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Feuilleton

Schussfahrt im

Figaro-Express



Foto (C) Anke Neugebauer

Ein pflegeleichter Mensch war er sicher nicht, dieser Wolfgang Amadeus, das Wunderkind aus Salzburg, der Star-Komponist seiner Zeit. Ein Arbeitstier und ein Dickkopf, ein Bohémien und ein Großverdiener, ein halsstarriges Genie und ein leichtsinniger Vogel – all das war dieser Mozart, der zwischen 1780 und 1790 als musikalisches Ausnahmetalent in Wien Furore machte. Ein unbequemer Querdenker und ein charmanter Provokateur, nicht nur in den hinreißend obszönen Briefen an die Cousine Anna Thekla, sondern auch in vielen seiner musikalischen Schöpfungen. Dass Mozart sich vom Werk eines anderen Provokateurs, nämlich dem des Franzosen Pierre Caron de Beaumarchais, mächtig angezogen fühlte, kann von daher nicht wirklich verwundern. Von dessen Komödie „Die Hochzeit des Figaro“ sprach im Erscheinungsjahr 1784 alle Welt. Beaumarchais, notorischer Abenteurer und Geheimagent, aber auch gelernter Uhrmacher und in späteren Jahren Dramatiker sowie Harfenlehrer der Prinzessinnen von Frankreich, hatte sein berühmtestes Bühnenstück mit so viel sozialem Sprengstoff aufgeladen, dass es zum Skandal der Saison avancierte und zeitweise verboten war. Zu keck und vorlaut erschien der hohen Obrigkeit am Vorabend der Französischen Revolution das einfache Volk im „Figaro“, zu sehr wurde der Adel vorgeführt und lächerlich gemacht, zu fragwürdig erschienen plötzlich Standesgrenzen und Privilegien. Dass Mozart kaum zwei Jahre später ausgerechnet diese zwar geistreiche, aber auch hochbrisante Vorlage vertonen wollte, passt zu dem rebellischen Freigeist: „Das Herz adelt den Menschen“, hatte er, ganz Kritiker des Ancien Régime, schon 1781 an seinen Vater geschrieben, „und wenn ich schon kein Graf bin, so habe ich vielleicht mehr Ehre im Leib als mancher Graf; und Hausknecht oder Graf, sobald er mich beschimpft, so ist er ein Hundsfott.“ Der reformfreudige, wenn auch skeptische Kaiser Joseph II. ließ Mozart gewähren, und so feierte der „Figaro“ als Oper im Frühjahr 1786 am Wiener Burgtheater Premiere – wo ihm allerdings nur ein mäßiger Achtungserfolg beschert war und er nach wenigen Aufführungen wieder vom Spielplan verschwand. Dass er dennoch bis heute seinen festen Platz im Opernrepertoire hat, ist sicherlich Mozarts Fähigkeit geschuldet, einen stichelnden Dramentext in ein anmutiges Tonkunstwerk von zeitloser Raffinesse zu verwandeln.

Doch wie inszeniert man eine starr gegliederte Nummernoper, in der ein heutiges Publikum vor allem einen erotischen Reigen sieht? In der sich Graf und Gräfin, Diener und Zofe, Page und Hofdame in immer komplexeren Liebeswirren verstricken und einander mit Billets, Verkleidungen und fingierten Rendezvous so lange hinters Licht führen, bis sich am Ende alle Verwicklung gegen jede Wahrscheinlichkeit in heiteres Wohlgefallen auflöst? Regisseurin Susanne Gauchel zeigt, wie es geht – nämlich rund: Die entstehenden und sich lösenden, echten und falschen Liebespaare machen sie und Bühnenbildner Thomas Schuster anhand von rollenden, nach zwei Seiten offenen Zimmern sichtbar, die sich wie Dominosteine immer wieder neu aneinander fügen, die von unermüdlichen Bühnentechnikern wie Eisenbahnabteile hin- und hergeschoben werden, in die die Sänger paarweise ein- und aus- und umsteigen, blitzschnell und leichtfüßig – als ergäben sich all diese verblüffenden und mit einem Höchstmaß an Timing und Präzision ausgeführten räumlichen Arrangements ebenso einfach und selbstverständlich wie die wechselnden Paarkonstellationen. Historische Aspekte wie Aufbegehren und Ständeklausel bleiben außen vor, Gauchel lässt gleichberechtigte Menschen auf eine rasante Berg- und Talfahrt durch die Emotionen und die Geschlechter gehen, lässt sie Veränderungen und Überraschungen erleben, für die die flugs zusammengefügten und schon nach ein paar Minuten wieder aufgelösten Bühnenbilder zu sinnigen Metaphern werden. Augenzwinkernd und die Opera buffa gekonnt auf die Schippe nehmend, arbeitet Susanne Gauchel mit dem Tür-auf-Tür-zu der klassischen Farce, ohne dabei in beliebigen Klamauk abzugleiten. So etwas überzeugt bei einer Inszenierung, die nie langweilig wird, die nur sehr wenige, vereinzelte Längen aufweist und bei der alle Beteiligten dafür sorgen, dass der Abend rund wird. Neben der Staatskapelle Weimar unter der Leitung von Stefan Solyom und dem hauseigenen Opernchor sind dies vor allem die Sängerinnen und Sänger. Dem Gesamtkonzept entsprechend agieren sie sehr gleichberechtigt, wird keiner auf Kosten der anderen zum Star des Abends. Gesanglich bewegen sie sich auf unterschiedlichem, insgesamt recht hohen Niveau, am Premierenabend überzeugten in besonderer Weise Elisabeth Wimmer als Zofe Susanna, Carolina Krogius als Page Cherubino, Remigiusz Lukomski als Doktor Bartolo und Larissa Krokhina als Gräfin Almaviva.

Insgesamt ein Abend, der Spaß macht, ohne Tiefgang vermissen zu lassen, der spritzig ist und nicht schal schmeckt und der zeigt, dass zwischen den Polen „hausbacken“ und „überkandidelt“ noch jede Menge Platz für sehr eigenständige Formen des kreativen Ausdrucks bleibt.


Holger Möhlmann - red. 4. Oktober 2010
ID 00000004864
DIE HOCHZEIT DES FIGARO (Deutsches Nationaltheater Weimar, 01.10.2010)
Musikalische Leitung: Stefan Solyom
Regie: Susanne Gauchel
Ausstattung: Thomas Schuster
Besetzung:
Uwe Schenker-Primus (Graf)
Larissa Krokhina (Gräfin)
Elisabeth Wimmer(Susanna)
Philipp Meierhöfer (Figaro)
Carolina Krogius (Cherubino)
Christine Hansmann (Marcellina)
Frieder Aurich (Basilio)
Günter Moderegger (Don Curzio)
Remigiusz Lukomski, Hidekazu Tsumaya (Bartolo)Andreas Koch (Antonio)
Daniela Gerstenmeyer, Malwina Makala (Barbarina)
Oernchor des Deutschen Nationaltheaters Weimar
(Choreinstudierung: Markus Oppeneiger)
Staatskapelle Weimar

Weitere Infos siehe auch: http://www.nationaltheater-weimar.de





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