Tschechows
Kirschgarten-
Komödie im
heutigen
Brandenburg
TESLA, DIE SPREE UND DER KIRSCHGARTEN von Fritz Kater
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Fritz Katers Tesla, die Spree und der Kirschgarten am Staatstheater Cottbus | Foto (C) Bernd Schönberger
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Bewertung:
Mit Fritz Kater (Autoren-Alter-Ego des Regisseurs Armin Petras) hat sich ein weiterer bekannter Autor mit der Überschreibung eines Tschechow-Klassikers befasst. Tesla, die Spree und der Kirschgarten spielt nun, wie der Titel schon sagt, nicht mehr auf dem russischen Land, sondern bekommt ein Update ins heutige Brandenburg. Im dortigen Grünheide bei Berlin steht seit 2022 die Gigafactory des E-Auto-Herstellers Tesla, in letzter Zeit v.a. durch die Einmischung des US-amerikanischen Eigentümers, Tech-Milliardär Elon Musk, in die deutsche Politik in die Schlagzeilen geraten. Aber auch die Rodung großer Waldflächen für Bau und Erweiterung des Werks, der Streit um die Nutzung von Grundwasser und die Beschäftigungspolitik des Unternehmens stehen in der Kritik.
Es ist kein Geheimnis, dass gerade die brandenburgische Natur stark unter dem Klimawandel zu leiden hat. Wälder und Felder leiden an Wassermangel. Vielerorts droht eine Versteppung der Landschaft. Unter diesen Vorzeichen stellt die Produktion für die Kammerbühne des Staatstheaters Cottbus die Frage: „Wem gehört die Natur und wer kämpft auf welcher Seite mit welchen (demokratischen) Mitteln?“ Aber nicht nur damit beschäftigt sich das Stück, das in einer zweiten Ebene weit in die Zukunft schaut und sich nach der Zerstörung unserer Umwelt auf die Suche nach bewohnbarer Umgebung und lebenswerten Perspektiven sogar ins Weltall aufmacht. Was heute noch Zukunftsmusik ist, wird von Tech-Firmen wie Elon Musks SpaceX bereits massiv vorangetrieben.
Ausstatterin Patricia Talacko hat in die Cottbuser Kammerbühne zwei drehbare Bungalowkulissen gestellt, die vom Ensemble in die jeweilige Spielposition gebracht werden können. Autor Kater hat Tschechows Figuren ins Heute geholt und das Personal etwas umgestellt und verkleinert. Übriggeblieben sind die Schauspielerin Ranewskaja (Susann Thiede), ihr Bruder Michael (Gunnar Golkowski), ihre Tochter Anja (Charlie Schülke), Charlotta, ihre Tochter aus 1. Ehe (Ariadne Pabst) und Lopachin, Charlottas Lebenspartner und Angestellter in der Tesla-Fabrik (Ferdinand Lehmann). Firs ist hier ein Rentner und ehemaliger DDR-Fallschirmjäger in NVA-Klamotten. Er wird genau wie der kunstaffine Dauerstudent Peter in einer comedyreifen Doppelrolle von Kai Börner gespielt.
Die Ranewskaja kommt wie bei Tschechow mit Bruder und Tochter Anja aus Paris. Auch im südlichen Brandenburg steht es schlecht um die Finanzen und das Haus nebst Kirschgarten vor der Zwangsversteigerung. Die Realitätsverweigerung der einstigen, heute kaum noch besetzten Schauspieldiva ist ebenso groß wie ihr Hang in der Vergangenheit zu schwelgen. Genau wie Bruder Michael, ein alternder Buchverleger, der hier wie im Original eine Rede auf den alten Schrank hält. Die Ideen des geschäftstüchtigen Lopachins für Glamourous Camping in Baumhäusern stoßen bei den beiden auf taube Ohren. Das schräge Haus-Faktotum Firs, in zwei Systemen gescheitert, wartet auf das Erwachen des Sozialismus und weiß viel über Gemüseanbau, während Anja und Peter aktiv mit den Umweltaktivisten der Vulkangruppe sympathisieren, was einmal auch ein SEK auf den Plan ruft.
