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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Krieg dem

Kriege



Anna Paula Muth und Kristin Steffen (v.l.n.r.) in Die Waffen nieder! nach dem Roman von Bertha von Suttner - am Theater Bonn | Foto © Matthias Jung

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Drei Wände beengen die Bühne, klaffend leuchtend in Magentafarben. Von der Decke fallen gummiartige Streifen wie Bandagen. Drei weibliche Figuren hängen verschlungen inmitten dieser Stoffbänder. Sie klettern hoch und runter, auf und ab. Anna Paula Muth, Lydia Stäubli und Kristin Steffen agieren barfuß und tragen Ganzkörper-Nacktkostüme mit aufgenähten Brüsten und Schambehaarung (Kostüme: Johanna Hlawica). Die Akteurinnen wirken verletzlich. Sie blicken anfangs wie gebannt in Bücher oder abgerissene Papiere.

Der Roman Die Waffen nieder! (1889) gilt heute als Klassiker der Antikriegsliteratur und als das bekannteste Werk von Bertha von Suttner (1843-1914). Die bedeutende Pazifistin, Friedensforscherin und Feministin war wichtig für die Friedensbewegung. Die adlige Österreicherin arbeitete 1876 in Paris als Privatsekretärin für Alfred Nobel. Es ist ein intensiver Briefwechsel mit dem schwedischen Chemiker und Erfinder überliefert, der gemeinsame Ideen für Frieden dokumentiert. Schon früh wollte Alfred Nobel sie für den von ihm ausgerichteten Preis berücksichtigen. Sie wurde so 1905 erste Trägerin des Friedensnobelpreises.

Muth, Stäubli und Steffen verkörpern abwechselnd die Hauptfigur des Romans, die Gräfin Martha Althaus und andere Charaktere. Der vorgetragene Text erzählt das Leben Marthas. Sie wird anfangs noch wegen angeblich exaltierter Ideen als überspannt bezeichnet. Die Darstellerinnen mimen männliche Figuren wie den Vater oder die späteren Ehemänner Marthas, indem sie sich Zylinder aufsetzen und betont breitbeiniger mit tieferer Stimme auftreten. Im Verlauf mehrerer Kriege zwischen 1859 und 1870 verliert Martha zwei Ehemänner. Ihre Geschwister sterben an der Cholera. Die Witwe setzt sich aufgrund ihrer erlittenen Verluste mit dem Krieg auseinander. Wir sehen, wie die Martha-Darstellerin Schriften und Papiere sammelt. Sie emanzipiert sich und wird zur überzeugten Pazifistin.

In einer früheren Bonner Inszenierung verweisen Magenta-Farbtöne augenzwinkernd auch auf das Farbbranding des lokal angesiedelten Unternehmens Telekom. Im Einheitsbühnenbild von Bettina Pommer deutet die durchgehend schrille Farbgebung auf eine Schlacht bei Magenta in der Lombardei hin, bei der 1859 mehrere Tausend Menschen starben.

Die mit der Weltgeschichte verwobenen deutschen Einigungskriege lassen sich in der Inszenierung von Katrin Plötner auf das Heute beziehen. Weitreichende Konflikte, etwa um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht, sind auch aktuell wieder politisch aufgeladen. Martha diskutiert mit ihrem Vater, dass politische Machtdemonstrationen weltweite Krisen auslösen können.

Die drei Figuren auf der Bühne skandieren dann nach vorne weg:


„Meine Rüstung ist die Defensive, deine Rüstung ist die Offensive. Ich muss rüsten, weil du rüstest. Weil du rüstest, rüste ich. Also rüsten wir immerzu.“


Das Für und Wider von Verteidigungskriegen wird diskutiert, bald schon messen die Akteurinnen beim Seilziehen ihre Kräfte (Choreografie: Hannes-Michael Bronczkowski). Es erklingt, wie beim Militär, ein gleichmäßig voranschreitender Marsch (Musik: Johannes Hofmann).

Obwohl der über 300-seitige Roman für die Bühnenadaption stark kondensiert wurde, tragen die Akteurinnen redegewaltig Theorien und breites Wissen vor. Der Vater widerspricht Martha, wenn sie das Kriegsgeschehen vorsichtig als rückständigen Brauch und Verzögerung des Fortschritts deutet. Da ihr auch bei ihrem Vater über den Mund gefahren wird, ahnt Martha bald, dass Kriege von Männern entschieden und durchgeführt werden. Sie erkennt, dass Befehlshaber und Entscheider dabei oft selbst nicht in Kriege ziehen. Ältere Kriegseiferer wiegen sich so selbst in Sicherheit, wenn sie den Heldentod glorifizieren und meinen, Kriege seien unter anderem gut gegen Bevölkerungszuwachs. Martha mokiert sich über sogenannte Stammtisch-Bierschwätzer, welche die vaterländische Machtstellung und Wirtschaftsinteressen bei Landkartenänderungen hochhalten. Sie muss erkennen, dass der düstere Krieg auch vor sogenannten Edelleuten nicht Halt macht.

