Schauspiel Köln, Halle Kalk, 22.10.08
Johann Wolfgang Goethe: Faust I
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Bei seiner Hamlet-Arbeit „Ich bin Hamlet“, die im Januar 2008 in der Halle Kalk Premiere hatte, ließ Laurent Chétouane alle Figuren von einem Schauspieler spielen. In „Faust I“ an gleicher Stelle variiert er diesen Ansatz und lässt sechs Darsteller (drei Männer und drei Frauen) Faust spielen – und Gretchen und Wagner und Mephisto sowie die anderen Figuren. Und obwohl Chétouane keinem Schauspieler immer dieselbe Figur zuweist, geht dies nicht zu Lasten des Textes. Nur gelegentlich wird chorisch gesprochen, Überlappungen und eine sprachliche Engführung gibt es gar erst gegen Ende. Zugleich ist es spannend zu sehen, dass die Verteilung des Textes auf viele Schauspieler es möglich macht, viele Facetten der Figur Faust zu zeigen.
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Zu Beginn stellt Chétouane einen Gedankenstrom auf die Bühne, der sich durch verschiedene Sprecher äußert. Dennoch zeigt sich auch, wie stark der Goethe-Text ist, denn spätestens ab dem Auftritt Mephistos wird der Abend situativ, sind Figuren greifbar. Mühelos schlüpfen die Schauspieler dabei von der einen in die andere Figur. Jeder Darsteller hat starke Momente, etwa die Menschenverachtung, die Julia Wieninger in den Monolog „Vom Eise befreit“ legt. Dass man sich selbst schon einmal unbefangen an der erwachenden Natur im Frühjahr erfreut hat, kommt einem in diesem Moment beinahe etwas kleingeistig vor. Oder Patrycia Ziolkowskas intensiv gespielter und ungemein berührender Gretchen-Monolog „Meine Ruh ist hin“. Bei Jan-Peter Kampwirth ist Faust durch Mephistos Zaubertrank dermaßen sexualisiert, dass seine Aufforderung an Mephisto, ihm Gretchen, die Dirne, zu schaffen, wenig von edler Liebe, sondern viel von Triebstau hat – eine herrlich komischer Moment, den Kampwirth grandios ausspielt.
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Nicht nur an dieser Stelle fällt auf, dass Chétouane Goethes „Faust“ sehr genau gelesen hat.
Wie häufig bei ihm steht der Text im Mittelpunkt und er inszeniert ihn – erbarmungslos. Selten springt er, lässt er etwas aus, darunter u.a. die Walpurgisnacht. Das hat schon bei seinem Hamburger „Don Karlos“ vor einigen Jahren zu einer Dauer von fünf Stunden geführt, bei „Faust“ sind es knapp vier. Über manches mag man streiten, manches als zu langatmig empfinden (was vor allen Dingen auf den ersten Teil zutrifft), als intellektuelles Zelebrieren dieses Goethe-Textes. Aber als Verdienst kann es sich diese Inszenierung anrechnen, Gretchen neben Faust zu ihrem Recht zu verhelfen. Eben nicht als Figur, die seinen Lebensweg kreuzt und nur Beiwerk ist zum Sprachfeuerwerk von Faust und Mephisto, sondern die liebt und schnöde im Stich gelassen wird. Selten lag in den nur scheinbar schlichten Worten Gretchens so viel Schönheit, weil Chétouane diese Figur – trotzdem sie von mehreren Schauspielerinnen gespielt werden – und ihr Schicksal ernst nimmt.
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Chétouanes „Faust I“ hat schöne, überraschende und berührende Momente, ist alles in allem aber nicht immer schlüssig. Zumindest zu Beginn wirkt es wie ein Abend auf der Suche – und wenn man dann nicht mehr viel erwartet, spielen die Schauspieler das Stück. Aber bis dahin ist der Weg ein bisschen zu lang, um „Faust I“ eine rundum gelungene Inszenierung zu nennen.
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Karoline Bendig - red / 26. Oktober 2008 ID 4058
Johann Wolfgang Goethe
Faust
Der Tragödie erster Teil
Inszenierung: Laurent Chétouane
Bühne: Patrick Koch
Kostüme: Sanna Dembowski
Musik: Leo Schmidthals
Video: Anna Henckel-Donnersmarck
Mit: Jan-Peter Kampwirth, Eve Kolb, Carlo Ljubek, Christoph Luser, Julia Wieninger, Patrycia Ziolkowska, Jan Burkhardt, Joris Cemlin
Premiere am 17.10.08, weitere Termine am: 26., 31.10., 02., 04.11., 09.11
Die Kritik zu „Ich bin Hamlet“ ist zu finden unter: http://www.kultura-extra.de/theater/feull/ich_bin_hamlet_koeln.php
Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielkoeln.de/stueck.php?ID=134&tID=1065
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