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F.I.N.D. 2014 - Festival Internationale Neue Dramatik

6. April 2014 - Schaubühne am Lehniner Platz

DIESES GRAB IST MIR ZU KLEIN

von Biljana Srbljanović


Der künstlichen Lebenswelt des Mörders Magnotta in MEAT entkommen, wartet noch ein weiterer Mord auf mich, einer der die Geschichte Europas und der Welt auf dramatische Weise beeinflussen und für die Begründung der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts herhalten sollte. Die Rede ist vom Attentat am österreichischen Kronprinzen Franz Ferdinand und seiner Gattin - just vor 100 Jahren in Sarajevo von jungen serbischen Nationalisten verübt. Ein Ereignis, das Österreich und Deutschland veranlassen sollte, den Ersten Weltkrieg vom Zaun zu brechen. In ihrem 2013 am Schauspielhaus Wien uraufgeführten Stück Dieses Grab ist mir zu klein beschreibt die serbische Dramatikerin Biljana Srbljanović die ganz persönliche Geschichte der jugendlichen Attentäter. Im kleinen Saal der Schaubühne wird es nun einer Werkstattinszenierung der jungen, schon recht erfolgreichen Regisseurin Mina Salehpour gezeigt.

Hier ist die unsichtbare vierte Wand wieder aufgebaut, man kann sogar Schauspieler daran stellen. Die anderen Kollegen lungern auf der Holzschräge herum, die nach hinten durch einen an einer Stelle löchrigen Lattenzaun begrenzt ist, geben launige Kommentare ab oder warten still die Szene beobachtend auf ihren Auftritt. Es herrscht eine zunächst aufgeräumte aber im Laufe der Zeit immer angespanntere Stimmung. Vier junge Menschen serbischer Abstammung verstricken sich im Frühjahr 1914 in Sarajevo in nationalistische Strömungen rund um die studentischen Unruhen gegen die österreichische Besatzung Bosnien-Herzegowinas. Man ist für eine unabhängige jugoslawische Demokratie oder ein großjugoslawisches Königreich, aber in erster Linie ist man stolzer Serbe. Was interessieren da die Forderungen der kroatischen Studenten in Zagreb.

Biljana Srbljanović hat das recht unübersichtliche historische Gemenge aus Hintermännern und Akteuren des Attentats auf fünf Protagonisten zusammengeschrumpft. Der 19jährige Gymnasiast und Mitglied einer proserbischen bosnischen Jugendorganisation Gavrilo Princip (Bernardo Arias Porras) und sein Freund, der ebenfalls 19jährige Druckergeselle Nedeljko Čabrinović (Konstantin Shklyar), bekommen über serbische Geheimdienstler die Nachricht vom Besuch des österreichischen Thronfolgers in Sarajevo zugespielt und beschließen spontan ein Attentat auf ihn. Die Waffen bekommen sie über Danilo Ilić (Tilman Strauß), den Bruder der 15jährigen Ljubica (Luise Wofram), in die beide verliebt sind. Sie mieten ein Zimmer für ihre Treffen im Haus von Ilić, der Verbindungen zum Anführer des serbischen Geheimdienstes Dragutin Dimitrijević Apis (Ulrich Hoppe) unterhält.

Die Rollen sind an die realen Personen angelehnt, die Geschichte, die Biljana Srbljanović erzählt, aber eher fiktiv. Es geht ihr auch nicht vordergründig um die Fakten, sondern um die Menschen hinter der Tat. Die Autorin zeigt in ihrem Stück junge Leute, die aufbegehren, etwas verändern wollen, dabei aber auch naiv und leicht verführbar für nationalistische Ideologien sind. Regisseurin Mina Salehpour befreit die Geschichte vom heroischen Pathos und zeigt junge Menschen, die diskutieren, sich streiten, aber auch träumen und herumalbern. Der ferne Thronfolger ist ihnen nur aus Legenden und Anekdoten bekannt. Blutrünstig wird ein Jagdgelage ausgemalt. Man sitzt gemeinsam erstaunt mit offenem Mund im Kino, neckt sich und fasst dennoch ohne zu Zögern eine folgenschwere Entscheidung. Ein Selbstmordkommando mit Bombe, Pistole und Zyankalikapsel. Ein irrer Duft nach Mandeln.

Mina Salehpour Inszenierung wartet mit farbigen Kostümen, Charleston-Musik, Stummfilm-Slapstick und schnoddrigem Jugendslang auf. Ihre Protagonisten scheinen damals wie heute seltsam aus der Zeit gefallen und bewegen sich dennoch nahe am Abgrund der Realität. Dieses Theater gibt nicht vor, das wahre Leben zu sein. Es zeigt exemplarische Figuren, wie sie in jeder Generation, in jedem Land auftreten können und theatralisiert deren Gefühle, Handlungen und ihr Schicksal. Das Attentat gelingt dann mehr aus Zufall. Die erste Bombe verfehlt noch ihr Ziel, tötet aber die unbeteiligte Ljubica. Die Schüsse Gavrilo Princips sitzen. Da die Zyankalikapseln versagen, werden alle nacheinander gefasst.

Im zweiten Teil des Stücks berichten die Figuren in längeren Monologen von ihrer Haft in der Festung Theresienstadt, Verhören, der Sehnsucht nach Freiheit und den Freunden sowie vom Tod, der sie auf unterschiedliche Weise aber immer einsam und leidvoll durch Hinrichtung oder Krankheit ereilt. Hier schlägt das Stück auch wieder eine Brücke in die Geschichte. Der jugendliche Attentäter Princip wird nach seinem Tod zum Märtyrer und serbischen Nationalhelden stilisiert, sein Grab mehrfach umgebettet. Ein Streitobjekt bis in die Balkankriege nach dem Zusammenbruch von Titos Variante eines geeinten jugoslawischen Staats. Theresienstadt, heute Tschechische Republik, der Ort von Princips Martyrium, wird im Zweiten Weltkrieg als KZ der Nazis wieder Todesort für Menschen anderer Nationalitäten sein. Die Bezüge in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf dem Balkan und ganz Europa sind offensichtlich. Wie sich da die Idee eines großen, europäischen Hauses jenseits von nationalistischem Hass durchsetzen soll, scheint heute mehr denn je schleierhaft.


Bewertung:    
Stefan Bock - 9. April 2014 (2)
ID 7743
DIESES GRAB IST MIR ZU KLEIN (Kleiner Saal, 06.04.2014)
Regie: Mina Salehpour
Bühne Céline Demars
Kostüme Valerie Gasse
Musik Markus Hübner
Dramaturgie Maja Zade
Licht Eduardo Abdala
Mit: Bernardo Arias Porras (als Gavrilo Princip), Konstantin Shklyar (als Nedeljko Čabrinović), Tilman Strauß (als Danilo Ilić), Luise Wolfram (als Ljubica Ilić) und Ulrich Hoppe (als Dragutin Dimitrijević Apis)
Uraufführung am Schauspielhaus Wien war am 16. Oktober 2013
Premiere in der Schaubühne: 6. April 2014
Weitere Termine: 13. + 16. 4. 2014


Weitere Infos siehe auch: http://www.schaubuehne.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de



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