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Premiere 7. Mai 2009, studiobühne köln

Ein ganz gewöhnlicher Jude

ein Monolog von Charles Lewinsky
mit Andreas Schmid

eine Inszenierung von Bastiane Franke
f&f-produktion und TheaterKunstKöln e.V.
in Kooperation mit der studiobühne köln



Mutmaßungen über Herrn G.

Bescheiden, fast unauffällig macht die Studiobühne Köln, das älteste Universitätstheater Deutschlands, auf die Premiere eines Stückes aufmerksam, das ebenso galant wieder von der Bühne verschwindet, wie es auf ihr inszeniert wurde. Galant, das Wort mag insofern angemessen sein, als das Stück den Titel "Ein ganz gewöhnlicher Jude" trägt, und somit das Bild vom ewigen Juden heraufbeschwört, von der ewigen Sonderstellung, vom ewigen Samthandschuh.
Worum es eigentlich geht, fragt man sich, und ob diese Produktion wirklich so spannend und innovativ ist, wie sie einen hoffen lässt - angesichts der endlosen Debatte um die uralte Frage "Wer darf sich eigentlich Jude nennen?", angesichts solcher Buchneuerscheinungen wie Oliver Polaks "Ich darf das, ich bin Jude".
Worum es geht, das ist schnell erzählt: Emanuel Goldfarb, in seiner Funktion Journalist und in zweiter Instanz "Angehöriger einer bestimmten Glaubensgemeinschaft", erhält aus zweiter Hand die Einladung eines Sozialkundelehrers, in dessen Unterricht als jüdischer Mitbürger aufzutreten; mit dieser Bitte jedenfalls wendet er, ein gewisser Herr Gebhardt, sich an die jüdische Gemeinde der Stadt. Das klingt nach Integration, nach Political Correctness und nach hehren Absichten, das klingt aber auch nach Nix-Verstanden-Haben, nach falschem Respekt und nach Behandlung als Anschauungsobjekt. So sieht es immerhin Goldfarb selbst, und in dem vom Schweizer Charles Lewinsky verfassten Monolog lässt Regisseurin Bastiane Franke hier den Schauspieler, Regisseur und Theaterpädagogen Andreas Schmidt in einer einstündigen Tour de Force als ein von Selbstzweifeln zerrissener "Prototyp" eines Juden seine Verteidigungsrede halten. Seine erste und letzte Deklaration, weswegen er es strikt ablehnt, als Vorzeigejude zu fungieren und seine Geschichte zu erzählen. Als "Letzter seiner Art", wie er zynisch und abgeklärt formuliert. Böser Seitenhieb: Der Vergleich mit einem Spitzmaulnashorn.
So beginnt er, und so setzt er auch seine Rede fort, die im Ansatz langatmig erscheint, und doch über kurz oder lang einen subtilen Sog entwickelt. Mit ungewohntem Phlegma und abgestandenen Klischees beginnt und endet das Stück - doch dazwischen liegen 60 furiose Minuten der Selbstreflexion und der spöttelnden Kritik, in die sich Goldfarb so hineinsteigert, dass ihm irgendwann die eigene Rhetorik davon zugaloppieren scheint. Und da ist natürlich auch die Wut - jene treibende Kraft, die Lehrstücke wie dieses überhaupt erst möglich und nötig macht. Wie im gleichnamigen Film von Oliver Hirschbiegel aus dem Jahre 2005 mit Ben Becker lastet auch hier die Schwere des Themas auf den Schultern eines Solisten. Dessen Kammerspiel wagt es weder, sich zu über-, noch sich zu unterschätzen. Seine einsame Rede kann gewiss keinen Wiedergutmachungsapparat aus den Angeln heben - doch die guten Absichten des "weltoffenen" Deutschen auf Herz und Nieren zu prüfen, das kann sie.
In der Inszenierung von Bastiane Franke ist der schlichte Rahmen unvermeidlich, die spartanische Einrichtung des Raums. Besondere Beleuchtung wird gar verzichtbar - umso mehr fühlt sich der Zuschauer theaterfremd, und ist vielleicht gerade dadurch näher am Geschehen, und damit in der Erzähl- und Lebenswelt Goldfarbs, die für den Zeitraum einer Stunde nicht mehr und nicht weniger als ein Klassenzimmer ist. Was vermieden werden sollte, wird zur unleugbaren Realität.
