Afrika (Freitag)
Helmut Krausser im Theater Oberhausen
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Martin Müller, Karin Kettling - Fotograf: Jürgen Diemer
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"Die Gegenwart ist schlingensief, aber davon erholt sie sich wieder" (aus: Afrika (Freitag))
Kunst hat Konjunktur. Die Preise steigen bei den großen Auktionen, die Museen verzeichnen Besucherrekorde und auch im Theater ist das Thema präsent: Yasmina Rezas Stück "Kunst" natürlich, in dem sich an einem monochrom weißen Bild ein Streit entspinnt, Neil LaButes "Das Maß aller Dinge", in dem ein Mensch zum Kunstwerk gemacht wird oder auch Nick Hornbys für die Bühne adaptierte Erzählung "Nipplejesus", in der sich ein Museumswärter Gedanken über Kunst und Leben macht.
Diese Gedanken finden sich auch in Helmut Kraussers jetzt am Theater Oberhausen uraufgeführten Drama "Afrika (Freitag)". Er lässt verschiedene Künstler auftreten, eine Galeristin, Kunstkritiker und einen Käufer. Die Qualität von Kunst wird verhandelt, vor allem aber deren Marktwert. Das schließt den Marktwert des Künstlers selbst mit ein. Aber damit nicht genug: Die Figuren haben vor allem vertrackte Beziehungen untereinander. Die Galeristin hatte eine Liebschaft mit dem ehemaligen Kunstprofessor, der jetzt für eine Boulevardzeitung Kritiken schreibt und Geld für eine Krebsoperation braucht; ebenso aber mit dem Künstler Philip, der immer noch an ihr hängt. Dessen Gegenpart, der Künstler Jacques, dem immer Titel für Bilder einfallen, die er dann nicht malt, konkurriert mit ihm um die Gunst einer jungen Sprayerin, hat aber zu Hause noch eine querschnittgelähmte Frau – "meine Behinderung", wie er sie provozierend nennt. Dann ist da noch Janine, die von der Galeristin geschasste Künstlerin, ein weiterer, ungleich einflussreicherer Kunstkritiker in ewiger Fehde mit dem ersteren, sowie ein Käufer, der nicht weiß, was er von der Kunst halten soll, aber dessen Geld alle Beteiligten am Leben hält. Und und und. Die Dramendichte kann sich mit der einer Soap durchaus messen. Doch die Figuren, so sehr sie hier und da typisch scheinen, sind keine Klischees, keine billigen Parodien.
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Susanne Burkhard, Torsten Bauer, Klaus Zwick, Karin Kettling, Ulrich Haß - Fotograf: Jürgen Diemer
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Dafür sorgen auch die Schauspieler, allen voran Martin Müller, der den Jacques als quirligen, wie auf Koks tanzenden eloquenten Clown spielt, aber immer weiß, wann es genug ist und der Figur zur rechten Zeit Ruhe gönnt, die aufzeigt, dass alles nur Spiel ist, Verkaufsstrategie. Im Verhältnis zu seiner gelähmten Frau kann er grausam sein ohne sein eigenes Leiden zu verstecken. Das hat Tiefe. Torsten Bauer als Philip antwortet auf gleicher Höhe und zeigt einen liebevollen, ernsthaften, vielleicht etwas frühreifen Mann, ohne ihn je kraftlos erscheinen zu lassen oder gar der Lächerlichkeit preis zu geben. Eine Lächerlichkeit am Ende eines verpfuschten Lebens führt Ulrich Haß als Kunstkritiker André vor. Die Verzweiflung, die diese Figur antreibt, überträgt sich und lässt so manchen Lacher im Halse stecken bleiben. Haß beherrscht diese Gratwanderung gekonnt. Karin Kettling als Galeristin Lucy ist die Spinne im Netz des Beziehungsgeflechts, gleichzeitig aber in genau dieses Netz verstrickt. Sie hat einen großen Moment auf der Bühne, als sie sich liebkosend-geil auf die verloren geglaubten Bilder Philips stürzt. Geht es um die Kunst, das Geld, den Künstler? Ein starkes Bild.
Davon hätte es an diesem Abend gern mehr geben dürfen. Aber die Regisseurin Katja Lauken stellt ihre Schauspieler im weißen Einheitsraum (Bühne: Kathrine von Hellermann) meist nur hin. Mitunter mutet es an wie eine Ausstellung plappernder Skulpturen. In solchen Momenten finden Inhalt und Form zueinander. Aber so richtig entschieden ist die Regie dann eben nicht und halbrealistische Arrangements zerstören die Ebene der Stilisierung, ohne je ein mimetisches Spiel wie in einer Boulevardkomödie zu etablieren. Aber das ist dieses Stück auch nicht wirklich. Zwar wird viel gelacht, aber der Text ist überfrachtet mit kleinen Weisheiten, Aphorismen, mitunter Banalitäten, die weder dicht am Thema sind, noch wirklich Handlungs- oder Figurenrelevant. Da sprechen nicht die Figuren, da spricht der Autor. Den Gepflogenheiten einer Uraufführung folgend wurde nicht viel gestrichen im Text. Bei zukünftigen Inszenierungen mag die Regie/Dramaturgie möglicherweise mehr weglassen, ohne dem Stück an sich weh zu tun. An diesem Abend aber wurde ausgerechnet auf die letzte Szene verzichtet. Die, die in Afrika spielt und als Selbstmord des Künstlers Philip deutbar ist. Schade.
Fazit: Nicht alles ist große Kunst an diesem Abend, aber auf jeden Fall sehenswert.
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Sven Lange - red. / 19. März 2007 ID 3072
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