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Festival

Sein oder Nichtsein – oder ist das überhaupt die entscheidende Frage?

HAMLET von Boris Nikitin


Bewertung:    



Der Abend ist keine Performance, kein Theaterstück, das, was man sieht, ist nicht der erste, zweite oder x. Akt eines Stückes namens Hamlet – so weit so gut, die Erwartungshaltung des Publikums unterläuft Performer Julian Meding von Anfang an schon einmal gehörig. Linkisch kommt er auf die Bühne, auf dem Kopf eine Wolfsmaske, die er allerdings sehr bald absetzt. Dennoch überträgt sich in seine Körpersprache auch im weiteren Verlauf der Aufführung etwas leicht Animalisches, Lauerndes. Gleichzeitig fungiert der Körper gewissermaßen als Schutzzone, die der Schauspieler dem Zuschauer aussetzt und in die er sich auch wieder zurückziehen kann. Tänzelnd, immer in Bewegung, misst Meding die schwarze Spielfläche aus, auf der nur ein Stuhl steht. Sein Sprachduktus drückt dagegen von Beginn an reine Arroganz aus. Also nichts, womit sich das geneigte Publikum identifizieren könnte. Friss oder lass es, könnte die Devise lauten. Illusionistisches Theater ist hier nicht zu erwarten. Beeindruckend, dass Julian Meding diesen Duktus, diese Spielhaltung über anderthalb Stunden der Aufführung nicht einmal fallenlässt, nicht einmal im Schlussapplaus.

Boris Nikitins Hamlet-Beitrag eröffnet die diesjährige Ausgabe des Theaterfestivals Impulse, das noch bis Anfang Juli läuft und in dessen Rahmen in Köln, Düsseldorf und Mühlheim an der Ruhr herausragende Produktionen der freien Theaterszene gezeigt werden. U.a. sind noch Milo Rau mit Five Easy Pieces, She She Pop, Gintersdorfer/Klaßen und die Hildesheimer Theatergruppe vorschlag:hammer zu Gast.

Und Hamlet steht und fällt mit dem herausragenden Performer Julian Meding, der zugleich männlich und weiblich wirkt, sich Haare und Augenbrauen abrasiert und damit außerhalb jeglicher Norm gestellt hat. Er beginnt, Episoden aus seinem Leben zu erzählen, natürlich nicht ohne den Hinweis einzustreuen, dass dies nicht der Realität entsprechen muss. Er berichtet vom Tod des Vaters und von der eigenen psychischen Erkrankung. Und nicht zu vergessen, Musiker ist er auch, und so singt er, mal mit, mal ohne Gitarre von Blasen auf der Haut und anderen Dingen.

Gelegentlich wird dann doch Hamlet angerissen: „10 Uhr morgens: Sein/10 Uhr abends: nicht Sein, Nicht-sein-Müssen/14 Uhr: beides oder nichts sein.“ Es ist längst keine Frage mehr von Ja oder Nein, eher von Vielleicht und Gleichzeitigkeit. Der Zuschauer wird auf die Frage zurückgeworfen, was stimmt und was nicht. Was ist Realität und was nicht? Erzählt Meding seine Geschichte, oder nutzt er einfach nur Muster des biografischen Erzählens auf der Bühne? Auch die Liveprojektion von Meding, die während der Aufführung entsteht, zeigt ihn mal scharf, mal verschwommen.

Der Abend ist gekennzeichnet von einer gewissen Verweigerungshaltung, und diese Verweigerungshaltung kulminiert interessanterweise in einer Videosequenz, in der bei einem Gang durch eine Art Krankenhaus oder Altersheim Menschen gefilmt werden, die dort untergebracht sind. Die Kamera verweilt auf ihren Gesichtern, man sieht die Menschen sprechen, hört aber nicht, was sie zu erzählen haben. Dazu spielt ein eigens engagiertes Barockensemble auf. Hier wird die Klaviatur der Emotionen einmal bedient, aber zugleich setzt sich die Geschichte eher im Kopf des Zuschauers aus den Angeboten der Bühne zusammen, als dass sie ihm präsentiert wird.

Hamlet ist ein Abend, der vieles in Frage stellt und dafür den Schutzraum Theater nutzt, der zu Beginn der Aufführung explizit als solcher adressiert wird. Nikitin und sein Darsteller erzählen eine mitunter sehr intime Geschichte und verweigern zugleich jegliche Repräsentation und Identifikation. Ein spannender Ansatz, der gelegentlich etwas Ausdauer verlangt.



Julian Meding als Hamlet beim Impulse Theater Festival 2017 | Foto (C) Robin Junicke

Karoline Bendig - 26. Juni 2017
ID 10108
HAMLET (Schauspiel Köln - Depot 2, 23.06.2017)
Konzept und Regie:  Boris Nikitin
Performance: Julian Meding
Text: Boris Nikitin und Julian Meding
Songs: Uzrukki Schmidt
Musikalische Konzeption: Boris Nikitin, Uzrukki Schmidt, Matthias Meppelink und Der musikalische Garten
Video: Elvira Isenring
Ton: Macarena Solervicenz Ruz
Technische Leitung und Licht: Benjamin Hauser
Produktionsleitung: Annett Hardegen
MusikerInnen: Sara Bagnati (Violine), Annette Wehret (Violine), Klaus-Dieter Brandt (Violoncello) und Marta Dotkus (Cembalo)
Im Rahmen des Impulse Theater Festivals


Weitere Infos siehe auch: http://www.festivalimpulse.de


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