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Neue Stücke

DIE FRAU VON FRÜHER

von Roland Schimmelpfennig


Christian Beermann (Andi), Anja Laϊs (Romy Vogtländer) | Foto © Klaus Lefebvre


Nah herangerückt sind die Schauspieler an die Zuschauer. Die Bühne reicht bis in die ersten Zuschauerreihen hinein und hat nur wenige Meter Tiefe. Man sieht auf eine nackte Wand mit vier weißen Türen. Wohnlich ist etwas anderes. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn Frank und seine Frau Claudia wollen wegziehen, fast das gesamte Hab und Gut befindet sich in einem Container auf hoher See. Der Rest steht in Umzugskartons verpackt neben der Eingangstür.
Diese Umzugskartons werden im Verlauf des Abends mehrmals hin- und hergewuchtet, denn Roland Schimmelpfennigs Stück arbeitet mit Wiederholungen und Zeitsprüngen. Für diese muss die Bühne in den jeweils erforderlichen Zustand versetzt werden, und die dafür notwendigen Umbauarbeiten führen die Schauspieler aus. Kein Lichtwechsel (ein Black etwa) oder eine Projektion erleichtert dem Zuschauer die Unterscheidung zwischen Spielszenen, Umbaumomenten oder das Verständnis, wie sich die einzelnen Szenen zeitlich zueinander verhalten. Und es ist unglaublich irritierend, wenn zwei Figuren eine Auseinandersetzung hatten und kurz darauf die beiden Darsteller dieser Figuren gemeinsam – gewissermaßen Hand in Hand – die Bühne für die nächste Szene bereiten. Besonders bezeichnen ist das beispielsweise, wenn Anja Laïs (Romy) und Sandra Fehmer (Claudia) bei einem Zeitsprung zurück gemeinsam ein Geschenk von Romy wieder einpacken, das Claudia gerade eben ausgepackt hat und durch das sie später sterben wird. Und auch bei den Fotos zur Produktion ist zu sehen, dass offenkundige Umbaumomente Bestandteil der Inszenierung sind. Auf dem Bogen, der dem Programmheft beigegeben ist und auf dem zahlreiche Fotos aufgedruckt sind, sind auch Momente zu sehen, in denen die nächste Szene vorbereitet wird oder in denen sich die Figuren anders verhalten, als sie sich im Stückkontext verhalten würden.



Sandra Fehmer (Claudia), Markus John (Frank)
Foto (C) Klaus Lefebvre


„Ich bin gekommen, um dich zu erinnern“: mit dieser Aussage von einer Frau, die er im ersten Moment gar nicht erkennt, wird Frank an seiner eigenen Haustür konfrontiert. Romy Vogtländer, mit der Frank vor 24 Jahren zusammen war, will ihr Versprechen einlösen, Frank immer zu lieben, und fordert von ihm das Gleiche. Frank muss sich zugleich vor seiner Frau rechtfertigen und ist völlig überfordert. Schließlich gelingt es, Romy abzuweisen, aber kurz darauf trägt Andi, Franks und Claudias Sohn, sie wieder in die Wohnung. Er hat sie mit einem Stein getroffen und verletzt. Und das alles in der letzte Nacht der Familie, die sie in ihrem alten Zuhause verbringt. Zugleich wiederholt sich die Geschichte von Romy und Frank in Andi und Tina. Weil Andi und seine Eltern wegziehen, lässt er sie zurück.

Jürgen Gosch lässt in seiner Inszenierung keine Musik spielen, verzichtet weitestgehend auf verschiedene Lichtstimmung (nur gelegentlich wird das Licht dunkler und dann wieder heller) und vertraut dem körperlichen Spiel seiner Darsteller in einem gnadenlos hell erleuchteten weißen Raum. Es sind vor allem Markus John als Frank und Sandra Fehmer als Claudia, die den Abend tragen. Sandra Fehmer gibt Claudia als eine burschikose, handfeste und emotionale Ehefrau, die ihrem Mann auch mal eine Ohrfeige gibt oder ihm ein Handtuch um die Ohren haut. Markus John ist trotz seiner massiven Körperlichkeit nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen. Gestreng gegen seinen Sohn, dessen Aufsässigkeit er aber nur mit Ohrfeigen begegnen kann, laviert er in Sachen Romy herum. Immer wieder ist er verlegen und gleichzeitig auf der Hut. Wenn er die verletzte Romy in seinen Armen hält, schaut er einmal kurz zur Tür, und das reicht völlig, um zu zeigen, dass seine Frau sich darüber wundern würde, wie er dort mit Romy sitzt, und dass er es auch nicht erklären könnte. Geschmeichelt fühlt er sich von Romys Erinnerungen an die gemeinsame Zeit. Wunderbar, wie er verlegen und schwach vor dieser merkwürdigen Frau steht, an der Tasche ihres Trenchcoats zupft und versucht, sich an einen bestimmten Sonnenuntergang zu erinnern, um dann doch einen aus seiner Phantasie zu erspinnen.



