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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

"Wenn Träume

sterben"
-

bloß nicht!



Plakatmotiv: Uckermärkische Bühnen Schwedt

Bewertung:    



Für auswärtige Theaterfans, die es bis dahin noch nicht geschafft haben sollten, die UCKERMÄRKISCHEN BÜHNEN SCHWEDT (kurz: ubs) besucht zu haben - ich zählte skandalöserweise bis gestern dazu - , hier kurz zusammengefasst, was man zu ihnen wissen sollte (Achtung! diesen Extrakt hat mir die Google-KI ausgeworfen); also:


"Die Uckermärkischen Bühnen Schwedt (ubs) sind ein Theater, das eine breite Palette an Veranstaltungen bietet, darunter Schauspiel, Musical, Konzerte und Shows, und über ein festes Ensemble verfügt. Eine Besonderheit ist die Odertalbühne, eine Freilichtbühne mit über 700 Plätzen, die eine malerische Kulisse an der Alten Oder bietet und für Open-Air-Veranstaltungen genutzt wird. Das Theaterhaus selbst wurde von 1974 bis 1978 als Kulturhaus im typischen Stil der Zeit errichtet, um ein vielseitiges kulturelles Angebot für die Region zu schaffen."


Das Haupthaus der ubs mit seinem Großen Saal (832 Plätze) wird ab Januar 2026 bis (voraussichtlich) Dezember 2027 energetisch saniert und bleibt während dieser Zeit geschlossen. Als Ausweichspielstätten stehen während dieser Zeit der Kleine Saal, das sog "intime theater", das Hauptfoyer und die o.g. Odertalbühne zur Verfügung.

Heißt, dass es sich bei der gesterm Abend überschwänglich gefeierten Premiere der Spur der Steine um die letzte Großproduktion des Hauses vor dem Sanierungsstart gehandelt hatte. Fast dreieinhalb Stunden dauert das "Schauspiel mit Musik" nach der Romanvorlage von Erik Neutsch (1931-2013) in der neuen und (allein vom Hören her) gelungenen Bühnenfassung der Dramaturgin Sandra Zabelt, und außer festen Ensemblemitgliedern inkl. vier Live-Musikern spielten Darstellerinnen und Darsteller der Bürgerbühne Schwedt e.V. dort mit; und es gelang sonach ein berückendes, beglückendes und aufwühlendes Gaudium sondergleichen.

Noch bevor es richtig losging, richtete André Nicke, der Regissseur und Künstlerintendant in Personalunion, paar einführende Sätze ans Premierenpublikum. Es war ihm ein persönliches Bedürfnis darauf hinzuweisen, dass die Inszenierung im übertragenen Sinne auch mit seiner verstorbenen Mutter (der er diese Arbeit im Nachhinein widmete) zu tun hätte; ihre durch zwei bzw. drei politische Systeme im Vor- und Nachkriegsdeutschland geprägt gewesene Biografie könnte derjenigen der weiblichen Hauptfigur des Stücks - der Ingenieurin Katrin Klee - verwandt gewesen sein; dann nannte er noch ein paar biografische und autobiografische Details aus ihrem Leben, und das alles, und v.a. wie er es zu uns & mir herüberzubringen verstand, war schon von einer Suggestivität, die mich stark anrührte, ja und es stimmte in der Tat vorzüglich auf den nachfolgenden langen, langen Abend ein...

*

Die fast automatische Assoziation bei mir, als ich die Produktion mehr durch Zufall im Internet entdeckte und sofort in die Spur gegangen war, um für sie noch eine Karte zu erhalten, war der gleichnamige DEFA-Kultfilm mit Manfred Krug (den kann man derzeit sowohl auf Prime als auch auf ARDplus streamen) - der hat inzwischen 59 Jahre auf dem Buckel, wurde von der damaligen SED-Führung verboten und wanderte (bis zur Wende 1989/90) in den "Giftschrank"...

Worum geht es?


