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Heldenplatz

Falk Richter verschneidet Thomas Bernhards Wiener Skandalstück mit eigenen Texten zu den neuen Rechten in Deutschland


Heldenplatz an den Münchner Kammerspielen | Foto (C) Denis Kuhnert

Bewertung:    



1988 zum 100. Jubiläum des Burgtheaters in der Regie des damaligen Burgdirektors Claus Peymann uraufgeführt ist Thomas Bernhards Theaterstück Heldenplatz mittlerweile selbst zum Klassiker geworden. Der österreichische Schriftsteller und Dramatiker hatte das Stück als Auftragswerk im sogenannten „Bedenkjahr“ anlässlich des 50. Jahrestags des Anschlusses Österreichs an Nazi-Deutschland geschrieben. Eine von Bernhards typischen Schimpfkanonaden auf Österreich und seine Landsleute, die ihre nationalsozialistische Vergangenheit nie aufgearbeitet haben. Das Ganze löste einen veritablen Theaterskandal aus, in dem sich der damalige Hausherr Peymann zuweilen immer noch sonnt. Getroffene Hunde bellen, könnte man aber auch sagen. Der Bernhard’sche Rundumschlag verschonte so gut wie niemanden. Und wenn auch keiner mit Namen genannt wird, so sind doch Spitzen auf den damaligen österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim nicht zu verkennen. Ein typisches Beispiel für ungenügende Vergangenheitsbewältigung, war doch bekannt geworden, dass Waldheim seine SA-Mitgliedschaft verschwiegen hatte. Jedoch die österreichische Gesellschaft sah sich parteiübergreifend mal wieder als Opfer und in Bernhard einen Nestbeschmutzer.

*

An den Münchner Kammerspielen nimmt nun der neue Hausregisseur Falk Richter Bernhards Text, um darauf seine Fortschreibung der Geschichte in die Gegenwart aufzusatteln. Nach dem Motto: „Jetzt kommen sie wieder aus ihren Löchern heraus.“ verbindet Richter die Aussagen des Stücks mit eigenen Texten und Text-Videocollagen nach seinem bewehrten Muster der Berliner Schaubühnen-Produktion FEAR (2015), bei der er sich mit Aussagen von AfD-PolitikerInnen auseinandersetzte.

Es beginnt mit einem Zusammenschnitt von originalen Film- und Tonaufnahmen von den am 15. März 1935 auf dem Heldenplatz vor der Wiener Hofburg Hitler zujubelnden Menschenmassen. Danach lässt Richter zunächst den originalen Bernhard in den ersten beiden Szenen spielen. Wolfgang Menardi hat dem Regisseur dazu eine Hausfassade mit großem Fenster und der fragmentarischen Aufschrift in Großbuchstaben „Kammerspiele Schaus“ gebaut, aus der das verstörte Dienstmädchen Herta (Katharina Bach) herausschaut. Davor beschäftigt sich Anette Paulmann als Wirtschafterin Frau Zittel mit den Hemden des Professors Josef Schuster, der durch einen Sprung aus jenem Fenster Selbstmord begangen hat. Paulmann trifft bei ihrem Fastmonolog über die Eigenheiten des sehr pedantischen Hausherrn den Berndhard‘schen Ton, der auch seine Komik hat, sehr genau. Die Übertreibung und die Wiederholung gehören ja zum Stil des Dramatikers, der seinem Text dadurch die nötige Dramatik verleiht. Die vielen Schuhe, die das Dienstmädchen zu putzen hat, können hier auch als Holocaustmetapher gelesen werden. Ein Grabhügel zeigt außerdem, worum es geht, um die Beerdigung des Professors Schuster, der als Jude von den Nazis 1938 aus Österreich vertrieben wurde, nach England emigrierte und dort in Oxford Mathematik lehrte. Gegen den Wunsch seiner Frau nach Wien zurückgekehrt, ist er am stetigen Judenhass der Österreicher verzweifelt. Seine Frau halluziniert in der Wohnung die Schreie der jubelnden Österreicher und ist darüber wahnsinnig geworden.

