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Premierenkritik

Du sollst

im Theater

nicht beichten



Die 10 Gebote am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Sebastian Hoppe

Bewertung:    



Irgendwann, so hoffe ich, ist auch die letzte gruselige Geschichte aus Dresden und Umgebungen von den Opfern selbst (!) auf der Bühne (!) ganz authentisch (!) erzählt, und die Bürgerbühne kann das Niveau der Nachmittags-Shows des Enthüllungsfernsehens wieder verlassen. Um vielleicht dann endlich zu merken, dass das ungeschützte Zurschaustellen von Betroffenen sicher spektakulär, aber noch sicherer unanständig ist. Schon beim Weg ins Leben (okay, war nicht Bürgerbühne, aber das Prinzip war dasselbe) gab es Tränen auf der Bühne, und auch hier wurde eine Akteurin angesichts des erlittenen Schicksals beim Bericht darüber von ihren Gefühlen übermannt. Das Ganze gab es natürlich auch als Großaufnahme auf der Videowand, wennschon, dennschon. So langsam verliere ich den Respekt vor der doch eigentlich großartigen Institution des Bürgertheaters.

Hinzu kommt noch, dass sich die Verbindung zum eigentlichen Stück nur theoretisch herstellen ließ. Klar, zu (fast) jedem Gebot gab es was aus dem richtigen Leben, nur leider völlig unreflektiert durch die umschließenden Szenen und oftmals sprachlich weitschweifig und auf sehr bescheidenem Niveau. Hier wäre der Dramaturg (David Benjamin Brückel) gefragt gewesen.

Schon der Einstieg ins Stück á la „Jetzt spricht die Schwester des Terroristen“ ließ nichts Gutes erahnen: In epischer Breite wurde das unglückliche Schicksal einer Familie erzählt, in der ein Sohn seine Bestimmung im Islam zu finden glaubt und dafür nach Syrien geht, später jedoch zurückkehrt und unter aktiver Teilnahme der Erregungspresse versucht ins hiesige Leben zurückzufinden. Sicher interessant und aller Anteilnahme wert, aber muss das auf die Bühne (zumal die Erzählerin noch minderjährig ist)? Auch die folgenden Beichten wären bei jedem Therapeuten besser aufgehoben gewesen als vor den Augen und Ohren von siebenhundert mehr oder weniger peinlich Berührten, und das Schlimmste daran ist: Die ErzählerInnen müssen das jetzt zu jeder Vorstellung wiederholen.

Aber auch ohne die misslungene Verbindung mit der Bürgerbühnen-Methodik war es schwierig, dem Abend viel abzugewinnen. Immerhin fünf Schauspiel-Profis mühten sich redlich, und die raffinierte Bühne (Irina Schicketanz), eine Art drehbare Puppenstube, lieferte gute Vorlagen. Live-Musik gab es auch (Vivan Bhatti), die war selbstverständlich schön, und manchmal half sie auch der Handlung. Trotzdem: Die Umsetzung des preisgekrönten Meisterwerks von Krzysztof Kieslowski [Dekalog], einer zehnteiligen Fernsehserie aus den späten Achtzigern, in eine bühnenverständliche Fassung gelang nur teilweise, eher selten gab es eine funktionierende Idee dafür, oftmals wurde das dann irgendwie nachgespielt.

Vielleicht - nein, sicherlich - ist es auch ein Unterschied, ob Die 10 Gebote im katholisch-sozialistischen Polen kurz vor der Zeitenwende oder im offiziell protestantischen, aber in der Realität doch eher konsumgläubigen Sachsen von heute interpretiert werden. Da stellen sich dann doch einige Dinge anders dar, zumal ein paar der hehren Vorgaben doch recht weltfremd wirken, wenn nicht gar wirtschaftsfeindlich.

Aber nochmal zurück zur Inszenierung: Die bei Nuran David Calis [vgl. Die Jüdin von Toledo, 2014] übliche Visualisierung hatte hier durchaus Sinn, zumal die auf der Vorderbühne aufgebauten zwei Tische die Hälfte der Bürgerbühnler und Musiker mit dem Rücken zum Publikum sitzen ließen. Über deren Sinn wiederum lässt sich trefflich streiten – vielleicht sollten sie eine Art Diskurs-Atmosphäre erzeugen. Statt fand dort allerdings kaum etwas, eher wirkten sie wie die Auswechselbank der Theatermannschaft.

Ein Fernsehfilm ist nicht Theater, und Theater ist – zum Glück – kein Fernsehen. Manchmal lässt sich das Eine in das Andere gut überführen (wie bei Szenen einer Ehe hier am Kleinen Haus oder Die Firma dankt neulich in der ARD), manchmal aber auch nicht. Vielleicht besonders dann nicht, wenn man einem ohnehin schon konplexen Stoff noch anderthalb Ebenen draufpacken will. Reality TV ist schon schwer erträglich, Reality Theatre ist erst recht kein Format, das man (besser ich) sehen will.

Die letzte Szene übrigens tanzte im Wortsinne kräftig aus dem Rahmen. Da kam auf einmal so etwas wie Spielfreude auf, und die slapstickhafte Überhöhung samt mitreißender Musik riss das Publikum wenn schon nicht aus den Sitzen, dann doch immerhin aus dem Schlaf. Da war es dann auch nicht so wichtig, daß der Inhalt leicht verloren ging. Eine kleine theatrale Sternschnuppe zum Schluss, die beweist, daß noch nicht alles verloren ist im staatlichen Schauspiel zu Dresden.



Die 10 Gebote am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Sebastian Hoppe

Sandro Zimmermann - 17. März 2018
ID 10590
DIE 10 GEBOTE (Schauspielhaus, 16.03.2018)
nach Dekalog von Krzysztof Kieślowski und Krzysztof Piesiewicz aus dem Polnischen von Beata Prochowska für die Bühne bearbeitet von Nuran ­David Calis und David Benjamin Brückel

Regie: Nuran David Calis
Bühne: Irina Schicketanz
Kostüme: Geraldine Arnold
Musik: Vivan Bhatti
Dramaturgie: David Benjamin Brückel
Licht: Andreas Barkleit
Mit: Ismail Deniz, Holger Hübner, Marie Jordan, Anna-Katharina Muck und Oliver Simon sowie Jessica Behr, Gudrun Kleinbeckes, Bernd Kunath, Eva Müller, Mirko Näger-Guckeisen, Evelin Pallas, Cora Spalek und Ruth Marie Wendt als auch Therese Bendjus, Christiane Dumke, Franziska Maywald, Björn Reinemer, Andreas Rudolph und Pina Schubert
Premiere am Staatsschauspiel Dresden: 16. März 2018
Weitere Termine: 18., 31.03. / 19.04.2018
Ein Projekt der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de


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