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Premierenkritik

Im Schlauchboot

in Seelennot



Einsame Menschen von Gerhart Hauptmann am Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Arno Declair

Bewertung:    



Wer noch keine Herbstdepression hat, dem sei ein Besuch im Deutschen Theater Berlin empfohlen. Einsame Menschen von Gerhart Hauptmann bietet alles, was es für den gepflegten Suizid braucht. Einen willensschwachen Intellektuellen in der Schaffenskrise, seine ihn geistig nicht fordernde Frau nebst Neugeborenem, konservative Eltern, die ihrem Sohn bescheinigen, nicht von dieser Welt zu sein und ihm empfehlen sich mal bitte zusammenzureißen, sowie eine kurze Liebschaft mit einer Frau im Geiste, die schnell wieder verschwindet, was den depressiven Mann ins Wasser gehen lässt. Das Ganze spielt sich im ausgehenden 19. Jahrhundert in einer einsamen Villa am Müggelsee ab.

Das nicht mehr wirklich zeitgemäße Schauspiel wird trotzdem immer wieder gern gespielt, als Beweis, dass in Liebes- und Beziehungsdingen die heutigen einsamen Menschen nicht sehr viel weiter gekommen sind. Allerdings mit mäßigem Erfolg, was Inszenierungen von Friederike Heller 2011 an der Berliner Schaubühne und eine 90minütige Kurzfassung von Michael Thalheimer 2003 am Deutschen Theater belegen. Wie seinerzeit Michael Thalheimer (unter Mitwirkung des jetzigen BE-Intendanten Oliver Reese) hat nun auch Daniela Löffner eine moderne Fassung für ihre Inszenierung in den Kammerspielen des DT geschaffen. Zudem dreht sie zwei Rollen genderausgleichend um.

Das soll die Sache interessanter machen. Der Malerfreund des Hauptprotagonisten Johannes Vockerat (hier gespielt von Marcel Kohler) wird zur Malerin Sophie Braun (Franziska Machens), und die Johannes den Kopf verdrehende Studentin aus Zürich heißt nun Arno Mahr (Enno Trebs) und ist ein junger Professor für feministische Zukunftsforschung, der zwischen Stanford und Zürich mal eben einen Kurzbesuch bei Sophie auf dem Land macht. Dieser Aufenthalt verlängert sich dann doch etwas sehr, was Johannes' Frau Käthe (Linn Reusse) und die sie nach der Geburt des Sohnes unterstützende Mutter Eva (Judith Hofmann) veranlasst, den ungebetenen Besuch schnellstens wieder loszuwerden.

Vor der Pause dreht es sich im Grunde nur darum, wie eingeengt sich der blockierte Schriftsteller und Neuvater Johannes zwischen Frau und Mutter fühlt, wie sie ihm in seinen Augen mit Bagatellen die Inspiration rauben und dem sich geistig und zunächst noch etwas verklemmt körperlich zu Arno hingezogen Fühlenden sein Glück neiden. Ein „seid fidel“ soll da wohl wie ein „keep cool“ rüber kommen. Aber in Sprache wie Gestik verheddert sich hier nicht nur der in Gefühlsdingen aufgeregte Hausherr, selbst in einem mit Vorwürfen wie „Du bist so ein Kompromissler“ gespicktem Streitgespräch mit Sophie vergreift sich die Regieautorin Löffner etwas im Setzkasten für well-made Konversation. Das Stück bekommt auch merklich Schieflage beim Schlingern zwischen dem Anspruch das Elend der Frauenfiguren, vor allem das der Ehefrau, am Rande des Elends einer Männerfigur zu erzählen. Zudem zieht sich die Inszenierung, noch dazu unterstützt von surrealen Wasserspielen am schwarzen Treppenbühnenbild von Wolfgang Menardi, bedächtig in die Länge.

Man sollte diese einsamen Menschen aber nicht gleich ganz abschreiben. Nach der Pause entladen sich die fast zwei Stunden aufgestauten Gefühle von Johannes und Arno in einer 20minütigen Liebesszene, die die beiden vom Tisch über ein Schlauchboot bis in die Höhen einer der Treppen treibt. Das hat durchaus Potential als längste schwule Liebesszene in die Theatergeschichte einzugehen. Danach herrscht dann allerdings wieder Ernüchterung. Vom Berg der Liebe ist man im Tal der Einsamen angekommen. Und so sitzen alle mehr oder weniger lonesome in dem sich nach hinten öffnenden und selbst spiegelnden Treppenbühnenbild herum. Man meint zunächst, nun wäre die betrogene Ehefrau reif für die Überdosis Psychopharmaka. Wenn Männer sich lieben, leiden die Frauen. Ehrlich? Nachdem Arno aber endlich hinauskomplimentiert ist, erfüllt sich doch stückgetreu das Schicksal von Johannes. Das Deutsche Theater wartet demnächst noch mit den Russen Dostojewski, Tolstoi und dem nicht weniger depressiven Norweger Jon Fosse auf. The Torture never stops.



Einsame Menschen von Gerhart Hauptmann am Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Arno Declair

Stefan Bock - 30. Oktober 2021
ID 13258
EINSAME MENSCHEN (Kammerspiele, 29.10.2021)
Regie: Daniela Löffner
Bühne: Wolfgang Menardi
Kostüme: Carolin Schogs
Musik: Matthias Erhard
Dramaturgie: Sima Djabar Zadegan und Juliane Koepp
Licht: Thomas Langguth
Mit: Judith Hofmann, Marcel Kohler, Franziska Machens, Linn Reusse und Enno Trebs
Premiere war Deutschen Theater Berli: 29. Oktober 2021
Weitere Termine: 30.10. / 03., 11., 25.11.2021


Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/


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