Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Feuilleton

MOUVOIR/Stephanie Thiersch trifft Herman Diephuis und Kepha Oiro




Alle Jahre wieder lädt die Freihandelszone Köln zum internationalen genreübergreifenden Kulturfestival Globalize:Cologne. Die "International Dance & Theatre Festival Series" stehen dieses Jahr unter dem Motto "Clean Up!" und passen somit prima in die Zeit des Frühjahrsputzes und der ersten zaghaft heller werdenden Abende. MOUVOIR unter Federführung von Stephanie Thiersch hat sich für das diesjährige Programm internationale Künstler ausgeguckt, um Globalisierung einmal unter einem etwas freundlicheren Aspekt dem Volk nahezubringen. Filme und Konzerte runden das Frühjahrsfestival ab, dass sich bei der Eröffnungsveranstaltung zunächst einmal um Tanz dreht. Beruhigende Gewissheit: Wenn MOUVOIR zum Tanz bittet, dann darf man gespannt sein.




Den Anfang macht Herman Diephuis mit dem Stück "Ciao Bella", das er mit fünf Frauen besetzt und gemächlich beginnen lässt. Dass die Darstellerinnen viel mehr Charaktere denn Schaufensterpuppen-Normierungen sind, macht nicht nur die Inszenierung des holländischen Franzosen als solche interessanter, sondern erlaubt auch die Identifikation durch den Zuschauer. Es macht ungemein Spaß, die Figuren dabei zu erleben, wie sie straucheln, sich hingeben, sich frei lachen. Gleichzeitig tun sich Abgründe auf, denen man sich auch als distanzierter Beobachter kaum entziehen kann. Man wird Zeuge davon, wie die sich windenden Körper unter der ihnen übergestülpten Identität leiden, wie fragile Seelen hysterisch entstellt werden.

Es sind Frauen, die ihre Herzen öffnen, nur um dann jegliche Sentimentalität und romantische Gesten der Lächerlichkeit preiszugeben. Frauen, die spielerisch und chamäleonartig die Tonlage wechseln, von ernsthaft zu lächerlich, von lächerlich zu verstörend. Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs, wie es ein Almodóvar schlicht nennen würde.

Der Griff in die musikalische Mottenkiste erweist sich meist als Glücksgriff. Was so scheinbar völlig unkompatible Musikstücke wie etwa der Schwanensee und 80er Disco-Mucke auseinanderzureißen drohen, rettet das Tanzensemble mit Leichtigkeit: Die wiederkehrenden Grimassen der Verfremdung und nicht zuletzt ein guter Schuss Selbstironie halten die verschiedenen Sequenzen zusammen, fungieren als Kitt eines Stücks, das ganz auf die Leistung der Tänzerinnen als Solistinnen aufbaut. Gemeinschaft und Zusammenhalt wird hier und da angedeutet, doch so ganz will kein Gefühl von eingeschworener Clique aufkommen, im Sinne von "We are family, I've got all my sisters with me". Letztlich dreht jeder auf seinem eigenen kleinen Planeten Pirouetten.

"Ciao Bella" - schon der Titel lässt durchklingen, wieviel Biss das Stück hat, dass man mittels Zerrbilder und überhöhter Selbstinszenierung die Konzepte von Schönheit und auch Entertainment aus den Angeln hebt. Konzepte, die viel eher Produkte der Medien sind als natürlich generierte Gegebenheiten.



Kepha Oiro indes bringt aus Nairobi sein Stück "Misunderstood" mit, das er in Zusammenarbeit mit Stephanie Thiersch speziell auf den Abend abgestimmt hat. Trotz seiner relativen Kürze und mittigen Platzierung will das Solo-Stück allerdings weder Pausenfüller noch Missing Link zwischen den beiden deutlich längeren Beiträgen aus Europa sein.
Die in unaufdringliche Figuren umgesetzte Parabel um Sterben und Rituale ist schwerer interpretierbar, dafür aber auch insofern spannender, als sie zwischen Schwerelosigkeit und der Macht der Schwerkraft die Balance zu halten versucht. Es scheint keine ganz so typische ostafrikanische Metapher zu sein, wie der gedachte Raum sich um den Menschen schließt, der sich seines Schicksals nicht erwehren kann. Der Tod ist nicht zwangsläufig ein fremder, abstrakter Feind. Vielmehr trägt er skurrile Züge.