Anja Laϊs (Romy Vogtländer), Markus John (Frank)
Foto (C) Klaus Lefebvre


Über vieles muss man lachen, weil es eben so banal, so alltäglich ist. Frank kämpft mit dem Packband, seine Frau beschwert sich über die schwer bepackten Umzugskartons. Herrlich komisch und zugleich auch traurig geben die beiden ein Paar, das sehr lange verheiratet ist und bei dem dementsprechend einer den anderen sehr gut kennt. Aber es gibt auch sehr liebevolle Momente, etwa wenn Frank entdeckt, dass seine Frau eine bestimmte Tüte all die Jahre aufbewahrt hat. Nachdem Claudia von Romy erfahren hat, stochert sie immer wieder und geradezu lustvoll Franks Vergangenheit herum, provoziert ihn. Ihr ist klar, dass er Schwäche zeigt. Sie fordert schließlich eine Entscheidung von ihm. Als sie in ihre eigenen Wohnung zurückkehrt und die Konkurrentin nicht mehr vorfindet, stellt sie in einem ebenso rauen wie – für sie ungewöhnlichen – hysterisch erleichterten Tonfall fest: „Die neunzehn Jahre Ehe kleben fest. Die kriegst du nicht runter...“ Eine Aussage, die ebenso böse wie wahr ist.

Es ist Gosch zugute zu halten, dass er bei aller Tragik, die dem Stück innewohnt, die Komik nicht zu kurz kommen lässt. Für den Zuschauer gibt es immer wieder Momente der Entspannung. Und diese Komik entsteht nicht nur in den Momenten, die den Familienalltag zeigen, sondern auch in den Umbaumomenten. So begießen sich Anja Laïs und Christian Beermann jeweils mit einer Flasche Wasser, um in der nächsten Szene ein vom Sex verschwitztes Paar zu geben. Überhaupt ist die Akribie und der Einsatz der Schauspieler beim Umbau beeindruckend. Selbst schwere Kartons werden von der Bühne herunter- und wieder hinaufgewuchtet. Manchmal gibt es aber auch – wenig konsumentenfreundlich – minutenlange Leere auf der Bühne, lassen Gosch und seine Schauspieler sich Zeit, bevor sich eine der Türen im Bühnenbild öffnet und das Spiel weitergeht. Auch wenn Schauspieler auf der Bühne sind, passiert gelegentlich lange nichts. So vergeht einige Zeit, bis die verletzte Romy ihre Augen öffnet, als Frank neben ihr sitzt und darauf wartet, dass Claudia mit dem Verbandskasten zurückkommt. Oder man sieht zu, wie Frank und Claudia Umzugskartons aufstellen. Und der Umbau dauert stets so lange, wie er eben dauert, auch wenn dann der Abend etwas hängt. Ganz so geschmeidig wie eine gut geölte Komödie läuft die Inszenierung also nicht ab, und diese störenden Momente sind auch notwendig, um sich vom Bühnengeschehen nicht einlullen zu lassen.

Für die Dramatik des Abends sorgt Romy Vogtländer. Anders als Sandra Fehmers Claudia ist Anja Laïs’ Romy eine irrationale, unbeständige und aufgekratzte Figur, ständig unter Strom. Sie wirkt jünger als das Paar, und überhaupt ist alles an ihr ziemlich kindlich: ihr Glaube an die romantische Liebe, ihre Forderungen, ihre Verzweiflung, ihr Mut und ihre Unsicherheit. Sie bringt Frank in seiner mangelnden Entschlusskraft immer wieder in Verlegenheit. Als sie es bei ihrem ersten Auftritt schafft, an Claudia vorbei in die Wohnung zu kommen, versucht sie, mit ihm zu kokettieren, wackelt mit den Hüften, macht Luftküsschen – eine unverhohlene Provokation für die Ehefrau. Romy will Frank für sich, scheint aber an ihm als Mann gar nicht wirklich interessiert zu sein. In Anja Laïs’ Darstellung wirkt sie immer ein wenig verwirrt, wie von einem anderen Stern. So ganz weiß man als Zuschauer nie, was man von dieser Figur zu halten oder zu erwarten hat.

Christian Beermann gibt überzeugend den „angry young man“, der in der Wohnung seine Zeichen hinterlässt und nicht wirklich weiß, wohin er gehört. Beermann spielt Andi als einen jungen Mann, der beständig unter Druck zu stehen scheint. Etwas undankbar ist die Rolle der besorgten Freundin Tina, die Agnes Mann verkörpert. Ihr gelingt es nicht, ihrer Figur, die sicherlich auch nicht unbedingt die stärkste im Stück ist, ein eigenständiges Profil zu verleihen. Frank kann Romys Ansprüchen letztlich nicht genügen. Am Ende geht sie, allerdings nicht, ohne Spuren von antikem Ausmaß zu hinterlassen. Die Komik des Abends ist dabei längst einer beklemmenden Atmosphäre gewichen.


Karoline Bendig - 29. Oktober 2006
ID 2769
DIE FRAU VON FRÜHER (Schauspiel Köln, 26.10.2006)
Regie: Jürgen Gosch
Bühne und Kostüme: Johannes Schütz
Dramaturgie: Heike Frank
Mit: Markus John (Frank), Sandra Fehmer (Claudia, seine Frau), Anja Laïs (Romy Vogtländer), Christian Beermann (Andi, Franks und Claudias Sohn) und Agnes Mann (Tina, Andis Freundin)
Premiere war am 10. Juni 2006.
Weitere Termine: 02., 08., 16.11. / 01., 16.12.2006

Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel.koeln






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