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1. Bürgerbühnenfestival

Der Bürger als Theatermann



Bürgerbeteiligung ist in Mode, nicht erst seit „Stuttgart 21“ weiß man zumindest für Bauprojekte, wie wichtig die Einbeziehung der Betroffenen in das Geschehen ist. Aber auch bei anderen Formen der darstellenden Kunst geht man inzwischen diesen interessanten neuen Weg.

Die wesentlichsten Pfadfinder dabei sitzen in Dresden und betreiben dort seit fünf Jahren am Staatsschauspiel die Bürgerbühne als eigenständige und gleichberechtigte Sparte des Theaters, und das so erfolgreich, dass nach einer Fachtagung der Theaterwelt zu diesem Thema im letzten Jahr nunmehr vom 17. bis 24. Mai ein ganzes Festival ins Dresdner Kleine Haus steht: Dreizehn Produktionen mit Laien werden zu sehen sein, sieben davon aus dem deutschsprachigen Raum, die anderen aus den Niederlanden, aus Polen, Dänemark, Tschechien und aus Moldawien. Das Ganze wird durch die Bundeskulturstiftung gefördert und kommt nicht von ungefähr in Dresden auf die Bühne, hier steht schließlich die größte Wiege dieser neuen Form, und hier wirken die kräftigsten Hebammen. Doch eine Fortsetzung im nächsten Jahr ist schon vereinbart, in Mannheim diesmal, der aktuellen Nr. 2 der deutschen Bürgerbühnenliga.

Man muss hier sicher nicht beim Urschleim des Bürgertheaters anfangen. Aber man kann. Und da ist also zu erwähnen, dass es den Beruf des Schauspielers ja sooo lang noch nicht gibt und die allerersten Darsteller (hier ist die gendergerechte Form kaum angebracht) sämtlich Laien (d.h. ohne entsprechende Ausbildung) waren, ob nun in der Antike oder zu Zeiten von Shakespeare und Moliére. Erst mit Schillerschen und Lessingschen Forderungen nach einer stehenden Bühne zog auch hier langsam eine Professionalisierung ein. Doch für die theaterhistorischen Betrachtungen gibt es deutlich Berufenere, ich halte mich an die Gegenwart.

Bürgerbühne in ihrer heutigen Ausprägung funktioniert (in Dresden) so: Es gibt einen fest angestellten kleinen „Apparat“ von Theatermachern und Pädagoginnen, der – wie das „richtige“ (es wird das letzte Mal sein, dass ich diese Vokabel benutze) Theater auch – einen Spielplan entwirft und jenen dann auf die Bühne bringt, unter Nutzung aller zur Verfügung stehenden Ressourcen des Hauses. Wilfried Schulz, Dresdner Intendant und sonst nicht um Worte verlegen, macht es bei der Frage nach der Wertigkeit dieser Produktionen in seinem Hause sehr kurz: „Wie jede andere Inszenierung auch.“

Erster wesentlicher Unterschied zu den „anderen“ Stücken ist dann aber, dass Darsteller aus der Tiefe des Zuschauerraumes vorne stehen, manche von ihnen vielleicht aus Laienzirkeln vorgeprägt, aber in der großen Mehrzahl ohne spielerische Erfahrung.

Und daraus rührt die zweite wesentliche Besonderheit der Bürgerbühne: Ein normaler Hamlet würde hier nicht funktionieren, man täte den DarstellerInnen angesichts der Vergleichbarkeit mit den Profis auch keinen Gefallen damit. Und so werden – in der Regel – die Stoffe aus dem entwickelt, was die Laien mitbringen: Ihre Biographien, ihre Erfahrungen und ihre Perspektiven. Gelegentlich dient ein Klassiker als roter Faden, wie Faust oder jüngst der Freischütz, manchmal gibt es am Anfang der Produktion aber auch nur ein Thema, eine Regisseurin, einen Dramaturgen und ein Häuflein in Workshops ausgewählter „Experten des Alltags“ für den gewählten Stoff. So werden dann die großen und kleinen Gegenwartsfragen verhandelt, Liebe, Geld, Punk oder auch Demenz.

Vor gut fünf Jahren, als die Bürgerbühne ihre erste Saison vorbereitete (schon damals geleitet von der Regisseurin und Theaterwissenschaftlerin Miriam Tscholl) war das Ganze in dieser Dimension absolutes Neuland und ein großes Wagnis. Erstmals wurden die Laien nicht projektbezogen auf die Bühne geholt, wie es z. B. Rimini Protokoll oder Volker Lösch mit seinen Bürgerchören schon geraume Zeit taten, sondern es wurde eine feste Struktur für ein professionelles Laientheater geschaffen. „Erfinder“ dieser Institution ist der damals frisch bestallte Intendant des Staatsschauspiel Dresden Wilfried Schulz, dem heute auch die zu seinem Mut gratulieren müssen, die seinerzeit noch schmunzelten über den neumodischen Schnickschnack.

