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Tanztheater

Alvin Ailey American Dance Theater

beim Sommerfestival in der Kölner Philharmonie


Bewertung:    



Sie gehören zu den Superstars unter den Tanzcompagnien der Welt, weil sie in technischer, innovativer und inhaltlicher Hinsicht immer wieder Begrenzungen überschreiten. Nun kehren sie nach drei Jahren an die Kölner Philharmonie zurück. Nach dem A-Programm mit Grace, Home, In/Side und dem Klassiker Revelation wird in der zweiten Woche das B-Programm gezeigt. Das sind die Stücke Arden Court in der Choreografie von Paul Taylor und D-Man in the Waters (Part I) des legendären Choreografen Bill T. Jones, die in der Interpretation des AAADT erstmalig in Deutschland zu sehen sind. Höhepunkt ist die europäische Uraufführung von LIFT, das die Choreografin Aszure Barton zusammen mit der Company entwickelte.

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Paul Taylor (geb. 1930) ist ein noch lebendes Mitglied der zweiten Generation von Choreografen des amerikanischen Modern Dance. Er hat zahlreiche Tabubrüche begangen. Die Grande Dame Martha Graham, eine maßgebliche Innovatorin, soll ihn den „unartigen Jungen des Modern Dance“ genannt haben. Ob Krieg, bigotte Politik, Inzest, Mortalität und vieles mehr, Taylor hat es auf die Bühne gebracht. Dagegen ist Arden Court (in der Choreografie von 1981) noch eine recht zahme Wahl. Vor einer Leinwand mit einer riesigen Rosenblüte, die einen großen Teil der Bühne ausmacht, erscheinen die Tänzer klein, wie Insekten auf einer Blumenwiese. Getanzt wird zu barocker Musik aus Sinfonien von William Boyce, die Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden ist. Es ist eine Spezialität von Paul Taylor, modernen Tanz und moderne Themen mit mehrere hundert Jahre alter Musik in Kontrast zu setzen. Die Tänzer und Tänzerinnen bewegen sich teils synchron in wunderbarer barocker Ordnung, brechen aber auch immer wieder daraus aus. Ein Solist tanzt mit derart überschäumender Lebensfreude und spektakulären Sprüngen, dass er gar nicht mitbekommt, dass ihm eine Solistin hinterher tanzt und mit ihm Kontakt aufnehmen will. Aber es gibt auch kontemplative Stellen mit fließenderen und langsameren Bewegungen. Arden Court zeigt die poetische Facette Taylors und bietet der Tanzcompagnie die Möglichkeit, gleich zu Anfang ihre Vielseitigkeit unter Beweis zu stellen.

Eine zweite, noch lebende Tanzlegende ist Bill T. Jones. Er weiß seit 1985, dass er HIV-positiv ist und ist Langzeitüberlebender. Tief erschüttert hat ihn der Tod seines Lebensgefährten Arnie Zane, der 1988 an den Folgen von AIDS starb und den er selbst gepflegt hat. Seitdem kreisten viele seiner Choreografien um das Thema Sterben und Verlust. Als der Tänzer Demian Acquavella aus seiner Company Ende der 1980er Jahre auch an AIDS erkrankte, war er mit seinem Kampfwillen und seiner ungeminderten Begeisterung für den Tanz allen eine Inspiration. Während seiner Erkrankung schuf Bill T. Jones D-Man in the Waters, das besagen will, dass sich viele andere Sterbende in den gleichen „Gewässern“ befinden. AIDS war zu dieser Zeit auf dem Vormarsch und es gab noch keine erprobten Behandlungsmöglichkeiten. Demian Acquavella starb 1990 an den Folgen von AIDS, und Alvin Ailey, der Begründer des Alvin Ailey American Dance Theaters, war 1989 der Immunschwächeerkrankung erlegen. Das mag einer der Gründe für die Alvin Ailey Company sein, dieses Stück ins Repertoire aufzunehmen.




