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Premierenkritik

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HOTEL GODESBERG am Theater Bonn


Christoph Gummert, Ursula Grossenbacher, Wilhelm Eilers und Ensemble in Hotel Godesberg am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

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Nicht nur der Verlust der Jugend kann schmerzhaft sein. Wenn lang Vertraute weit weg gehen und man selbst vor Ort bleibt, birgt das auch Kummer und Ödnis. Dann ist es mitunter eine Gabe, geduldig und ehrlich dem Vergangenen zu gedenken; es vermissen zu können. Als Bonn noch Regierungshauptstadt war, ging hier auch die Prominenz ein und aus. Rainald Grebe & Ensemble erzählen in Hotel Godesberg lose eine Geschichte, die inspiriert ist vom Rheinhotel Dreesen. Das heute in fünfter Generation familiengeführte Hotel an der Bad Godesberger Rheinpromenade kann auf zahlreiche prominente Gäste zurückblicken.

Auf der Bühne sieht man in einen Hotelinnenraum. Zu Stückbeginn treten im Schnelldurchlauf prominente Wiedergänger an der Hotelrezeption auf und wieder ab: da werden Liselotte Pulver, Marlene Dietrich oder Greta Garbo kurz wie alte Bekannte begrüßt. Auch der in Bonn geborene Beethoven gibt sich die Ehre und verlangt nach einem Zimmerschlüssel.

Besonders häufig aber wird Hitler als Hotelgast vorgeführt. Als Randbemerkung und Anekdote spielt später eine Hitlerkarikatur (Christoph Gummert) ganz in sich gekehrt mit einem Gummiball. Das verniedlicht und verharmlost den ehemaligen Kunstmaler, der auf menschenverachtende, rassistisch-antisemitische Weise von der Weltherrschaft träumte. Auch der Geschichte des Rheinhotels Dreesen werden diese kurzen, nichtssagenden Szenen nicht gerecht. Immerhin traf sich Hitler hier nachweislich mit Joseph Goebbels oder dem britischen Premierminister, um wichtige Entscheidungen zu besprechen. Später nächtigte übrigens auch Dwight D. Eisenhower, der amerikanische Oberkommandierender und spätere Präsident der Vereinigten Staaten, im Hotel Dreesen. Doch die über hundertjährige Geschichte des Rheinhotels in Rüngsdorf wird ohnehin nur angerissen und nicht richtig ernst genommen.

Eine Windmaschine und ein Pappkarton als Stehpult kommen zum Einsatz, während Collagen und Bilder aneinandergereiht werden. Es wird die ungemütlich-kalte 1970er-Jahre Architektur in Bad Godesberg behandelt, etwa im Einkaufszentrum mit den zahlreichen Dönerbuden. Auch die Vielzahl der arabischen Familien, die heute vor Ort leben, wird platt angedeutet und in knappen Anekdoten thematisiert: „Die müssen doch im Sommer unter ihren Burkas schwitzen.“ Die fünf Darsteller und fünf Statisten stimmen zusammen mit einem Musikquartett alte Rheinlieder an, etwa „Wenn das Wasser im Rhein goldner Wein wär’“. Das Ensemble überlegt, ob der Rheinpegel in Andernach oder bei Leverkusen ähnlich fällt wie vor Ort. Auch Rhöndorf wird erwähnt, während gemeinschaftlich Lokalpatriotismus und Insiderwissen geteilt werden.

Angedeutete Konflikte, Gags oder wechselnde Szenen wirken ein bisschen klischeebeladen, altbacken oder beliebig: Sophie Basse tastet Requisiten auf der Bühne ab, und es erklingen aus dem Off Geräusche aus früheren Zeiten. Später hält sie das Publikum dazu an, zu einer gymnastischen Übung mitzuschnipsen. Sören Wunderlich zeigt als Romeo-Spion und auch später, beim Bergen möglichen Rheingoldes, viel nackte Haut. Ein verkniffener Bischof (Wilhelm Eilers) folgt einem unbedarftem Messdiener mit Blondhaarperücke (Christoph Gummert) auf Schritt und Tritt. Es fallen große Namen wie Genscher oder Marx. Eine Modenschau der Vorwende wird zelebriert. Die Akteure üben eine Handtuchwedel-Choreographie als Saunameister ein. Später werden Projektionen heutiger Geschäftsketten auf die Bühnenwand geworfen und Bandleader Jens-Karsten Stoll wirft Kamellen ins Publikum. Sogar ein alter Underberg-Werbefilm wird in voller Länge abgespielt: „Underberg bannt Unwohlsein und beruhigt.“

Da sind die Statisten dann doch während kurzer szenischer Monologe unterhaltsamer. Mechthild Hammerschmidt schwingt für ihr Alter recht flott das Tanzbein. Die pensionierte Altenpflegerin Sue Schulze erzählt, wie sie Seniorinnen beim Spaziergang im Siebengebirge zu Erinnerungen anregt und zum Fühlen bringt durch gutes Zureden. Rüdiger Brauer berichtet ehrliche Anekdoten aus dem Leben als Crepes- und Würstchen-Verkäufer auf dem Theaterplatz: Eine alte Frau habe auf ihn mit dem Finger gezeigt und ihrem Enkel gesagt: „Pass bloß auf. Wenn du nicht fleißig bist, wird das aus dir.“ Auch Ralf Reifenberg hat mit seiner Glühweinstube ein eigenes Geschäft auf dem Moltkeplatz in Bad Godesberg. Als Teil des Akustik-Duos Rock`n`Roll Maschine performt er einen Song und ruft zugleich dazu auf, die Bad Godesberger Stadthalle zu besetzen; denn hier werde die Heizenergie bei steigenden Preisen verschwendet. Der krönende Gag der Absurdität ist gegen Ende dann jedoch Ulrike Morfopoulos, die im gedehnten Alt oder Mezzosopran in Dauerschleife die Frage ins Leere singt: „Warum ist es am Rhein so schön?“ Als Running Gag antwortet ihr Reifenberg irgendwann: „Wenn du es immer noch nicht weißt, dann weiß ich auch nicht weiter.“ Der Rheinpegel ist hier deutlich gefallen und der eine oder die andere ist froh, das Haus bald wieder verlassen zu dürfen.



Christoph Gummert, Sören Wunderlich, Sophie Basse und Ursula Grossenbacher in Hotel Godesberg am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

Ansgar Skoda - 12. Februar 2023
ID 14045
HOTEL BAD GODESBERG (Schauspielhaus, 10.02.2023)
Regie: Rainald Grebe
Komposition und musikalische Leitung: Jens-Karsten Stoll
Bühne: Jürgen Lier
Kostüme: Kristina Böcher
Licht: Thomas Tarnogorski
Dramaturgie: Male Günther
Mit: Sophie Basse, Wilhelm Eilers, Ursula Grossenbacher, Christoph Gummert und Sören Wunderlich sowie den Live-Musikern Jens-Karsten Stoll, Jasin Mjumjunov, Poolad Torkamanrad und Cristina Ardelean Montelongo als auch den Statisten Rüdiger Brauer, Mechthild Hammerschmidt, Ulrike Morfopoulos, Ralf Reifenberg und Sue Schulze
Premiere am Theater Bonn: 10. Februar 2023
Weitere Termine: 23., 25.02./ 03., 08., 17., 25.03.2023


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de


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