel Dresden: 18. Februar 2017
Weitere Termine: 21., 28.02. / 08, 14., 29.03.2017


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de


Post an Sandro Zimmermann

teichelmauke.me



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