Der ukrainische Regisseur Stas Zhyrkov inszenierte die Bühnenfassung des preisgekrönten Romans Herkunft von Saša Stanišić
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Herkunft von Saša Stanišić - am BE | Foto (C) Gianmarco Bresadola
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Bewertung:
Der 2019 erschienene und mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnete Roman Herkunft von Saša Stanišić erzählt autobiografisch die Familiengeschichte des Autors. Das Buch thematisiert seine Kindheit im ehemaligen Jugoslawien, den Balkan-Krieg, die Flucht und Ankunft der Familie in Deutschland. Einen großen Raum nimmt dabei die demente Großmutter Kristina ein. Sie lebt nur noch in der Vergangenheit des ehemaligen Jugoslawiens. Stanišić verknüpft hier Erinnerung mit Fiktion und stellt die Frage nach der Herkunft und dem Verlust von Heimat. Dabei springt der Roman beständig in den Zeitebenen. An vielen Bühnen der Republik gespielt, behandelt er natürlich auch eine spezielle Migrationsgeschichte und ist damit sechs Jahre nach seinem Erscheinen immer noch brandaktuell.
Krieg und Migration bestimmen auch das Leben des ukrainischen Regisseurs Stas Zhyrkov, der seit 2022 in Deutschland lebt und inszeniert. Nach Produktionen an der Schaubühne hat mit Herkunft nun seine zweite Arbeit am Berliner Ensemble Premiere. Die Rolle des Protagonisten und Ich-Erzählers übernahm dabei die Schauspielerin Marina Galic, die in dieser Spielzeit mit ihrem Mann, dem Schauspieler Jens Harzer, vom Thalia Theater Hamburg an das Berliner Ensemble gewechselt hat. Galic‘ Eltern stammen aus Bosnien und Kroatien. Familienmitglieder sind ebenfalls in der Zeit der Balkan-Kriege nach Deutschland geflohen. Eine gute Voraussetzung für die Gestaltung der Rolle.
Marina Galic ist dann auch das Kraftzentrum dieser gut gelaunt aufspielenden Inszenierung, die aber in den gut zwei Stunden eine ganze Menge an Text über die Rampe schieben muss. Die weiteren Rollen teilen sich Jannik Mühlenweg, Joyce Sanhá und Peter Moltzen, der über weite Teile des Abends die zunehmend dement werdende Großmutter Kristina spielt. Das setzt auf den teils recht witzigen Text von Stanišić auf, überspannt aber ein ums andere Mal etwas den Bogen. Die vier teilen sich den Text und spielen sich dabei die Bälle zu. Das macht durchaus Spaß beim Zusehen, ermüdet aber auch etwas, je weiter der Abend voranschreitet. Von der Geburt 1978 in der bosnischen Stadt Višegrad an der Drina über die Erlebnisse beim Besuch der Familie im kleinen bosnischen Dorf Oskoruša mit dem Brunnen des Urgroßvaters bis zum Krieg und der Flucht nach Deutschland behandelt der Abend immer wieder die Begriffe Heimat und Zugehörigkeit, die für Saša nie so eindeutig zu klären sind.
Jugoslawien als nicht mehr existenter Staat wird dabei auch einmal in einem Monolog von Peter Moltzen mit der ehemaligen DDR verglichen. Die Nostalgie, mit der ehemalige Bürger Jugoslawiens heute dem Staatengebilde Titos nachtrauern, gleicht durchaus der Verklärung der DDR, wie sie heute in den fünf neuen Bundesländern wieder zu erleben ist. Ein Leben in der Vergangenheit, wie es die demente Großmutter führt. Mit dem Verlust ihrer Erinnerung beginnt Saša seine Geschichte aufzuschreiben. Auf der Bühne (Jan Hendrik Neidert, Lorena Díaz Stephens) im Neune Haus des BE ist eine drehbare begrünte Verkehrsinsel mit einer Doppellaterne aufgebaut. Später wird sie hochgefahren und zur ARAL-Tankstelle in Heidelberg, an der sich die jungen MigrantInnen treffen und Musik hören. Am Ende zeigt sie mit Gardinen das Zimmer der Großmutter im Altenheim.
Live-Videos, Mikros und schnelle Kostümwechsel sind bezeichnend für diesen etwas atemlosen Abend, der auch einen Exkurs in Migration damals und heute bietet. Die Flucht 1992 nach Deutschland dürfte heute an einigen europäischen Grenzzäunen scheitern. Der Protagonist erlebt medial die rechtsextremen, rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda und Solingen. Selbst nur als Yugo gesehen, versucht er für sich eine Identität zu finden. Der Abend umkreist diese Suche in Rückblenden auf dem Friedhof in Oskoruša oder beim Europapokalspiel Roter Stern Belgrad gegen Bayern München 1991 und später in der neuen Heimat Heidelberg. Dank des tollen Ensembles vermag der etwas konfuse Abend vor allem spielerisch zu überzeugen.
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Herkunft von Saša Stanišić - am BE | Foto (C) Gianmarco Bresadola
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Stefan Bock - 14. November 2025 ID 15559
HERKUNFT (Neues Haus, 13.11.2025)
Nach dem gleichnamigen Roman von Saša Stanišić - in einer Bearbeitung von Johannes Nölting
Regie: Stas Zhyrkov
Bühne und Kostüm: Jan Hendrik Neidert und Lorena Díaz Stephens
Bohdan Lysenko Musik
Licht: Benjamin Schwigon
Dramaturgie: Johannes Nölting
Übersetzer: Sebastian Anton
Mit: Marina Galic, Peter Moltzen, Jannik Mühlenweg und Joyce Sanhá
Premiere am Berliner Ensemble: 13. November 2025
Weitere Termine: 22., 23.11./ 17., 18., 23., 25., 26.12.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-ensemble.de/
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