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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

In einer

launigen Revue

am Berliner

Ensemble gibt

Suse Wächter

im Geiste Brechts

ein Best-of ihrer

Puppenspiel-

Kunst.



Brechts Gespenster am Berliner Ensemble | Foto (C) Jörg Brüggemann

Bewertung:    



Mit den Gespenstern am Berliner Ensemble ist das so eine Sache. Erst hätte der damalige Kulturstaatssekretär Tim Renner am liebsten den Geist von Claus Peymann nach dessen Abgang am Schiffbauerdamm ausräuchern lassen. Nun holt der jetzige Intendant Oliver Reese einen noch älteren Geist des Hauses wieder auf die Bühne zurück. Genauer gesagt im Puppenformat aus dem schier unerschöpflichen Angebot der „Helden des 20. Jahrhunderts“, geschaffen von Puppenspielerin Suse Wächter, die schon seit vielen Jahren mit diesem Fundus die Bühnen des Landes bereichert.

Auf der Vorbühne am großen Haus des Berliner Ensembles hängen diese kleinen und großen historischen Heldenfiguren längst Verstorbener an einem Gerüst und werden von Suse Wächter und ihrem Mitpuppenspieler Hans-Jochen Menzel immer wieder zu neuem Leben erweckt. Eine Brecht-Puppe mit Schiebermütze und Zigarre im Knautschgesicht führt hier in den Abend ein. Brechts Gespenster heißt die Inszenierung, bei der es um ein Theater des Dialogs mit den Toten (Heiner Müller), das Anwesende und Abwesende, sprich um die Dialektik bei Brecht gehen soll. Eine Dialektik die besagen will, wenn etwas weggeredet wird, also infolge abwesend ist, ist es das aber noch lange nicht. Da kalauert sich auch gleich ein Karl Marx, äh, Karl May ins Bewusstsein.

Wächter beginnt ihren Abend aber mit einer kleinen Kafka-Puppe, die aus den Briefen an die langjährige Geliebte Milena zitiert. „Briefe schreiben heißt sich vor den Gespenstern entblößen, worauf sie gierig warten“, sagt dieser kleine Kafka da fast schwebend in den Händen der beiden Puppenspieler. Für Kafka war das ja auch eine durchaus problematische und schmerzhafte Liebe. „Die Geister werden nicht verhungern, aber wir werden zugrundegehn“, heißt es da weiter. Da denkt man noch, es werde sich im Weiteren doch um einen Abend handeln, der sich kritisch den Geistern und dem Geiste Brechts an diesem Haus nähern wird. Aber die Geister scheinen selbst als Puppen ein nicht kontrollierbares Eigenleben zu führen. Ganz witzig ist noch eine Begegnung von Gott und Karl Marx als Zwillingsbrüder-Puppen, sich selbst im anderen erkennend. Opium oder LSD fürs Volk.

Gesungen wird auch viel, was dem Abend einen gewissen Revue-Charakter verleiht. Bevorzugt kommen natürlich Vertonungen von Brecht-Texten zur Aufführung. Für die Live-Begleitung sorgen die Musiker Matthias Trippner und Martin Klingeberg. Sie wechseln vom rockigem Jazz mit starkem Schlagwerk und Bläsereinsatz, wenn eine Henry-Ford-Puppe nicht ganz unironisch den Takt zum Lob des Kommunismus schlägt, zur smoothen Ballade Er rührte an den Schlaf der Welt für eine lässig liegende Lenin-Puppe. Auch nicht so richtig gruseln will man sich bei einer als viktorianisches Knochengespenst ausstaffierten Maggie Thatcher. Die ehemalige britische Premierministerin und Vordenkerin des Neoliberalismus kapert den Brechtsong vom Kommunismus und münzt ihn einfach für sich um. Danach wird die strengt auf links gedrillte Arbeiterfront aus kleinen, gesichtslosen Gliederpuppen, die erst noch Brechts Solidaritätslied gesungen hatten zum Individualismus verführt.

Wenn dann noch der italienische Tenor Pavarotti auftritt und die nach der Wende abgelehnte Kinderhymne darbietet, wird das Publikum doch eher zum Lachen abgeholt. Manche im Saal können die Lieder vermutlich schon mitsingen oder kennen Suse Wächters Puppen aus anderen Vorstellungen. Man darf sogar Wünsche nach oben an die Bühnenrampe richten. Das ist schon etwas herzig und sicher wird an den weiteren Abenden auch noch die ein oder andere Puppe ihren Auftritt bekommen. Das erinnert dann doch schon etwas an eine Art Best-of Suse Wächters Puppenspiel-Kunst.

Der einzige brechtsche Geist des BE ist dann die Puppe des ehemaligen Brechtschülers und langjährigen Intendanten Manfred Wekwerth, und das gleich im doppelten Wortsinn. Als Totengerippe mit Bettlaken und rotem Schädel vertieft er sich erst in ein Pläuschchen mit der ebenso fleischlosen Magret Thatcher und erklärt dann umständlich Brechts V-Effekt. Das ist zwar anrührend komisch und in der Puppenführung wirklich perfekt gemacht, wie Wekwerths Geist hier durch den Saal von Tür zu Tür schwebt und die Lichter flackern lässt, kommt aber über eine lustige Kabarett-Nummer nicht hinaus. Ähnlich ist es mit dem kleinen Mann mit kleinem Säckchen und Portemonnaie, der hier gleich von drei zipfelmützigen deutschen Gartenzwergen dargestellt wird. Da kann man den Ernst hinter der Lage für die prekär beschäftigten Bevölkerungsschichten doch ganz gut weglächeln. Am Ende wird die Bagage noch von Wächters im schönsten Wiener Dialekt plaudernden Sigmund Freud auf die Couch gelegt. Da ist dann aber auch ganz schnell Schluss, bevor es wirklich analytisch werden könnte.



Brechts Gespenster am Berliner Ensemble | Foto (C) Jörg Brüggemann

Stefan Bock - 23. September 2022
ID 13816
BRECHTS GESPENSTER (Berliner Ensemble, 21.09.2022)
Regie: Suse Wächter
Bühne: Constanze Kümmel
Musik: Matthias Trippner
Licht: Steffen Heinke
Dramaturgie: Bernd Stegemann
Mit: Hans-Jochen Menzel, Suse Wächter, Matthias Trippner und Martin Klingeberg
UA war am 21. September 2022.
Weitere Termine: 23., 26.09./ 14., 15., 16., 28.10.2022


Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-ensemble.de/


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