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11. Dezember 2008 in der Studiobühne Köln:

Antigone

von Dariusch Yazdkhasti nach Sophokles

Koproduktion von studiobühneköln und FFT Düsseldorf in Zusammenarbeit mit Het Huis van Bourgondie, Maastricht

Foto: http://www.studiobuehne-koeln.de/



Neogräzistisches Aufmucken

In diesen Tagen, in denen man kaum durchs TV-Programm zappen kann, ohne griechischem Drama zu begegnen, wird in der Studiobühne Köln in Form einer Koproduktion eben dieses bewusst auf die Bühne gebracht. Nur, dass es sich hierbei um uralten Stoff handelt - Sophokles' Antigone wurde vor 2450 Jahren uraufgeführt -, und es um ein rein fiktives, nachdenklich machendes Theaterstück geht, das dessen ungeachtet genügend Potential besitzt, um die Gemüter der Zuschauer wie Sprengstoff zu erschüttern.
Das Ödipus-Drama als Topos, das seine düsteren Schatten schon vorauswirft, ist Epilog und Leitmotiv zugleich: wie kann es anders sein, als dass Antigone, die hier als einziges Kind des Ödipus und der Iokaste leiblich in Erscheinung tritt, gleichzeitig in der Blüte ihrer Jugend und doch bereits dem Tod geweiht ist. Die Geschichte ist so simpel wie vielschichtig und speist sich aus den Themen, die das Tagesgeschehen bestimmen: Recht, Moral, Widerstand und Untergang.
Unfähig, Theben gemeinsam zu regieren, töten die Brüder Eteokles und Polyneikes einander, die Schwester Antigone setzt sich über das Bestattungsverbot hinweg, das Herrscher Kreon über letzteren verhängt hat; den Tod in Kauf nehmend. Die andere, Ismene, scheut sich, Stellung zu beziehen; einzig der Verlobte Haimon bleibt bis zum bitteren Ende ihr Fürsprecher, leidenschaftlich räsonierend, wenn auch nie physisch an der Seite seiner Geliebten.
Der deutsch-iranische Regisseur Dariusch Yazdkhasti beweist in dieser Produktion, die am 10.12. ihre Kölner Premiere hatte, sein Gespür für zerrissene Charaktere, für Ausgestaltung von Raum und Zeit. In einer gewagten Inszenierung lässt er eine Renaissance à la 21. Jahrhundert inmitten von Ziegelsteinhaufen und Bierflaschen entstehen. Die Figuren der Antigone und des Kreon, überzeugend dargestellt von Marie-Thérèse Fontheim und Alfred Sieling, leben die Extreme, kehren entweder ihr Innerstes nach außen und machen sich verletzlich, oder erstarren in einer unbeseelten, erschreckend puppenhaften Form. Das Wechselspiel von konturierten statischen und dynamischen Phasen wird stellenweise überstrapaziert durch die ständige Hervorhebung von Gesetz und Polis. Der schwach eingeblendete deutsche Originaltext scheint das Gefühl zu verstärken, dass sich zwischen Götterwille und Staatsräson zuweilen eine grauenhafte Kluft auftut. So bleiben die Figuren isoliert, sogar labil, und ihre anfängliche Unfähigkeit, zueinander in Beziehung zu treten, wird einzig durch verbale Gewaltausbrüche durchbrochen.
Diese Schlacht um Dissens und Dialektik wird in den Intermezzi perfekt weitergeführt von dem "Chor", in diesem Fall die Alternative Rockband Artwon Artown Artnow, für die man wohl keinen besseren Ersatz hätte finden können. Mit dem erdigen, schweren, doch melodischen Sound demontieren sie förmlich die bereits angeschlagene, zerbröckelnde innere Logik des griechischen Staatswesens, und darüber hinaus zertrümmern sie die Fassungslosigkeit des Einzelnen, treten in den Vordergrund an ihrer statt. Verzerrte Gitarrensoli, peitschende Drums und treibende Basslines untermalen, wie jeder um Souveränität ringt, und gleichzeitig, in den Wahnsinn getrieben, der Katastrophe entgegensteuert.
Ebenso wenig, wie sich Antigone von der Ehrenschuld ihrem Bruder gegenüber lösen kann, gelingt es dem Zuschauer schließlich, im Verlauf des Stücks zwischen Sprechgesang, "Selbstgespräch" und verbalisierter Musik zu unterscheiden. Alles scheint sich ineinander zu fügen, Rocksongs fusionieren mit dem Dramengeschehen, bis sich alles wieder in Luft und Asche auflöst - ist man Teil der antiken Geschichte, oder Open Air 2008? Man weiß es am Ende nicht mehr. Wenn die E-Gitarre verstummt, verfällt auch Kreon schlussendlich wieder in sein anfängliches Stakkato, verkümmert und verblasst zusehends, während Andreas Hilscher als Haimon an seiner Stelle die Bühne, den akustischen Raum ausfüllt. Der physische Tod allerdings wird ausgespart, ein sehr gelungener Kunstgriff.
Um es nun mit den Worten Goethes zu sagen: "Alles Edle ist an sich stiller Natur und scheint zu schlafen, bis es durch Widerspruch geweckt und herausgefordert wird. Ein solcher Widerspruch ist Kreon [...]“ Indem der Mythos, der sich um die Antigone rankt, in der Inszenierung Yazdkhastis teils fast bis ins Unerträgliche in seiner ganzen Ambivalenz darstellt wird - der Spagat zwischen Moral und Unmoral, Bruderliebe und Gehorsam und schließlich die Frage nach dem "Heiligen" selbst - erfahren wir hautnah den Wahrheitsgehalt dieser Worte. Schlafende Hunde soll man bekanntlich nicht wecken - und dies gilt insbesondere für diese Antigone, die grollt und wütet und bis zur letzten Konsequenz nach Gerechtigkeit dürstet.


Jaleh Ojan - red / 13. Dezember 2008
ID 00000004144
Antigone
von Dariusch Yazdkhasti nach Sophokles

Mit: Marie-Thérèse Fontheim, Andreas Hilscher, Alfred Sieling, Tobias Bohlmann, Steven Hein und Maziar Yazdkhasti
Regie: Dariusch Yazdkhasti
Text: Sophokles, in der Übersetzung von Friedrich Hölderlin
Dramaturgie: Matthias Quabbe
Bühne/Kostüm: Katharina Kromminga
Musik: Artwon Artown Artnow
Produktionsassistenz: Monika Martincevic
Koproduktion: FFT Düsseldorf und studiobühneköln

Weitere Infos siehe auch: http://www.studiobuehne-koeln.de/





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