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Schauspiel Köln, Schlosserei

Einzelzimmer (UA)

Amir Reza Koohestani

Dreiecks- Liebesgeschichte zwischen Gespenstern.

Lukas Holzhausen (David) © Klaus Lefebvre

Einzelzimmer: das ist zunächst einmal ein Sarg unter der Erde, in dem David liegt, nur in ein weißes Tuch gewickelt. Wie soll man auch jemandem einen Anzug anziehen, dem ein Arm und ein Bein fehlt. David ist gestorben, weil sein Bruder Johann einen Selbstmordanschlag auf die McFries-Filiale verübt hat, die David geleitet hat. Und weil dieser seinem Zwillingsbruder nicht glauben wollte, dass er eine Bombe dabei hat, sah Johann sich dazu genötigt, auf den Auslöser zu drücken und alles um sich herum in Grund und Boden zu bomben. Oder war vielleicht doch alles ganz anders? Ist David vielleicht gar nicht tot und alles war ein Traum?


Janning Kahnert (Johann) | © Klaus Lefebvre


Koohestani erzählt in seinem Stück „Einzelzimmer“, das er selbst auch in der Schlosserei am Schauspiel Köln in Szene gesetzt hat, weniger die Geschichte eines Selbstmordattentats als die Geschichte einer Familie, genauer gesagt die Geschichte einer Frau und ihrer beiden Söhne. Zwar beschäftigt sich der Abend zunächst mit dem Attentat: In einem langen Monolog der als Bekennervideo beginnt und dann auf der Bühne von der Figur selbst gesprochen wird, erklärt der Selbstmordattentäter Johann die Beweggründe für seine Tat. Ausführlich beschreibt er das Leid des Schafes Dolly, das ihn dazu bewogen hat, ein Zeichen zu setzen. Seine Mutter kommt zu Wort, die den Werdegang ihres einzelgängerischen Sohns zum militanten Vegetarismus schildert. Aber schon in dieser Erzählung rückt ein anderer Aspekt in den Fokus: Die Mutter kann sich nicht erinnern, wer der Vater ihrer beiden Söhne ist. Die Zeugung ist in einer Nacht passiert, in der sie sehr betrunken war. Ihrem Sohn Johann hat, wie er später erzählen wird, der Gedanke gefallen, seine Mutter sei die Jungfrau Maria und er oder sein Zwillingsbruder Jesus. Da Johanns Mutter nicht ertragen kann, dass die Ameisen die Leiche auffressen, holt sie den Sohn aus dem Grab zurück, wäscht ihn in einem Wasserbassin, redet mit ihm, teilt mit ihm ein Bett. Schließlich ist sie so nicht allein und schweigsam sei Johann ja immer schon gewesen.


Janning Kahnert, Susanne Barth | © Klaus Lefebvre


Koohestanis Inszenierung ist unaufgeregt und auf den Text fokussiert. Zwar gibt es Videoprojektionen und Offkommentare von einem Galeristen und einer Ameise, aber
ansonsten beschränkt sich Koohestani darauf, die Schauspieler ins rechte Licht zu rücken, das oftmals ein vereinzelter Spot ist. Nie sieht man als Zuschauer den kompletten Bühnenraum, sondern nur einzeln ausgeleuchtete Orte: die quaderförmige Einlassung in einer Mauer, die Davids Sarg markiert, ein hochkant aufgestelltes Bett, in dem Mutter und der tote Sohn liegen, oder ein längliches Wasserbassin.
Niemand schreit, jeder spricht ruhig seinen Text. Das wirkt zu Beginn beinahe dokumentarisch und ist über weite Strecken des Abends auch sehr statisch. Ein wirkliches Spiel zwischen den Schauspielern entsteht nicht. Dennoch hört und sieht man gerne zu. Susanne Barth setzt wirkungsvoll ihr Gesicht ein und verkörpert überzeugend die Rolle einer einsamen alten Frau, die ein merkwürdiges Leben geführt hat und in deren Schlafzimmer immer nur ein Einzelbett stand, seitdem ihr Sohn sich erinnern kann. Anja Herden lässt ihre dunkle Stimme spielen. Ihr nimmt man sowohl ab, eine Ameise mit einem fatalistischen Blick auf die Welt zu sein als auch eine Frau, die von David schlecht behandelt wurde, jetzt aber nur noch mit kopfschüttelndem Bedauern auf ihn herabsieht. Der einzige, der ein wenig Fassungslosigkeit zeigt, ist Lukas Holzhausens David. Er kann nicht begreifen, dass er in einem Sarg liegt, keinen Anzug trägt und dass seine Mutter seinen Bruder wieder ausgegraben hat, ihn selbst aber nicht. Janning Kahnert gibt den kühlen Überzeugungstäter, der in aller Ernsthaftigkeit das Schicksal eines Schafes erzählt, das eher absurd als tragisch ist. Am besuchten Abend wirkte er allerdings ein wenig unkonzentriert.
Wie selbstverständlich reden in „Einzelzimmer“ die Toten. Aber die Mutter hört den Sohn nicht. Monologe überwiegen, und wenn zwei Menschen reden ergibt das bei Koohestani noch lange keinen Dialog. Am ehesten gelingt das noch David und der jungen Frau, die ihn verachtet. Die Figuren sind über weite Teile des Abends für sich, eine Beziehung zum anderen entsteht nicht. Eine Kommunikation miteinander ist erst möglich, als alle tot sind und mit Engelsflügelchen an den Bistrotischen in der umgestalteten McFries-Filiale sitzen, wo jetzt auch vegetarische Menüs auf der Speisekarte stehen. Mutter und die beiden Söhne sind an einem Tisch vereint, die Rollen sind verteilt und ein nicht vegetarischer Burger liegt zum Verzehr bereit.
Ein konzentrierter, verwirrender und anregender Abend, der trotz der Thematik auch immer wieder komisch ist.


Karoline Bendig - red / 8. Dezember 2006
ID 2839
Einzelzimmer
Von Amir Reza Koohestani
Deutsch von Mitra Nadjmabadi


Regie: Amir Reza Koohestani
Bühne und Kostüme: Mitra Nadjmabadi
Besetzung: Susanne Barth (Die Mutter), Anja Herden (Die junge Frau), Janning Kahnert (Johann), Lukas Holzhausen (David)

Premiere am 17.11.2006


Weitere Aufführungen:
Schlosserei • 12. Dezember 2006; 18., 25. Januar 2007

Weitere Infos siehe auch: http://www.buehnenkoeln.de/buehnenlite/schauspiellite/index.htm





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