Vieler Spezialeffekte, die sonst so manches handlungsarme Stück herausreißen müssen, bedarf es auch nicht: Die parallel zur Erzählung laufende PowerPoint-Präsentation nimmt die Rolle eines zweiten, stummen Sprechers ein, dem ab und zu ebenso sehr die Worte fehlen wie dem Protagonisten selbst. Dieser wiederum ist sich nicht dafür zu schade, seinen Monolog und damit auch die übermächtigen Bilder im Hintergrund mit den kuriosesten Show-Einlagen zu hinterlegen. Er macht seine Sache nicht schlecht, doch wenn er zur Klezmermusik etwas ungelenk das Tanzbein schwingt, möchte man ihm zurufen, aufzuhören - nicht, weil es ungelenk ist, sondern weil diese Art der jüdischen Selbstpersiflage einem irgendwo in der Seele weh tut. Echt wie das wahre Leben da draußen, wo man ohne das Mäntelchen der Toleranz normalen Umgang miteinander zu pflegen scheint, geben sich hier der Klamauk und die Sozialkritik die Hand. Das ist mal vom Ton her fast kabarettistisch, meist aber bitterböse und zynisch.
Nicht ganz klar ist, ob Schmidt in seiner Rolle das Oberlehrerhafte ausreizen soll, oder ob man auf diese gestelzte Redekunst nicht doch besser hätte verzichten sollen. Fest steht, dass kaum ein Faktum zum Thema Jüdischsein zur Sprache kommt, das einem nicht bereits in dieser oder jener Form über den Weg gelaufen ist - und sei es als müder Witz. Lewinsky wirft kein völlig neues Licht auf den deutschen Juden, bzw. auf Deutschland und seine ungezählten Leichen im Keller. "Ein ganz gewöhnlicher Jude" vermag sich selbst scheinbar nur aus seiner ganz gewöhnlichen "Ich klage an"-Position zu retten, indem die Selbstinszenierung gekonnt ad absurdum geführt wird, indem das Wiederkäuen der eigenen Geschichte in eine atemlose, recht spannend zu verfolgende Selbst-Verteidigung mündet. Klug, aber nicht mit erdrückendem Intellekt werden Deutsch- und Judentum seziert; man merkt, dass die Aufführung auf ein junges, neugieriges Publikum zugeschnitten ist. Kein Stück, das frei von Komplexen oder Klischees ist. Aber, gerade angesichts der vielen Gebhardts im Lande, ein wichtiges Stück.
Ab Anfang Mai zieht "Ein ganz gewöhnlicher Jude" dann endgültig aus der Studiobühne in die Klassen der Bundesrepublik. Das Stück versteht sich als interaktiv und lebensnah: Auf einem einmaligen theaterpädagogischen Konzept fußend, liefert es laut Machern sowohl Anschauungsmaterial als auch Diskussionsstoff, wenn es im Rahmen des Politik- oder Religionsunterrichts - man legt sich hier nicht auf ein Fach fest - aufgeführt und im Anschluss bestenfalls besprochen wird. Nach Absprache werden auch Textmaterial für den Unterricht und theaterpraktische Workshops angeboten.
Bei Interesse zu kontaktieren:
f&f production, Bastiane Franke (fundf-produktion@hotmail.de) oder Andreas Schmidt (andreass20@hotmail.com) bzw. die studiobühne köln unter der Telefonnummer 0221 470 4313


Jaleh Ojan - red / 01. Juni 2009
ID 4343
"Ein ganz gewöhnlicher Jude"
ein Monolog von Charles Lewinsky
mit Andreas Schmid
eine Inszenierung von Bastiane Franke
f&f-produktion und TheaterKunstKöln e.V.
in Kooperation mit der studiobühne köln

Weitere Infos siehe auch: http://www.studiobuehne.uni-koeln.de/index.php?option=com_events&task=view_detail&agid=80&year=2009&month=05&day=08&Itemid=56





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