Lucinda Childs
als Gertrude
STEIN
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Lucinda Childs & Miki Orihara | Foto © Jubal Battisti; Bildquelle: radialsystem.de
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Bewertung:
Die US-amerikanische Tanzikone Lucinda Childs (85) - zuletzt war sie mit ihrer Company im Januar 2024 in Berlin, um ihre 1979 uraufgeführte Performance Dance in abermalige Erinnerung zu bringen (ich selbst sah sie nur kurz einmal, dafür aber live, vor sieben Jahren in Bob Wilsons Adams Passion im Konzerthaus am Gendarmenmarkt) - hatte es nunmehr ins Radialsystem verschlagen, um dort ihre neue Arbeit STEIN uraufzuführen; das an sich dürfte bereits als hauptstädtische Hauptattraktion in diesem Sommer durchgegangen sein; vier Vorstellungen waren angesetzt.
STEIN meint die in Pittsburgh (Pennsylvania) geborene und in der Nähe von Paris im Alter von 72 Jahren verstorbene Schriftstellerin, Verlegerin und Kunstsammlerin Gertrude Stein (1874-1946). Sie...
"...zählt wie Virginia Woolf zu den ersten Frauen der klassischen literarischen Moderne. Sie schrieb experimentelle Romane, Novellen, Essays, Gedichte, literarische Porträts und Bühnenwerke, in denen sie sich über sprachliche und literarische Konventionen hinwegsetzte, sodass viele Kritiker und Leser ihr Werk als zu schwierig empfanden, sich darüber belustigten oder es ignorierten. Erst ihr mehr im konventionellen Stil verfasstes Buch The Autobiography of Alice B. Toklas, 1933 in New York veröffentlicht, erreichte einen hohen Bekanntheitsgrad und machte sie zu einer literarischen Berühmtheit." (Quelle: Wikipedia)
Childs und die Tänzerin Miki Orihara (64) sowie der Komponist und Künstler Hans Peter Kuhn (73) widmeten jener Stein [s.o.] ein weniger als eine Stunde währendes und durchaus "biografisch" zu verstehendes Kurzstück in Slow-Motion-Art, ja und das sah und fühlte sich dann so (will sagen: so, wie ich das sah und fühlte) an:
Hinter einer die gesamte Bühnenbreite einnehmenden transparenten Kinoleinwand (auf der sich nach und nach betörend schöne Himmel-, Land- und Wasserlandschaften im Overlay-Stil überlagern) wird ein leerer Stuhl von links nach rechts, so wie von Geisterhand, bewegt. Davor (also vor jenen schönen Himmel-, Land- und Wasserlandschaften) tritt plötzlich, und zunächst fast unbemerkt, die Orihara auf... Und schließlich, irgendwann so kurz danach, erscheint (hinter den schönen Himmel-, Land- und Wasserlandschaften), wie eine aus dem fernen Jenseits auftauchende wunderliche Fee, die Childs und setzt sich auf den Stuhl, ja und man sieht, wie sie sich dabei müht, wie ihr womöglich gar der Altersschmerz in ihren Beinen, ihrem Rücken, ihren Halswirbeln zusetzt. Also:
Die Ältere (auf der Seite hinter der Kinoleinwand) scheint die Stein zu sein, und die Jüngere (auf der Seite vor der Kinoleinwand) das Stein'sche Alter Ego - oder halt was Artverwandteres von ihr.
Und nun setzt mir, der ich den Inhalt und den Sinn der Stein'schen Lyrik Photograph (von 1920) so und so vermag kaum nachzuvollziehen, jede Menge Textzeug zu... Auf der Heimfahrt lese ich es Zeile für Zeile nach, und ich verstehe noch viel weniger als vorher.
Der Kuhn erklärt das phänomenale Missverständnis wie folgt:
"Die Übersetzung der Texte von Gertrude Stein ist fast unmöglich, und der Leser/ Hörer wird um Großzügigkeit gebeten, weil Vieles in den Texten schlichtweg nicht übersetzbar ist, weil es Spiele mit den Buchstabenfolgen oder sonstige Wortverdrehungen sind, die der englischen Sprache immanent sind. Ich bin zwar kein Poet oder sonstwie ausgesprochen dedizierter Sprachakrobat, hab mir aber erlaubt, diesen kurzen Text einer mehr oder weniger nah am Inhalt liegenden Übersetzung zu unterziehen und dabei meinen Humor mit dem von Gertrude Stein zu vermischen. In den Fällen, wo ihre Worte unübersetzbar waren, habe ich entsprechend eigene Wortschöpfungen eingesetzt. Möge mir die Anmaßung vom Publikum und insbesondere von Gertrude Stein verziehen werden.
Juli 2025, Hans Peter Kuhn"
Super! Hat mir total gefallen.
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STEIN von Lucinda Childs | Foto (C) Yan Revazov
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Vor der Pause ließ die Childs dann noch drei ihrer 1970er Alt-Choreografien - Untitled Trio/ Radial Courses / Interior Drama - von fünf Tänzerinnen und Tänzern ihres Dance On Ensembles (und zwar: Javier Arozena, Alba Barral Fernandez, Emma Lewis, Gesine Moog, Lia Witjes Poole) nach Jahrzehnten des Dornröschenschlafes wiedererwecken.
Drei wort- und tonlose "Aufwärmübungen", schier endlos dauernd und stupide obendrein.
Wie drei mal Philip Glass for dancers, nur halt ohne dessen Musik.
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Andre Sokolowski - 26. Juli 2025 ID 15378
LUCINDA CHILDS & DANCE ON ENSEMBLE (Radialsystem, 24.07.2025)
Untitled Trio/ Radial Courses / Interior Drama (1970)
Choreografie: Lucinda Childs
Staging: Ty Boomershine
Performance: Javier Arozena, Alba Barral Fernandez, Emma Lewis, Gesine Moog und Lia Witjes Poole
Licht: Martin Beeretz
Sound: Mattef Kuhlmey
Kostüme: Alexandra Sebbag
Produktionsleitung: Valentina Boroni
Internationale Distribution: FAUVES - Agency for the Performing Arts
Bewegte Einführung: Laura Böttinger
Audiodeskription: Swantje Henke
Eine Produktion von DANCE ON / Bureau Ritter, in Kooperation mit STUK, House for Dance, Image and Sound und den Münchner Kammerspielen
STEIN
Choreografie: Lucinda Childs
Performance: Miki Orihara und Lucinda Childs
Bühne, Video und Musik: Hans Peter Kuhn
Licht: Martin Beeretz und Hans Peter Kuhn
Kostüme: werkstattkollektiv
Technische Leitung: Martin Beeretz
Sound: Mattef Kuhlmey
UA im Radialsystem war am 24. Juli 2025.
Eine Produktion von DANCE ON / Bureau Ritter, in Kooperation mit dem Radialsystem
Weitere Termine: 26., 27.07.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.radialsystem.de
https://www.andre-sokolowski.de
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