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Freies Werkstatt Theater in Köln, 3. März 2007

Woyzeck³

Von Georg Büchner


Holger Stolz | Foto: © Hydra Productions

Zweieinhalb Stunden Georg Büchners „Woyzeck“ – das klingt zunächst einmal nach einem anstrengenden Theaterabend, zumal alle drei Fassungen des Fragment gebliebenen Werks hintereinander gespielt werden. Aber weit gefehlt. „Woyzeck³“ am Freien Werkstatt Theater ist ein stimmiger, konsequenter Abend, der nicht nur philologische Interessen befriedigt, sondern dem Fragmentcharakter auf ungewöhnlich Weise gerecht wird.

Üblich ist es bei „Woyzeck“, aus den überlieferten Versionen eine Spielfassung zu erstellen. Regisseur Kay Link und Dramaturg Gerhard Seidel haben anders entschieden – sie spielen drei Fassungen hintereinander. Die erste Fassung gibt eine Art Handlungsgerüst, das durch die Szenen der zweiten und dritten Fassung ergänzt wird. Es gibt Szenen, die in mehr als einer Fassung auftauchen – wie beispielsweise die, in der Woyzeck vom Doktor untersucht wird –, aber insgesamt hält sich die Zahl der Überschneidungen in Grenzen. An einer Stelle wird dem Prinzip der Wiederholung im an sich linearen Ablauf der einzelnen Fragmente Tribut gezollt: Andres trifft auf Woyzeck und führt eine kurze Unterhaltung mit ihm, und das dreimal hintereinander (wobei nicht immer der gleiche Inhalt besprochen wird). Das Vorgehen ist einfach: Woyzeck sitzt auf der Bühne, es erklingt Jahrmarktmusik, die in der 1. Fassung live gespielt wurde, Andres kommt hinter einem Bühnenbildelement hervor, spricht mit Woyzeck, geht wieder hinter das Bühnenbildelement zurück, die Musik stoppt, Marie – bzw. Christina Vayhinger – lässt eine Dose fallen, Musik setzt wieder ein, Andres tritt wieder auf etc. Hier werden gewissermaßen im direkten Vergleich drei Szenen ähnlichen Inhalts geboten.


von links: Holger Stolz, Sven Heiß | Foto: © Hydra Productions


Trotz dieser Vielfalt an Szenen bleibt der Zuschauer stets gut informiert. Das liegt sicherlich auch an der Einfachheit der Mittel, die verwendet werden: Das Bühnenbild besteht aus einigen Holzstegen und einer Konstruktion, die einer Schultafel ähnelt, die zur Mitte hin spitz zuläuft. Es gibt drei Hintergrundmöglichkeiten: Gras, graue Steinwand oder kleine Kacheln, die Woyzecks und Maries Wohnung symbolisieren – wobei es hier noch den besonderen Clou gibt: Einzelne Elemente lassen sich herausziehen oder öffnen. Und es gibt in diesem Raum rechts ein angedeutetes Fenster, aus dem Marie den Tambourmajor beobachtet. Zugleich also sehr vereinfacht und doch verspielt.

Requisiten wie die opulenten Ohrringe, die Marie angeblich gefunden hat, werden wiederverwendet, Musik wird erneut gespielt. Diese Elemente tragen so ihren Teil dazu bei, dass ein dichtes Netz über dem Abend gewoben wird, das es dennoch jedem Zuschauer erlaubt, sich seine eigene Sicht auf die Dinge zu bilden. Es sind Angebote für den Zuschauer, genauer hinzusehen und hinzuhören und das zusammenzubauen, was für jeden Einzelnen sinnhaft ist.


Susanne Flury | Foto: © Hydra Productions


Bemerkenswert ist Links Fähigkeit, immer wieder neue Bilder und Handlungen im Zusammenhang mit den Bühnenelementen zu finden. Die Holzbauteile dienen als Bett, als Massageliege bei der Rasur des Hauptmanns, als Tanzboden oder sie werden zu Beginn von Fassung drei einfach mal aufrecht hingestellt und lackiert. Der Kinderwagen enthält zugleich alles, was der Doktor für seine Untersuchung braucht. Woyzeck ist die Untersuchung des Doktor dabei so bekannt, dass er mit den Requisiten immer einen Schritt weiter ist als dieser. Diese Untersuchung hat sowohl in ihrer ersten als auch in der nächsten Fassung immer wieder den gleichen absurden Ablauf. Und dennoch schafft es Link mit Kleinigkeiten, die zweite Fassung von der ersten zu unterscheiden: Beim zweiten Mal zieht Woyzeck einen Arztkittel über sein Kostüm an und imitiert den Doktor, was der Figur zugleich eine Stärke gibt, die sie in vielen Inszenierungen, in denen sie als Opfer der Umstände dargestellt wird, nicht hat.


| Foto: © Hydra Productions


Link gelingt es tatsächlich, das Stück ohne drückende Schwere zu inszenieren. Er lässt der Komik Raum – manchmal bis zum Klamaukhaften, wenn beispielsweise Peter Clös und Sven Heiß als Kinder auftreten, wie man es von Kindergeburtstagen kennt: auf den Knien rutschend, die Vorderarme als Vorderbeine. Dennoch wird es auch bitterernst. Wie Woyzeck mit seiner Marie im dritten Teil umgeht, das raubt einem gelegentlich den Atem und bietet zugleich eine ungewöhnliche und doch zwingende Sichtweise auf den Text. Link und Seidel haben hier sehr genau gelesen.

Zu bemängeln ist dabei vielleicht nur, dass es am Anfang doch sehr viele Lieder gibt, so dass es etwas dauert, bis der Abend Schwung aufnimmt. Und bei manchen Dingen muss man etwas Geduld haben, bis sich klärt, welche Funktion sie haben oder wie sie sich in das Ganze einfügen. So bleibt der Narr in der ersten Fassung als Figur vage, gewinnt erst in Fassung zwei und drei Kontur. Durchweg überzeugend sind die Schauspieler, wobei vor allem Peter Clös, Susanne Flury und Sven Heiß ihren Figuren entsprechend auch Mut zur Karikatur beweisen.

Sicherlich ist das Risiko nicht gering, dass das FWT und die Produktionsmacher mit diesem Abend eingegangen sind, aber es wird belohnt.


Karoline Bendig - red / 6. März 2007
ID 3046
Georg Büchner
Woyzeck³
Spielfassung: Gerhard Seidel und Kay Link


Inszenierung: Kay Link
Bühne und Kostüme: Anton Lukas
Idee, Dramaturgie: Gerhard Seidel
Musik: Jens Wehn
Besetzung: Holger Stolz (Franz Woyzeck), Christina Vayhinger (Marie Zickwolf), Sven Heiß (Tambourmajor, Andres), Susanne Flury (Doctor, Narr), Peter Clös (Hauptmann, Marktschreier)

Premiere am 02.03., Vorstellungen am 08., 15., 16., 30. und 31.03, 17., 18., 22., 24., 25.04.

Weitere Infos siehe auch: http://www.fwtkoeln.de/e7/e53/e871/index_ger.html





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