D-Man In the Waters (Part I) in der Choreografie von Bill T. Jones © Paul Kolnik



Bill T. Jones stellt das Sterben als pulsierendes Noch-am-Leben-Sein dar, teils traurig, teils voller gesteigerter Lebenslust. Es herrscht ein ausgeprägter Sinn für die Gegenwart, denn es gibt keine Garantie für ein Morgen. Der Mensch wird auf seine Kreatürlichkeit zurückgeworfen. Der positive Aspekt ist die Entstehung einer Solidarität. Die Tänzer helfen einander. Ein Mann steht in der Mitte, vier Frauen im Quadrat um ihn herum. Wenn eine droht zu fallen, fängt er sie auf. Hinterher sind es auch Männer, die sich von Frauen stützen lassen. Zu Felix Mendelssohn Bartholdys kraftvollem Oktett für Streicher in Es-Dur, Op. 20 von 1825, das dieser im Alter von 16 Jahren komponierte, tanzen sich die „Todeskandidaten“ müde, können mit der überschäumenden Energie des Lebens nicht mehr mithalten. So springen einige über die Rücken der anderen und über am Boden zusammengerollte Tänzer, so wie das Leben, das immer mehr über die AIDS-Kranken hinweg rollt. Neben der Wehmut geht aber auch sehr viel Wärme von dieser Choreografie aus.

Als das Alvin Ailey American Dance Theater 2011 in der Kölner Philharmonie gastierte [wir berichteten, h.f.] war Robert Battle gerade zum neuen künstlerischen Direktor ernannt worden. Er sagte damals im Interview, dass er sich auf einen Spagat einlassen will. Zum einen gilt es, die Traditionen zu wahren. Ailey gründete die Company 1958 während der Rassenunruhen in den USA. Viele Menschen, auch Weiße, gingen damals auf die Straße. Alvin Ailey versuchte etwas sehr Konstruktives. Er gründete eine rein schwarze Tanzcompagnie, um zu beweisen, dass auch die vermeintlich minderwertigen Schwarzen (heute Afro-Amerikaner) einen kulturellen und spirituellen Beitrag für die Menschheit leisten können. Das hat er zur Genüge bewiesen, denn die Company rangiert ganz weit oben. Doch Robert Battle stellte sich zum zweiten die Aufgabe, die Company behutsam in eine neue Ära zu führen. Mit LIFT, 2013 in der Choreografie von Aszure Barton entstanden, hat er diese Absicht eingelöst und stellt sie zur Zeit in Europa vor. LIFT wurde von der Choreografin Aszure Barton zusammen mit der Company entwickelt. In einem weiteren Schritt komponierte Curtis Macdonalds eigens die Musik dazu, der sehr stark auf Percussion setzt. Es gibt keine erzählerischen Elemente. Lift kann Heben oder Auftriebskraft bedeuten, es kann aber auch ein Anagramm sein. Das wird nicht weiter erläutert.




LIFT in der Choreografie von Aszure Barton © Paul Kolnik



Es war Battle und Barton wichtig, die Besonderheiten jedes Individuums herauszuarbeiten. Durch die Möglichkeit der Mitgestaltung hat sich die Company das Stück vielleicht sogar mehr zu eigen gemacht, als andere. Trotzdem gelang es hinterher, die unterschiedlichen Qualitäten der heterogenen Persönlichkeiten zu einem homogenen Ganzen zu verschmelzen.




Der künstlerische Direktor Robert Battle inmitten der Company © Andrew Eccles



Insgesamt lädt die Veranstaltung zum Staunen, Nachdenken und zur Freude ein. Wir erleben Tanz auf höchstem Niveau, mit begnadeten und wunderschönen Körpern von einer Company, zu der mittlerweile auch Nicht-Schwarze gehören. Es gibt Grund zum Schmunzeln, manchmal sogar zum Lachen und auch eine Portion Drama. Wenn sich zum Schluss die Tänzer und Tänzerinnen fast in Ekstase tanzen, springt der Funke aufs Publikum über, das nicht nur einen schönen Abend hatte, sondern ein Erlebnis mit nach Hause nehmen kann.


Helga Fitzner - 23. Juli 2014
ID 7973
Das Alvin Ailey American Dance Theater gastiert im Anschluss vom 29. Juli bis 10. August im Deutschen Theater in München.

Das Sommerfestival in der Kölner Philharmonie besteht in der Regel aus drei bis vier internationalen Events. Zwei weitere finden bis einschließlich 17. August 2014 statt:

- Alvin Ailey American Dance Theater vom noch bis zum 27. Juli 2014

- Brasil Brasileiro vom 29. Juli bis 10. August 2014

- The Lost and Found Orchestra vom 13. bis 17. August 2014


Weitere Infos siehe auch: http://www.bb-promotion.com/koelner-sommerfestival/


Post an Helga Fitzner



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