Seitdem eilt die Bürgerbühne von Erfolg zu Erfolg. Mehr als 1.500 DresdnerInnen (in Worten eintausendfünfhundert) haben seitdem auf der Bühne gestanden, die Inszenierungen machten in der Saison 2012/13 ein Sechstel aller Aufführungen aus und erreichten mit etwa 17.500 ZuschauerInnen immerhin noch ein Zwölftel aller Besucher. (Die Differenz ergibt sich dadurch, dass die Stücke meist im KH3 gegeben werden, der schmalen Bühne im Dach des Kleinen Hauses).

Und selbst wenn man den Zahlen einen gewissen Neugier-Faktor der Freunde und Bekannten der Darsteller unterstellt (was übrigens auch durchaus willkommen ist): Auch der künstlerische Gehalt der Stücke kann sich sehen lassen.

Zwei Inszenierungen möchte ich als Beispiel dafür anführen. Zum einen Meine Akte und ich, Regie Clemens Bechtel, ein für mich unglaublich gewagtes Experiment, Opfer und (einen) Täter der Staatssicherheit gemeinsam auf die Bühne zu bringen und von „damals“ erzählen zu lassen. Wieviel Empathie und Fingerspitzengefühl dieses Stück während der Erarbeitung verlangte, kann man als Außenstehender kaum ermessen, umso herzlicher ist zur gelungenen Umsetzung zu gratulieren. Als Werkschau wird die Aufführung am 17. Mai im Rahmen des Festivals zu sehen sein, nachdem sie auch schon erfolgreich in der Slowakei gastierte und allgemein ein äußerst positives Presse-Echo fand.

Zweites Beispiel, auch als Werkschau am 22. Mai im Rahmen des Festivals zu überprüfen und weiter regelmäßig im Spielplan, ist Weiße Flecken von Tobias Rausch in der Co-Regie von Matthias Reichwald, ein Theaterstück über Demenz, wie es lakonisch in der Untertitelung heißt. Hier wird ein Alltagsthema beleuchtet, das (aktiv oder passiv) inzwischen alle treffen kann: Der Umgang mit an Demenz Erkrankten, ob im Familienbereich oder beruflich. Man muss es erlebt haben, wie (unter Durchbrechung des Bürgerbühnenprinzips) der Profi Albrecht Goette den Opa Hampel gibt, um ihn herum LaiendarstellerInnen als Pfleger und Betroffene, die im Stück dann auch ihre ganz persönliche Verbindung mit dem Thema Demenz offenbaren. Für mich die stärkste Inszenierung in den an Höhepunkten nicht armen fünf Jahren Dresdner Bürgerbühne.

Man darf gespannt sein, welche Ansätze die anderen geladenen Bühnen des Festivals gewählt haben. Und die Eröffnung hält gleich einen Knaller bereit, Die letzten Zeugen des Wiener Burgtheaters von Doron Rabinovici und Matthias Hartmann, bis vor kurzem noch Direktor am Hause. „75 Jahre nach dem Novemberprogrom 1938 kommen sieben Zeitzeugen mit ihren Erinnerungen zu Wort. In ihrer Anwesenheit und unter ihrer Mitwirkung werden ihre Berichte von Ensemblemitgliedern des Burgtheaters wiedergegeben“ kündigt das Programmheft an. Ergänzt wird die Aufführung durch moderierte Gespräche mit den Zeitzeugen nach dem Ende des Stücks im Foyer. Sicher ein Abend, der in Erinnerung bleiben wird.

Komplettiert werden die ersten beiden Festivaltage mit Die Klasse des Jungen Theaters Basel in der Regie von Sebastian Nübling, Solo for Lu des Archa Theaters Prag von Jana Svoboda und der heimischen Produktion Ich armer Tor (Regie: Festivalleiterin Miriam Tscholl) sowie Einer (mikro)ökonomischen Weltgeschichte, getanzt des Volkstheaters Badisches Staatstheater Karlsruhe in der Regie von Pascal Rambert. Beschreibungen und das komplette Programm der sieben Tage sind unter der u.g. URL zu finden...



Sandro Zimmermann - 10. Mai 2014
ID 7819
1. BÜRGERBÜHNENFESTIVAL (Staatsschauspiel Dresden, 17.-24.05.2014)

Eine auf- und anregende Woche steht bevor, die Theaterwelt ist herzlich eingeladen, in Dresden einen Überblick über den Stand der „partizipativen Theaterprojekte als junge Kunstform mit eigener Ästhetik“ (wie es im Grußwort der Kulturstiftung des Bundes heißt) zu gewinnen. Ich freu mich drauf. | s.z.


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de


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