"Spur der Steine erzählt von einer Aufbaugeneration, die etwas Neues schaffen wollte – ohne zu beschönigen oder in eine nostalgische Rückschau zu verfallen. Im Zentrum stehen zeitlose Fragen, die auf ganz unterschiedlichen Ebenen erzählt werden. Wie kann ein selbstbestimmtes Leben aussehen, wie geht man damit um, wenn die eigenen Ideale an den engen Grenzen der Realität zu scheitern drohen? Die Produktion hat auch viel mit der Geschichte der Stadt Schwedt selbst zu tun: Schwedt erfuhr mit der Ansiedlung von industriellen Anlagen wie der PCK Raffinerie in den 1960er Jahren einen immensen wirtschaftlichen Aufschwung, wurde aus dem Nichts aufgebaut. Das Kreiskulturhaus, heute Heimat der Uckermärkischen Bühnen und 2021 als bedeutendes Zeugnis der Ostmoderne unter Denkmalschutz gestellt, wurde in den 1970er Jahren als Zugeständnis an eben diese Aufbaugeneration errichtet. Teile der Verfilmung von Frank Beyer entstanden in den Industrielandschaften der Stadt." (Quelle: theater-schwedt.de)


Rein zwischenmenschlich kristallisierte sich nach und nach die zum einen gelebte und schlussendlich gescheiterte Berufs- und Liebesbeziehung des Protagonistenpaars (Antonia Schwingel als Ingenieurin Katrin Klee und Andreas Philemon Schlegel als Parteisekretär Werner Horrath) heraus; sie kriegt ein Kind von ihm, und er leugnet - aus Karrieregründen und also Angst vor seiner Parteiführung, die diese "Unzucht" unter Parteimitgliedern nicht zu tolerieren geschweige denn zu gestatten imstande gewesen wäre (Katharina Apitz als stellv. Parteisekretärin Sabine Bleibtreu ätzte das besonders überzeugt!) - die Vaterschaft; das warf und wirft freilich ein niederschmetterndes Licht auf die damaligen Moralvorstellungen der die junge Republik zwar wirtschaftlich aufrichten aber ideologisch drangsalieren wollenden SED-Bonzen in der ostdeutschen Nachkriegsära.

Über all dem Zwischenmenschlichen und dem Betriebs- als wie Parteipolitischen an sich thronte der eigentliche Hauptheld in der Spur der Steine, nämlich Hannes Balla (mit imposanter Physis und der impulsivsten Leidenschaft gespielt von Fabian Ranglack!) - eine von ihrem Wesen her mehr anarchistische Figur, deren (im Roman: sozialistisches) Katharsispotenzial von der Regie gottlob nicht überstrapaziert wurde; kurzum: Balla & Co. (Dominik Fijałkowski, Uwe Heinrich, Dennis Weissert, Piotr Knichalla, Elias Eisold als Ballas Brigade) mischen durch unkonventionelle und teils radikale als auch kriminelle Arbeitsmethoden den sozialistischen Betrieb soweit auf, bis es ihnen und speziell ihm (Balla) arbeits- und parteirechtlich an den Kragen geht und er, vorübergehend freilich nur, kleinbei zu geben scheint. Dass er, ganz nebenbei, ebenfalls in Katrin Klee verliebt war, verlieh ihm zusätzliche Sympathie und Glaubwürdigkeit.

