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51. Theatertreffen

Mit Zement von Heiner Müller in einer Inszenierung von Dimiter Gotscheff wird am Freitag das 51. Theatertreffen eröffnet

Die Berliner Festspiele richten dem im letzten Jahr verstorbenen Regisseur während ihrer Leistungsschau der 10 bemerkenswertesten Inszenierungen des deutschsprachigen Theaters einen Fokus aus


Bevor sich am Freitagabend im Haus der Berliner Festspiele wieder der Vorhang für die 10 bemerkenswertesten Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Theaterraum hebt, wird sich das Theatertreffen nicht wie im vergangenen Jubiläumsjahr selber feiern, sondern noch einmal einem bemerkenswerten, vielgeliebten und verehrten Theatermenschen huldigen, der sich Ende Oktober letzten Jahres für immer von der Bühne verabschiedet hat. Dimiter Gotscheff verstarb unerwartet und mit 70 Jahren - ähnlich wie sein großes Vorbild Heiner Müller - viel zu früh. Die Berliner Festspiele richten noch einmal den Fokus auf den großen Theatergrübler Gotscheff. Der Regisseur ist fünfmal mit seinen Inszenierungen zum Theaterreffen eingeladen worden. Bunt ist die Palette der Autoren. Darunter Strindberg am Schauspiel Köln, Koltès und Tschechow an der Berliner Volksbühne, und Molière am Thalia Theater Hamburg. Zumeist standen dabei die Schauspieler der mit ihm kreativ verbandelten, sogenannten Gotscheff-Familie auf der Bühne...



Dimiter Gotscheff (1943-2013) - Foto © Thomas Dashuber


Mit dem von ihm verehrten und meistinszenierten Autor Heiner Müller ist Dimiter Gotscheff das bisher noch nie geglückt. Der Zufall will es nun, dass seine allerletzte Arbeit ausgerechnet auch seine jüngste Auseinandersetzung mit seinem Leib- und Magenautor war. Für das Residenztheaters München inszenierte Gotscheff im Mai 2013 Heiner Müllers nachrevolutionäres, russisches Revolutionsdrama Zement. Zur entfernten Verwandtschaft in München zählen nicht erst seit gestern auch Valery Tscheplanowa, Bibiana Beglau und Sebastian Blomberg. Sie bilden hier die Gotscheff-Kernfamilie, die in diesem Fall auch die in Heiner Müllers Bühnenadaption des 1925 erschienenen Romans von Fjodor Gladkow aus der Zeit der jungen Sowjetmacht ist.

*

Der heimgekehrte rote Bürgerkriegsheld und Schlosser Gleb Tschumalow (Sebastian Blomberg) hat schwer an seiner Vergangenheit und an neuen Steinen, die ihm verschiedentlich durch die Vertreter der alten und neuen Macht in den Weg gelegt werden, zu tragen. Er soll die kaputte Zementfabrik wieder einer fruchtbaren Produktion zuführen. Über die hat sich der Rost der unproduktiven Jahre gelegt, und die Hallen sind von den Bauern für ihre Ziegen und Schafe geleert worden. Es regiert der Bauch. Seine einst liebende Frau Dascha (Bibiana Beglau) hat sich in einen Eisblock verwandelt. Das Kind ist im Heim, das Haus kalt und leer. Brotrationen gibt es nur für Registrierte. Daschas neues Zuhause ist das Exekutivkomitee und die Organisation der Frauen im Dorf. Sie lebt nur noch für die Idee, die auch körperlich ganz in sie gedrungen ist. Auf Glebs staubigem Soldatenmantel werden hart die neuen Regeln des Zusammenlebens verhandelt. "Wer fragt das Pferd, wann es geritten werden will?" tönt der Mann. "Wenn du frierst heiz dich mit Arbeit", erwidert die Wissende. Die Privilegien, Krieger sind abgeschafft. Der Tod ist für alle. Gleb wird Daschas bitteres Geheimnis noch erfahren.

Die Bühne ist ein schräges, graues Quadrat, das sich in die Senkrechte heben lässt. "Die Toten war­ten auf der Gegenschräge / Manchmal hal­ten sie eine Hand ins Licht / Als leb­ten sie. Bis sie sich ganz zurück­zie­hen / In ihr gewohn­tes Dunkel das uns blen­det. Die Zeilen aus dem Gedicht Drama von Heiner Müller, sie werden hier ganz Bild. Wie Schatten aus vergangenen Tagen zeichnen sich die Reste eines antiken Mosaiks auf dem Bühnenboden ab, die auch die Schatten von Fundamenthülsen für einen Neuaufbau sein könnten. Ein mythologisches Fundament auf den Knochen der Toten. "Man muss die Toten ausgraben wieder und wieder." Zu Beginn klingt die Stimme Dimiter Gotscheff mit den Worten Heiner Müllers vom Band aus dem Off.

