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Dystopisch, utopisch

LA CLEMENZA DI TITO am Grand Théâtre de Genève

Bewertung:    



Über zehn Jahren ist es her, dass der Schreiber dieser Zeilen Mozarts La clemenza di Tito nicht mehr live auf einer Bühne sah - zuletzt geschah es ihm in Köln (im dortigen Oberlandesgericht), davor in zwei Berliner Aufführungen (als TITUS IM BODE sowie in einer von Philippe Jordan dirigierten und grandios besetzten Vorstellung an der Staatsoper Unter den Linden). Es schien also höchste Zeit diesem vielleicht interessantesten aller Kleingruppenpsychogramme, das das Salzburger Genie in Noten umzusetzen wusste, weitere (oder womöglich sogar neuere) Erkenntnisse abzugewinnen.

Die Gelegenheit bot sich dann gestern Abend während eines Livestreams aus dem Grand Théâtre de Genève, wo sich der Schweizer Milo Rau, welcher v.a. als Dokumentarfilmtheater-Macher über seine Heimat weit hinaus einen beachtlichen Bekanntheitsgrad genießt, als Opernregisseur zum ersten Male ausprobierte.

Und wie fast nicht anders zu erwarten war, ließ er das Stück auch von und mit Migranten spielen; ihre jeweiligen Kurzbiographien (18 an der Zahl) wurden uns Zuschauern per Untertitel, also textlich, nach und nach kommuniziert, zudem wurden im Bühnenbild (von Anton Lukas) Filmeinblendungen gezeigt, in denen sie privat zu uns "herüber" kamen, was dann wiederum als sehr, sehr mitmenschliche, aufwärmende Geste zu verstehen sein sollte und selbstverständlich auch als solche funktionierte. Alles das vollzog sich erst im zweiten Akt des Titus - vorher noch, im ersten Akt, tat Rau dieses privatisierende Prinzip zunächst am sängerischen Personal ausüben; das Gesangs-Sextett stellte sich dermaßen mit seinen jeweiligen Kurzviten und ein paar Statements zu den jeweiligen Rollen, die es spielte, vor; auch das war alles sehr interessant zu lesen und zu hören.




Mozarts La clemenza di Tito (Regie: Milo Rau) am Grand Théâtre de Genève
Screenshot des Livestreams auf gtg.ch v. 19.02.2021


Der Opernplot erfuhr durch Rau eine dystopische und gleichsam (zum Finale hin) utopische Betrachtungsweise. Ort könnte ein Flüchtlingslager mitten in der Stadt (in Genf?) gewesen sein; Zeit wäre demzufolge heutig. Der Beherrscher, ein Diktator und/ oder Despot, begab sich samt seiner Kohorte in den etwas abgelegeneren Abgrund, um sich dort mit einem Scheck von 30.000 Schweizer Franken als ein Gutmensch (Sponsor) anzubiedern, "KUNST IST MACHT" verordnete er "seinen" Flüchtlingen als ihre Flüchtlingsnot vergessen machende Parole... Etwas später, und auch früher schon (noch vor der Ouvertüre), gerieten Dinge völlig außer Kontrolle; es gab eine gewalttätige Organentnahme, Meuchelmord-Aktionen und willkürliche Hinrichtungen zu besichtigen. Und als es Titus letztlich selber an den Kragen ging, schaltete sich der Livestream plötzlich aus, und "Video Alarm Detekted Service Id 1 (31217)" wurde vorübergehend angezeigt. / Sowieso muss man die tontechnische Qualität während des ersten Akts als skandalös bezeichnen - nach der Pause war das Klang-Manko behoben. // Und der zweite Teil vermittelte mit seinem gruppentherapeutischen, gruppenversöhnlichen Herangehen so was wie Alle-Menschen-werden-Brüder-Zuversicht.



Bernard Richter (als Titelheld) in La clemenza di Tito am Grand Théâtre de Genève
Screenshot des Livestreams auf gtg.ch v. 19.02.2021


Ganz nebenbei bemerkt:

Dieses von Milo Rau bevorzugte migrantische Konzept konnte man schon in andern Operninszenierungen (von andern Regisseuren außer ihm) zur Kenntnis nehmen; beispielsweise in dem DOB-Projekt um BABY DOLL von Marie-Ève Signeyrole. Von daher schien diese Idee längst überholt, um nicht zu sagen abgedroschen. Mozarts Titus-Oper machte "es" wohl nicht verständlicher, nein, ganz bestimmt nicht.

*

Gesungen sowie musiziert wurde hochexzellent!!

Bernard Richter (in der Titelrolle), Anna Goryachova (als Sextus) oder Justin Hopkins (als Publius) seien vor allen anderen genannt.

Dass Maxim Emelyanychev in historisch-aufführungspraktischer Hinsicht mehr als wissend ist, entpuppte sich vom ersten Takt an als erwiesen und tatsächlich. Er tat vom Klavier aus dirigieren. Das Orchester de la Suisse Romand folgte den Fingerzeigen des erst 33jährigen mit frohgemuter Leichtigkeit und delikatester Akkuratesse.




Schlussbild aus Mozarts La clemenza di Tito (Regie: Milo Rau) am Grand Théâtre de Genève
Screenshot des Livestreams auf gtg.ch v. 19.02.2021


Andre Sokolowski - 20. Februar 2021
ID 12761
LA CLEMENZA DI TITO (Grand Théâtre de Genève, 19.02.2021)
Musikalische Leitung: Maxim Emelyanychev
Regie: Milo Rau
Bühne: Anton Lukas
Kostüme: Ottavia Castel
Licht: Jürgen Kolb
Video: Moritz von Dungern
Dramaturgie: Clara Pons
Regieassistenz: Giacomo Bisordi
Choreinstudierung: Alan Wood
Besetzung:
Tito ... Bernard Richter
Vitellia ... Serena Farnocchia
Sesto .. Anna Goryachova
Servilia ... Marie Lys
Annio ... Cecilia Molinari
Publio ... Justin Hopkins
Chor des Grand Théâtre de Genève
Orchester de la Suisse Romand
Online-Premiere war am 19. Februar 2021.
Live-Stream v. 19.02.2011 auf gtg.ch


Weitere Infos siehe auch: https://www.gtg.ch/


http://www.andre-sokolowski.de

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