Als cleveres Schmier- und Bindemittel zwischen all den unter- und überschwelligen Handlungssträngen dienten dem Regisseur und seinem musikalischen Leiter (Tom van Hasselt am Klavier) sage und schreibe 24 (!) gesungene Musiknummern, bestehend aus allbekannten Agitprop-Gesängen ("Du hast ja ein Ziel vor den Augen", "Sag mir, wo du stehst", "Die Partei hat immer recht") oder solchen Schlagerschnulzen wie "Ein himmelblauer Trabant", "Gold in deinen Augen" (Frank Schöbel) resp. anspruchsvolleren DDR- Songs wie z.B. Holger Bieges "Sagte mal ein Dichter" oder Karats "Über sieben Brücken musst du gehen" von Helmut Richter [der war dermaleinst mein Dozent für Erzählende Literatur am damaligen Becher-Institut in Leipzig] sowie "Wenn Träume sterben" mit den Puhdys, "Sag ihr auch" mit Gerd Christian oder "Der Apfeltraum" von Renft. Das Ensemble sang das alles lustvoll mit Bravour, Humor und großen, schönen Stimmen, und die insgesamte Stimmung schwappte so im Nu in Richtung Saal, und oftmals klatschte das Publikum im Rhythmus mit; man kannte das, was man schon lange kannte!

*

Der Premierenapplaus nahm und nahm kein Ende...

Standing ovations.



Spur der Steine an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt | Foto (C) Oliver Voigt

* *

Diese in allem erstaunliche Produktion der Schwedter Spur der Steine (mit der Bühne und den Kostümen von Frauke Bischinger) sollte als Mega-Solitär beim 2026er THEATERTREFFEN in Berlin präsentiert werden! Falls sich also das hochehrenvolle Jury-Septett zu einem "begutachtenden" Abstecher in die Uckermark bequemen könnte... Und es würden - für den Fall der Fälle - all die vielen Westberliner oder westdeutschen Theaterfans, die in der langen Pause vor dem Hause der Berliner Festspiele herumposierten und -flanierten, instinktiv noch mehr als je zuvor begreifen, wie der Osten in realo halt so tickte.
Andre Sokolowski - 5. Oktober 2025
ID 15498
SPUR DER STEINE (Theater Schwedt, 04.10.2025)
von Erik Neutsch | Für die Bühne eingerichtet von Sandra Zabelt

Regie: André Nicke
Musikalische Leitung & Einstudierung: Tom van Hasselt
Bühne und Kostüme: Frauke Bischinger
Dramaturgie: Sandra Zabelt
Choreografie: Frank Schilcher
Besetzung:
Hannes Balla, Brigadier ... Fabian Ranglack
Katrin Klee, Ingenieurin ... Antonia Schwingel
Werner Horrath, Parteisekretär ... Andreas Philemon Schlegel
Richard Trutmann, Oberbauleiter ... Uwe Schmiedel
Kurt Hesselbart, Ingenieur ... Benjamin Schaup
Oswald Ziehmer, Brigadier und Mitglied der Parteileitung ... Daniel Richard Bogacki
Gerhard Bolbig ... Dominik Fijałkowski
Franz Büchner ... Uwe Heinrich
Martin Elbers, genannt Hauptmann ... Dennis Weissert
Dieter Jochmann, Genosse ... Piotr Knichalla
Nikolaus Merkwitschka, genannt (der kleine) Nick ... Elias Eisold
Hermann Jansen, Bezirksparteisekretär ... Volker Ringe
Hanna Gossert, Kranführerin und Mitglied der Parteileitung ... Alexandra-Magdalena Heinrich
Sabine Bleibtreu, stellv. Parteisekretärin ... Katharina Apitz
Ziehmers Frau, Krankenschwester ... Kinga Stańko
Volk / Polizist / Arbeiter ... Jürgen Zabelt
Volk / LKW-Fahrer / Arbeiter ... Bodo Brandt und Klaus Rosigkeit
Volk / Kellnerin ... Ursula Fenske
Volk ... Renate Becker
Live-Musik: Sebastian Böhlen (Gitarre), Geoffroy Dabrock (Bass), Tobias Fuchs (Schlagzeug) und Tom van Hasselt (Klavier)
Premiere an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt: 4. Oktober 2025
Weitere Termine: 10., 11., 24., 25.10./ 08., 09.11./ 20., 21.12.2025// 07., 08.02.2026 (im Kleist Forum Frankfurt/O.)

Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-schwedt.de


https://www.andre-sokolowski.de

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