Vertieft wird das in der 2. Szene, bei der die Töchter des Professors und dessen Bruder Robert durch den Wiener Volksgarten neben dem Heldenplatz von der Beerdigung zur Wohnung zurückkehren. Wiebke Puls führt hier als Anna den hohen Ton der Entrüstung, gegen den Judenhass aufbegehrend, während ihre Schwester Olga eher beschwichtigend wirkt. Thomas Hauser gibt sie halb abwesend und distanziert. „In Österreich musst du entweder katholisch/ oder nationalsozialistisch sein/ alles andere wird nicht geduldet/ alles andere wird vernichtet“, lautet das kategorische Urteil Annas. Der Streit zwischen Anna und dem Onkel Robert, den Wolfgang Pregler gebrechlich auf zwei Krücken spielt, ist der dramatische Höhepunkt vor der Pause. Der alte Mann, der sich vom Übel der Welt auf den Landsitz der Familie zurückgezogen hat, lehnt das Protestieren ab, obwohl auch er darüber klagt, dass alles immer schlimmer wird. Seine sich steigernde Suada über Volk, Politiker und Kirche wird aus dem Off verstärkt, während im Hintergrund Bilder heutiger Naziaufmärsche eingespielt werden.

Wirkt das alles noch wie der Versuch eines textgetreuen Reenactments der in die Jahre gekommenen Peymann-Inszenierung, verschränkt Falk Richter das Stück nach der Pause mit einem Text über die heutige Situation in Deutschland, dem Aufkommen rechtsnationaler Kräfte, wozu er auch gleich die passenden Originalbildern und Töne aus dem braunen Spektrum einspielen lässt. Von Björn Höcke über Andreas Kalbitz und Alice Weidel geht es bis zum Fliegenschiss-Spruch von Alexander Gauland. Aber auch die schwarz-konservativen Politikkreise um CDU/CSU und die liberale FDP bekommen ihr Fett weg als potenzielle Wegbereiter der neuen Rechten. Das nimmt in seiner Zuspitzung durchaus den Ton des Bernhard-Textes auf. Fast agitatorisch dreschen Anne Sophie Kapsner, Bernardo Arias Porras und Knut Berger auf konservative Werteverfechter und rechte Kreise in der Polizei, die den NSU und weitere rassistische Attentate wie in Halle mit ihrer Ablehnung von anders oder migrantisch gelesener Menschen mit ermöglicht haben. Das zieht sich weiter durch die letzte Szene des Stücks mit dem Leichenschmaus im Haus Schuster, zu dem noch Janette Spassowa und Erwin Aljukić als Frau des verstorbenen Professors und ihr Sohn Lucas hinzustoßen. Das Ganze steigert sich dabei immer weiter zur Farce, bis die Rufe vom Heldenplatz wieder ertönen. Richter sieht die Vergangenheitsbewältigung in Deutschland als gescheitert und das Land auf dem Weg in die Katastrophe. Damit ist er ganz bei Bernhard. Dem pessimistischen Urteil muss man sich nicht bedingungslos anschließen. Als nötigen Warnschuss kann man den Abend aber schon verstehen.



Heldenplatz an den Münchner Kammerspielen | Foto (C) Judith Buss

Stefan Bock - 2. Januar 2022
ID 13381
HELDENPLATZ (Münchner Kammerspiele, 29.12.2021)
nach Thomas Bernhard - in einer Fassung mit neuen Texten von Falk Richter

Regie: Falk Richter
Bühne: Wolfgang Menardi
Kostüme: Amit Epstein
Musik & Sounddesign: Matthias Grübel
Licht: Jürgen Tulzer
Video: Lion Bischof
Dramaturgie: Tobias Schuster
Video: Ikenna David Okegwo und Jake Witlen
Mit: Erwin Aljukić, Bernardo Arias Porras, Katharina Bach, Knut Berger, Thomas Hauser, Anne Sophie Kapsner, Annette Paulmann, Wolfgang Pregler, Wiebke Puls und Jeanette Spassova
Premiere war am 4. Dezember 2021.
Weitere Termine: 04., 23.01. / 05., 15., 16.02.2022


Weitere Infos siehe auch: https://www.muenchner-kammerspiele.de


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