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25 Jahre Mauerfall

Thälmannstraße 89 und Wir sind auch nur ein Volk

- zwei Hörspielformate zum Jubiläum im Vergleich

Bewertung:    



Es ist sicher Zufall, dass sich zwei Institutionen meines kulturellen Einzugsgebietes fast zeitgleich durch ein ähnliches Format mit der friedlichen Revolution auseinandersetzen. Gut, der Zeitpunkt für die Themenwahl war logisch, und das Jubiläum wurde beiderseits noch mit zahlreichen anderen Veranstaltungen gewürdigt, doch die rare Form „Hörspiel“ mag zwar im Radio naheliegen, im Theater überrascht diese durchaus. Ein Vergleich drängt sich somit auf.

MDR Figaro produzierte ab dem 8. September eine Radio-Soap (oder vornehmer „acoustic novel“) in fünfzehn Teilen, fünf Wochen lang jeweils montags, mittwochs und freitags in fünf-Minuten-Häppchen im Früh- und Nachmittagsprogramm präsentiert. Die Handlung spielt in Leipzig, zwischen September und November 1989, und es war zu spüren, dass wirklich jeder Aspekt aus dieser Zeit abgebildet werden sollte. Das führte am Anfang zu einem schwindelerregenden Tempo bei der Einführung der Hauptfiguren und leider auch zu vielen Untiefen. Als wirkliche Geschichte funktionierte das erst am Ende, zuvor wurden lediglich Schlaglichter aneinandergereiht. Doch man strickte zum Glück eine Rahmenhandlung um die 89er Begebenheiten, von der noch zu reden sein wird.

Das Staatsschauspiel Dresden hatte die im Nachgang betrachtet grandiose Idee, innerhalb seiner Reihe „Eine Woche im Oktober“ an sieben aufeinanderfolgenden Abenden im Kleinen Haus jeweils eine gute halbe Stunde Hörspiel zu produzieren, vor Publikum in einem eigens dafür hergerichteten Studio. Das wurde dann auch live per „Radio Echo 98,6“ versendet, eine Station, die in dieser Woche allabendlich für drei Stunden in Dresden zu hören war (eine Umkehrung des früheren „Außer Raum Dresden“, der Rest der Welt konnte aber per Stream dabei sein).

Inhaltlich baute die Serie auf einem Fernsehspiel von Jurek Becker auf, Mitte der Neunziger für das Öffentlich-Rechtliche produziert. Hier ging es um die Zeit kurz nach der Wende in Berlin, ein renommierter West-Autor soll eine Serie über Ossis und Wessis schreiben und wird mangels Ost-Erfahrung zu Studienzwecken bei der Familie Grimm einquartiert, die damit gleichzeitig zum Beobachtungsobjekt und zum DDR-Erklärer wird. Regisseur Leonhard Koppelmann und Dramaturgin Luise Mundhenke hatten den Stoff für das Radio bearbeitet.

Um es kurz zu machen: Es war ein Fest. Wohlgemerkt für Ohren und Augen, denn den Schauspielern bei der Produktion zuzusehen, die erkennbar Freude an der ungewöhnlichen Situation hatten, war spannend und lehrreich zugleich. Jetzt weiß ich auch, wie man eine laufende Kaffeemaschine akustisch nachbildet.

Spielplanbedingt wechselten die Akteure an den Abenden häufig, geprobt wurde auch erst am selben Tag, wie zu erfahren war, und der Regisseur entschuldigte sich im Interview fast für die mangelnde Perfektion. Ach Quatsch, genau darin lag der Reiz der Sache. Für mich schreit das förmlich nach Wiederholung.

Über der ausnehmend gelungenen Form konnte man manchmal glatt den Inhalt vergessen. Der war mit leichter Hand geformt, ohne banal zu sein, auf einschlägige Witzchen wurde fast durchgängig verzichtet, man konnte über die Figuren lachen, ohne peinlich berührt zu sein. Und einige Merksätze, vor allem von den Grimms und von Schwiegervater Blauhorn bleiben auf alle Fälle haften.