Regisseur Petras lässt in der letzten Premiere seiner Amtszeit als Cottbuser Schauspiel-Kodirektor sein Ensemble an der langen Leine überdrehen. Tschechows Tragikomödie gerät dabei mit dem passenden Zeitgeistvokabular zunehmend zur Gegenwartsfarce. Während die einen übertrieben posen, ergeht sich der verhinderte Macher Lopachin in einem furiosen Percussion-Slapstick, bei dem er neben dem Schlagzeug auch noch die gesamte Kulisse bearbeitet. Seine unglückliche Dauerverlobte Charlotta lässt derweil, auf den Richtigen wartend, ihre Eier einfrieren. Student Peter wird in einer Videoprojektion (Rafael Ossami Saidy) auf den Vorhang im Hintergrund Kippenberger-reif mit Froschmaske ans Kreuz genagelt. Als Firs gibt Kai Börner noch einige DDR-Spruchweisheiten zum Besten. Mit viel Liebe fürs unkonventionelle Theater lässt der Autor und Regisseur seine Personen wie um ihr Leben spielen und trotzdem untätig dem nahenden Unglück entgegentaumeln. Das tritt dann vor der Pause auch als großer Knall mit Atompilz in der Videoprojektion ein.
Nach der Pause startet Anja mit dem Spaceship Enterprise und einem körperlich durchoptimierten Elon-Musk-Lookalike namens Leon Mask (Ferdinand Lehmann) in ferne Galaxien auf der Suche nach einem bewohnbaren Planeten, um dort einen neuen Kirschgarten zu pflanzen, während die Zurückgebliebenen in einem Bunker unter der Erde hausen müssen. Die Szenen wechseln vom All zur Erde und werden zumeist aus dem Bühnenhintergrund mit der Livekamera auf die verbliebenen Kulissen übertragen. Unter der Oberfläche kämpft man ums Überleben und sucht Wege an die Oberfläche zur Flucht in ein anderes Land oder will das alte neu bebauen. Das Raumschiff erreicht derweil einen Mond mit Eismeer, der sich für die Kolonisierung eignen könnte. Die Story ufert nun etwas aus und gerät zur etwas verwirrenden Dystopie- und Scifi-Parodie mit noch ungewissem Ende. Autor Kater wird das noch in zweit weiteren Teilen weiter ins Utopische vertiefen. Teil 2 - future 2 (lose yourself) - feiert bereits in der Regie von Christoph Mehler am 31. Mai in Saarbrücken Premiere.
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Fritz Katers Tesla, die Spree und der Kirschgarten am Staatstheater Cottbus | Foto (C) Bernd Schönberger
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Stefan Bock - 27. Mai 2025 ID 15283
TESLA, DIE SPREE UND DER KIRSCHGARTEN (Kammerbühne, 24.05.2025)
von Fritz Kater nach Motiven von Anton Tschechows Der Kirschgarten
Regie: Armin Petras
Bühne & Kostüm: Patricia Talacko
Lichtdesign: Václav Hruška
Video-Regie & Live-Kamera: Rafael Ossami Saidy
Musik: Kelle
Dramaturgie: Franziska Benack
Besetzung:
Ranewskaja … Susann Thiede
Anja, Ranewskajas Tochter … Charlie Schülke
Charlotta, ihre Tochter aus 1. Ehe … Ariadne Pabst
Lopachin, Charlottas Lebenspartner … Ferdinand Lehmann
Firs, Rentner, ehemals Fallschirmjäger … Kai Börner
Peter, Student … Kai Börner
Muhanad … Piero Echeverriaga Garrido
Leon Mask … Ferdinand Lehmann
UA am Staatstheater Cottbus: 24. Mai 2025
Weitere Termine: 31.05./ 24.06./ 13.07./ 01, 19.11./ 19.12.2025 // 09., 29.01.2026
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatstheater-cottbus.de
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