Die weiß gekalkten Müller'schen Toten werden hier von zwölf Studierenden der Otto-Falckenberg-Schule und der Theaterakademie August Everding in aschgrauen Kleidern und Masken dargestellt. Sie umringen lauernd die Bühnenschräge, turnen darüber oder stampfen darauf im Takt der Kommandos von Gleb Tschumalow beim Bau des Zementwerks. Kalk und Asche erzählen von Unterdrückung und Revolution, Sieg, Niederlage und Tod. Njurka, das später im Heim verhungerte Kind der Tschumalows, dient Gotscheff als Vermittler zwischen den Lebenden und Toten. Er stellt die Figur, die bei Müller nur in den Dialogen der Eltern vorkommt, ins Zentrum seiner Inszenierung. Valery Tscheplanowa spricht die mythologischen Kommentartexte von Herakles, der Hydra und der Befreiung des Prometheus. Sie bricht Müllers pathetische Sprache aber auch immer wieder mit russischen Liedern auf. Was für den sonst ziemlich werktreu arbeitenden Regisseur Gotscheff sicher einen Bruch mit Müllers Anweisung, die Kommentare nicht von den handelnden Personen zu trennen, bedeuten musste, ist aber letztendlich ein Glück für seine Inszenierung.

Überhaupt ist dies eine großartige Ensembleleistung geworden. Als hätten sich alle noch einmal für ihren Regisseur in Zeug geworfen. Sei es Aurel Manthei als aasiger Vorsitzender Badjin, Glebs Gegenspieler, oder Paul Wolff-Plottegg als Ingenieur Kleist, der ihn einst verriet und dessen Kopf er nun für den Wiederaufbau braucht. Bedrückend die Szene, in der Simon Werdelis als junger Makar einverstanden mit seiner Erschießung in den Tod geht und dabei noch einmal das frisch gelernte Alphabet aufsagt. Um dann wenig später wieder als wahnwitziger weißer Offizier Dimitri Iwagin über die Bühne zu irrlichtern. Nicht zu vergessen natürlich Genija Rykova als Polja Mechowa und Lukas Turtur als Sergej Iwagin, das zweite idealistische Revolutionspärchen, für das es nach den großen Parteisäuberungen nicht gut aussieht. „Wenn die Lebenden nicht mehr kämpfen können, werden die Toten kämpfen. Der Aufstand der Toten wird der Krieg der Landschaften sein.“ Gotscheff bringt hier zum Schluss noch einmal Müllers Text aus dem Auftrag ins Spiel. Ein nun doppeltes Vermächtnis.



Zement am Bayerischen Staatsschauspiel - Foto © Armin Smailovic


Bewertung:    



Sei es nun Zufall oder nicht, das Residenztheater ist gleich mit noch einer Inszenierung, die neben dem Romanautor Louis-Ferdinand Céline auch wieder ausführlich Heiner Müllers Auftrag zitiert, beim Theatertreffen vertreten. Volksbühnenchef Frank Castorf - auf Abwegen in München - hat mit Reise ans Ende der Nacht nun ein Heimspiel in Berlin. In seinem Haus am Rosa-Luxemburg-Platz wird es auch am 5. Mai ein Wiedersehen mit Dimiter Gotscheffs Tschechow-Inszenierung Iwanow geben. Das Deutsche Theater, leider wiedermal ohne Einladung zum TT, ist seit Jahren Gotscheffs künstlerische Heimat. Am 4. Mai ist hier seine schelmische Heiner-Müller-Verdichtung Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten / Mommsens Block zu sehen und am 9. Mai dann den damals von der Theatertreffen-Jury verschmähten, mittlerweile legendären Run von Samuel Finzi und Wolfram Koch um eine Wand in Aischylos' Persern. Komplettiert wird der Fokus zu Ehren Dimiter Gotscheffs am 4. Mai mit dem Filmportrait Homo ludens im Deutschen Theater, einer Ausstellung im oberen Foyer des Berliner Festspielhauses und einer Party mit Mitkos Liedern im Anschluss an die Zementvorstellung am 3. Mai.


Stefan Bock - 1. Mai 2014
ID 7793
ZEMENT (Residenztheater München)
Regie: Dimiter Gotscheff
Bühne und Kostüme: Ezio Toffolutti
Musik: Sandy Lopićić
Licht: Gerrit Jurda
Dramaturgie: Andrea Koschwitz
Besetzung:
Valery Tscheplanowa (Njurka), Sebastian Blomberg (Gleb Tschumalow), Bibiana Beglau (Dascha Tschumalowa), Aurel Manthei (Badjin), Lukas Turtur (Sergej Iwagin), Genija Rykova (Polja Mechowa), Paul Wolff-Plottegg (Kleist), Götz Argus (Tschibis), Simon Werdelis (Makar, Dimitri Iwagin) und Lena Eikenbusch, Konstanze Fischer, Daniel Gawlowski, Jonas Grundner-Culemann, Thomas Hauser, Simon Heinle, Ines Hollinger, Lukas Hupfeld, Johanna Küsters, Judith Neumann, Klara Pfeiffer, Philipp Reinhardt sowie Anna Sophie Schindler (als Chor)
Premiere am Residenztheater war am 5. Mai 2013
http://www.residenztheater.de

Termine beim Theatertreffen: 2. + 3. 5. 2014


Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinerfestspiele.de


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