Während man sich dem Thema „Nachwendezeit“ schon öfter unterhaltsam genähert hat, war die heiße Phase der Revolution bislang weihevoll-ernst zu betrachten, stets mit einer zumindest imaginären Kerze in der Hand und Tränen der Rührung im Auge. Geheult wurde in der Thälmannstraße auch viel, dennoch wagte Figaro den Versuch, eine fast alltägliche Geschichte zu erzählen, ohne die klassischen Heldenrollen, und das in einem gewöhnungsbedürftigen Format, das wegen seiner Kürze kaum Raum für eine Entwicklung der Figuren bot. Das sorgte auch für einigen Unmut in der sendereigenen „Community“ im Netz, für kurze Zeit tobte dort ein kleiner Sturm der Entrüstung ob dieser Blasphemie. Der legte sich aber bald wieder, als die Argumente ausgetauscht waren, und vermutlich blieben die Kritiker danach der Serie einfach fern.

Dabei verpassten sie allerdings den Fortgang der für mich immer mehr in den Mittelpunkt rückenden Rahmenhandlung zwischen Rundfunk-Redakteur Dr. Helmstedt (West) und Autor Bentwisch (Zeitzeuge und ein wesentlicher Akteur der erzählten Geschichte), die den Auftrag haben, die Geschichte im Soap-Format zu produzieren. Die beiden kommen sich am Ende hörbar näher, trotz der Senderhierarchien, der unterschiedlichen Sozialisation und zahlreicher Missverständnisse. Der feinen Ironie, mit der dabei heutige Verhältnisse geschildert werden, gebührt höchste Anerkennung, der Autor Lorenz Hoffmann weiß offenbar, wovon er schreibt.

Und zur Idee mit den beiden Handlungsebenen ist unbedingt zu gratulieren, ohne den Rahmen wäre das in dieser Form nicht aufgegangen. So wurde man immer wieder erinnert, dass hier ja ein Hörspiel im Hörspiel stattfindet, das filterte tatsächliche oder vermeintliche historische Ungenauigkeiten elegant weg, wenn man sich auf die Konstruktion einließ. Doch auch die Binnenstory war zwar etwas überladen, aber durchaus plausibel, und sie bezog ihren Reiz aus der Vermischung zwischen großer Zeitgeschichte und kleiner Dreiecksbeziehung, denn auch in Zeiten der Revolution wird geliebt und gelitten.

Auch im anderen Hörspiel kommt man sich näher, West-Autor Steinheim und Ost-Studienobjekt Grimm eint am Ende der gemeinsame Zorn über den Abbruch des Serienprojektes, was sie über den Unterschied zwischen der Verhinderung eines Projektes aus politischen und aus finanziellen Gründen philosophieren lässt, den angepassten Westler zu einem revolutionären Auftritt vor den grauen Herren der Programmkonferenz bringt und dem bärbeißigen Ossi daraufhin so etwas wie eine Anerkennung entlockt. Wenn die Serie mangels Ausstrahlung schon nicht zum besseren Verständnis füreinander im neuen Vaterlande beitragen kann, haben zumindest die Beteiligten etwas hinzu gelernt.

Nachdem der Handlungsfaden in Teil 4 und 5 ein bisschen durchhing, war das noch mal ein großartiges Finale, bei dem erneut Gunnar Teuber als Benno Grimm zu glänzen wusste. Aus dem Dutzend Ensemblemitgliedern des Staatsschauspiels, das rotierend zum Einsatz kam, soll niemand hervorgehoben werden, alle waren mit Spaß und Können bei der ungewohnten Sache. Ständiger musikalischer Begleiter war Jan Maihorn, der nicht mehr als seine Gitarre brauchte, um die Szenen wirkungsvoll zu untermalen.

Ein Problem lag allerdings in der Wahl des Moderators für das umschließende „Radio Echo“-Programm. Andreas Berger von MDR 1 Radio Sachsen fremdelte hörbar (der zumindest komische Höhepunkt dabei war die unnachahmliche Aussprache des Namens der Folkpunks von „The Inchtabokatables“) und hatte außer einer sonntagnachmittagsgerechten Wunschprogrammstimme nichts beizutragen. Ob mit dem Sender – dem zudem ein originellerer Name zu wünschen gewesen wäre - wirklich eine nennenswerte Hörerschaft außerhalb des Theaters erreicht wurde, lässt sich kaum feststellen, wird aber meinerseits bezweifelt. So blieb vermutlich die Ausstrahlung des Hörspiels wesentliche Funktion der temporären Station.

Am Ende sind zwei überwiegend gelungene Beiträge zum Erinnern an die friedliche Revolution zu vermelden, die auch dank der gewählten Formen eine Bereicherung des Gedenkens darstellten.
Sandro Zimmermann - 13. Oktober 2014
ID 8162

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