Martha (Anna Paula Muth) besucht bald, begleitet von Schwestern des Roten Kreuzes, das Schlachtfeld, um ihren zweiten Ehegatten zu finden. Hier verdunkelt sich das Setting. Ansgar Evers' Lichtgestaltung akzentuiert Schattenwürfe auf Rücken. Schemenhafte Figuren und Proportionen von Körperteilen werden in ausdrucksstarken Kontrasten gezeigt. Schüsse fallen, was sogleich von den Krankenpflegerinnen Alltag genannt wird. Ein röchelnd Versterbender (ausdrucksstark: Kristin Steffen) versinkt im Bühnenboden, nachdem eine Schwester (Lydia Stäubli) ausruft: „Der kommt nicht mehr ins Spital.“ Martha erkennt, dass ganz viele Soldaten auf dem Schlachtfeld lebendig begraben werden.

Martha findet ihren Mann nicht und erfährt sich im Kriegsgeschehen als unfähig und unnütz. Sie erzählt später, von einem Arzt zurück nach Hause geleitet, vom bestialisches Grauen, von Kampftruppen und abgetrennten oder zerstörten Gliedmaßen. Sie berichtet vom Leid der Verwundeten, von Bedrohung, Sehnsucht, Verlust, Entwurzelung und zerstörten Hinterlassenschaften menschlichen Lebens. Es ist vom Engel der Barmherzigkeit, vom Würgeengel und davon, vor Gott zu stehen die Rede. Marthas Vater erklärt ihr, ihr Mann solle sie, sobald er aus dem Krieg heimkehre, wegen ihres ungehörigen Besuchs des Schlachtfeldes züchtigen.

Martha lässt sich nicht entmutigen, stets aufs Neue für eine Abschaffung des Krieges als Humanität und Kultur fördernde Wohltat zu sprechen. Es gebe keine Erbswurst mehr, dafür Erholung, so Martha. Sie plädiert früh für einen internationalen Staatenbund und ein internationales Schiedsgericht. Einen Moment lang blicken alle Akteurinnen würdevoll schweigend mit nach innen gerichteten Blick ins Publikum. Die Stille während des fragilen Balanceaktes (Dramaturgie: Sarah Tzscheppan) nimmt durch Geräusche des Publikums vielstimmige Form an, vielleicht ein Zeichen für kulturellen oder politischen Widerstand. Noch ist nicht aller Tage Abend. Augenblicke später liegen die Akteurinnen jedoch flach auf dem Bühnenboden. Die Bühnendecke fährt auf unheimliche und klaustrophobische Weise herunter.

Welche Formen hat Widerstand? Welche Geschichten werden erzählt? Die Aufführung macht mögliche Leerstellen der Geschichte sichtbar. Kriegserfahrungen von Frauen fanden im kollektiven Gedächtnis früher weniger Beachtung, haben jedoch trotzdem existiert. Bertha von Suttner stellte mit ihrem Roman Die Waffen nieder! Normen in Frage und eröffnete neue Perspektiven auf den Krieg. Der überwiegend lebendig vorgetragene Text reflektiert in einem offenen Raum, auch was zum Beispiel gerade in der Ukraine, im Gaza-Streifen oder in Myanmar passiert. Er macht vorherrschende Machtverhältnisse und verschlungene Gewaltstrukturen mit visionärer, klarer Haltung und eindringlichen Parolen des Pazifismus sinnlich erfahrbar.



Die Waffen nieder! am Theater Bonn | Foto © Matthias Jung

Ansgar Skoda - 10. November 2025
ID 15553
DIE WAFFEN NIEDER! (Schauspielhaus Bad Godesberg, 07.11.2025)
nach dem Roman von Bertha von Suttner

Regie: Katrin Plötner
Bühne: Bettina Pommer
Kostüme: Johanna Hlawica
Musik: Johannes Hofmann
Licht: Ansgar Evers
Dramaturgie: Sarah Tzscheppan
Choreografie: Hannes-Michael Bronczkowski
Mit: Anna Paula Muth, Lydia Stäubli und Kristin Steffen
Premiere am Theater Bonn: 7. November 2025
Schauspielhaus Bad Godesberg war am 07.11.2025.
Weitere Termine: 12., 22., 28.11./ 06., 13., 27.12.2025// 15.01.2026


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de


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