Erdverbunden im wahrsten Sinne des Wortes ist auch Thierschs verblüffend legeres und doch kraftvolles "Under Green Ground", mit dem sie vor fünf Jahren im tanzhaus NRW in Düsseldorf Premiere feierte.
Das Kölner Publikum nimmt die vierköpfige Tanztruppe, allen voran Protagonistin Alexandra Naudet, mit auf einen unsentimentalen, mitunter düsteren Seelentrip. Die Synopse im Beiheft legt gar Ähnlichkeiten zu Lynch-Filmen nahe. Das ist nicht unbedingt ein hermeneutischer Fehlgriff, doch rekurriert das Stück bei aller Schattenpoesie vor allen Dingen noch auf etwas, das einem bereits aus dem ersten Stück bekannt ist: eine subtile Ironie, eine fast farcenhafte Dekonstruktion von Eigenidentität. An Eleganz aber mangelt es der Performance zu keinem Zeitpunkt.

"Under Green Ground" erzählt ebenfalls von Bildern und der Ikonographie der Weiblichkeit, von deren Entdeckung und Grenzen. Während die Musik zwischen Rockattitüde und Disco-Glamour mäandert, scheinen die Tänzer ihren Platz jeweils gefunden zu haben: Je mehr Gemeinschaftscharakter zum Tragen kommt, während das kleine Team die Kulissen auf- und umbaut, umso mehr verstärkt sich auch das Gefühl von zunehmender Isolierung, in die die Solistin im Scheinwerferkegel gezwungen wird.

Der Rasen, der "grüne Grund" also, der wie ein roter Teppich zwischen den Tanzsequenzen ausgerollt wird, erweist sich als nur scheinbar weicher Boden - zu sehr drängen sich Assoziationen auf, die nichts Gutes verheißen. Ins Gras beißen zum Beispiel. Und wenn Naudet sich unter das Gras bettet, ist das wohl auch keine sanfte Ruhe, sondern nur ein Schutzmechanismus angesichts von Entblößung und Verletzlichkeit.

* * *


Alle drei Stücke eint in gewisser Weise der Gedanke, dass unreflektiertes Übernehmen von konstruierten Identitäten, Riten und Masken meist auch eine eher ungewollte Liaison mit Stereotypen ist. Eine Liaison, die nicht selten in brutale Selbstentfremdung mündet. Mit dem Knacks und den Traumata muss man nicht zu leben lernen, wenn man ihre Geburtsstunde zu verhindern weiß. Das vermitteln uns die Choreographen und Tänzer an diesem Abend ohne Überlängen - jedoch nicht als Moralisten, sondern als erschreckend vertraute Alltagsgestalten.


Jaleh Ojan - red. 23. Mai 2010
ID 00000004638
Herman Diephuis „Ciao Bella” (Paris, Frankreich)
Konzept, Choreografie: Herman Diephuis, Interpretation/Creation in Zusammenarbeit mit: Julie Guibert, Claire Haenni, Dalila Khatir, Maud Le Pladec, Catherine Pavet, Licht: Sylvie Mélis, Ton: Alexis Meier KOPRODUKTION: FESTIVAL MONTPELLIER DANSE 2009 | Mit freundlicher Unterstützung des Bureau de la création artistique - Théâtre et Danse | www.hermandiephuis.com

SpecialNight-Guest: Kepha Oiro „Misunderstood“ (Nairobi, Kenia)
Konzept/Choreografie/Tanz: Kepha Oiro | Künstlerische Zusammenarbeit: Stephanie Thiersch | Musik: Nairobi Kinderchor, Metal and Bowls, Salala and Saly Oyugi

MOUVOIR/Stephanie Thiersch „Under green Ground“
Konzept/Choreografie: Stephanie Thiersch, Choreografie/Tanz: Alexandra Naudet |
www.mouvoir.de

Weitere Infos siehe auch: http://www.globalizecologne.de





  Anzeigen:



THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

THEATERTREFFEN

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)