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In Godots

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Marcus Bluhm (Estragon) und Bernhard Schir (Wladimir) in Warten auf Godot am Theater in der Josefstadt | Foto (C) Philine Hofmann

Bewertung:    



Es ist wie mit Beethovens Neunter. Man meint, jedes Detail genau zu kennen, und doch gibt es kaum einen namhaften Dirigenten, der sie sich nicht erneut vornimmt, als gäbe es darin noch etwas zu entdecken. So verhält es sich auch mit Samuel Becketts Warten auf Godot, und das, obwohl der Autor sehr präzise Anweisungen hinterlassen und sein bekanntestes Drama selbst inszeniert hat.

Nun also Claus Peymann. Und sage keiner, dass man mit 86 Jahren dement sein müsse. Es gibt unzählige 25-Jährige, die, verglichen mit dem Altmeister, wie Greise wirken. Und die vor lauter Selbstüberschätzung außerstande sind, sich auf ein Stück einzulassen, das inszenieren zu wollen sie vorgeben. Sie halten sich für Autoren und beherrschen noch nicht einmal das Handwerk der Regie. Sie gleichen einem Installateur, der eine Wasserleitung abdichten soll und stattdessen ein ganzes Haus baut, das alsbald zusammenbricht.

Es gibt eine ganze Menge von Interpretationsansätzen für Warten auf Godot. Beckett selbst hat sich stets geweigert, seine eigenen Stücke zu deuten. Aber Kritiker, Wissenschaftler und Regisseure in Ost und West sahen in Godot mal das göttliche Prinzip, mal die Freiheit, mal das regional Erhoffte, mal das global Erwünschte. Vor ein paar Jahren ist dem Franzosen Valentin Temkine eine bis dahin nicht beachtete Stelle in Warten auf Godot aufgefallen, in der Wladimir davon spricht, dass er und Estragon sich vom Eiffelturm hätten stürzen sollen. Wladimir sagt: „Jetzt ist es zu spät. Die würden uns nicht einmal rauflassen.“ Wenn man bedenkt, dass der Zugang zum Eiffelturm zwischen 1940 und 1945 für Juden verboten war, erhält diese Stelle eine ganz konkrete Bedeutung. Dies und eine Reihe weiterer Indizien führen Temkine zu dem Schluss, dass Estragon und Wladimir Verfolgte im besetzten Frankreich sind und Godot einfach ein Bauer ist, „der sich in größte Gefahr begibt und deshalb alle unerlässlichen Vorsichtsmaßnahmen trifft und nur über Botschafter in Kontakt zu Flüchtlingen wie Didi und Gogo tritt, denen er zu helfen versucht“.

So interessant diese These ist: Peymann tut gut daran, sich nicht darum zu kümmern. Er belässt dem Text seine Rätselhaftigkeit und versucht gar nicht erst zu erklären, was der Autor selbst nicht erläutern wollte. Auch eine kurze Hitlerparodie ändert nichts daran.

Dem Regisseur steht ein hervorragendes Ensemble zur Verfügung: Bernhard Schir als Wladimir, Marcus Bluhm als Estragon, Stefan Jürgens als Pozzo und Nico Dorigatti als Lucky. Der gibt herzerweichende tierische Laute von sich, ein Häufchen Elend. Wenn er auf Befehl wie ein Automat denkt, dann ist das nicht komisch, sondern unheimlich.

Der Junge, der zwei Mal eine Botschaft von Godot überbringt, ist in Wien eine Handpuppe. Wladimir spricht ihren Part.

Im besten Sinne unspektakulär ist auch die Ausstattung auf der verschmälerten Bühne des Theaters in der Josefstadt. Im streng geometrisierten, nach hinten offenen Raum herrscht Schwarz-Weiß vor einem zunächst dunkelroten Hintergrund. Nur Pozzo strahlt wie ein Zirkusdirektor in blendendem Rot.

Die Provokation von einst ist nach 70 Jahren zu einem „Klassiker“ geworden. Viel Applaus im voll besetzten Saal der Josefstadt, die Peymann vor vielen Jahren als "verschnarcht" verspottet hat.



Nico Dorigatti (Lucky) und Stefan Jürgens (Pozzo) in Warten auf Godot am Theater in der Josefstadt | Foto (C) Philine Hofmann

Thomas Rothschild – 21. Februar 2024
ID 14619
WARTEN AUF GODOT (Theater in der Josefstadt, 20.02.2024)
Regie: Claus Peymann
Bühnenbild: Paul Lerchbaumer
Kostüme: Su Bühler
Dramaturgie: Jutta Ferbers
Licht: Ulrich Eh
Besetzung:
Wladimir ... Bernhard Schir
Estragon ... Marcus Bluhm
Lucky ... Nico Dorigatti
Pozzo ... Stefan Jürgens
Premiere war am 14. Dezember 2023.
Weitere Termine: 22.02./ 05., 19., 23., 24., 27.03./ 15., 16.04./ 03.-06., 27.05./ 05., 07., 12.06.2024


Weitere Infos siehe auch: https://www.josefstadt.org


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