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Filmfestival

Stadt und Land

Halbzeit bei ACHTUNG BERLIN 2015


Bei der mittlerweile 11. Ausgabe des ACHTUNG BERLIN-Filmfestivals lassen sich fast alle der thematisch recht vielgestaltigen Beiträge mal wieder in zwei Kategorien einteilen. Entweder haben die Filme einen direkten Bezug zur Metropole Berlin, oder sie zeigen die dort lebenden Großstädter außerhalb ihres gewohnten Umfelds auf dem Land. So auch im diesjährigen Wettbewerb der Sektion Langspielfilm...



Christian Moris Müller fügt dem obig Gesagten noch eine weitere Möglichkeit hinzu. In seinem Spielfilm Lichtgestalten, der das Festival eröffnete, sperrt der Regisseur den Moloch Berlin konsequent aus dem Setting aus. Den etwas kryptischen Namen „Lichtgestalten“ geben sich das Paar Katharina und Steffen (Theresa Scholze und Max Riemelt), als sie von heute auf morgen beschließen, alle Spuren ihres bisherigen Daseins auszulöschen, um irgendwo anders noch mal neu zu starten. Die beiden Thirtysomethings mit Berufen im Kreativbereich fühlen sich nicht nur ausgebrannt, sie wollen der Eintönigkeit und Vorhersehbarkeit in ihrem Leben und Job entkommen, und deshalb noch mal ganz zurück auf Anfang. Dazu ist es allerdings erforderlich ihren Besitzstand komplett aufzulösen. Die materiellen Dinge, die sie umgeben, und mit denen sie wie verwoben scheinen - die roten Vorhänge im Film sind dafür ein schönes Bild - engen sie ein. Radikale Freiheit verlangt loslassen zu können.

Ihren Ausbruchsversuch halten Katharina und Steffen mit der Videokamera fest. Ein Tagebuch für die Zurückgebliebenen wie das befreundete Pärchen Robert und Paul (Sebastian Schwarz und Max Woelky) - zur Nachahmung gedacht. Demonstrativ zerlegen die Beiden nun das Mobiliar und die Einrichtungsgegenstände ihrer teuren Loft-Wohnung auf der Kreissäge. Steffen verzichet auf den beruflichen Aufstieg, hebt alles Geld von der Bank ab und verteilt es in Plastiktüten in der Stadt. Doch irgendwann verlangt die anfängliche Radikalität ihren Tribut. Letztendlich entsteht bei der Löschung der eigenen Identität auch eine innere Leere, die das Paar mit nichts Neuem anfüllen kann. Die gemeinsame Liebe scheint nicht zu reichen, um den bedingungslosen Neuanfang zu wagen. Der neue Lebensentwurf nimmt außer in den Köpfen der Beiden kaum Gestalt an. Vor allem Steffen scheint noch zu sehr verhangen in den alten Gewohnheiten.

Theresa Scholze und Max Riemelt gelingt es dabei über weite Strecken des Films, die innere Not ihrer Figuren anschaulich zu machen. Allerdings verschenkt in diesem interessanten Gedankenexperiment Regisseur Christian Moris Müller seine Idee immer wieder an filmische Spielereien wie Slowmotion-Einstellungen, Unschärfen, Nahaufnahmen. Überhaupt verliert sich die Kameraführung von Mario Krause, die in den privaten Videoaufnahmen noch sehr rau und direkt ist, in den mit Musik unterlegten Passagen vollends im Künstlichen. Sicher ist der Film dadurch vor allem auch etwas für cineastische Ästheten. Den gedanklich philosophischen Aspekt vermag Müller in den eingestreuten Traumsequenzen, inneren Monolog und Reflektionen seiner Protagonisten kaum näher auszuloten. Der Plot dieses Vier-Wände-Kammerspiels bleibt da leider viel zu vage. Aus einer besenrein leeren Wohnung öffnet sich am Ende der Blick durchs Fenster auf die Stadt Berlin.

Bewertung:    




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„Sarah ist laut, unangepasst, taktlos, ehrlich und provokant. Sie wirkt unverwundbar, doch der Schein trügt. Sarah ist einsam.“ So Regisseur Philipp Eichholtz über die Protagonistin seines ersten langen Spielfilms Liebe mich! Eine Aufforderung, der man zumindest bei der Schauspielerin Lilli Meinhard kaum widerstehen kann. Ihre Sarah allerdings macht es einem in dieser Hinsicht nicht gerade einfach. Sie kann im wahrsten Sinne des Wortes eine rechte Nervensäge sein. Freund Markus (Davide Brizzi) bezeichnet es dann am Morgen nach einer anstrengenden Liebesnacht, an dem ihm Sarah nebst Frühstück am Bett auch noch eine handfeste Debatte serviert, in etwa so: „Du saugst mich aus.“ Er braucht eine Pause und Zeit für sich, was die impulsive Emotionsgranate Sarah reflexartig mit ihrem MacBook als Frisbeescheibe kontert. Ihr angeknackstes Gefühlsleben und die traurigen Reste des Laptops, die sie von der Straße klaubt, soll nun Computernerd Oliver (Christian Ehrich) wieder kitten.

Der Mann hat die Ruhe weg, und zunächst auch ein offenes Ohr und Herz für die Nöte der angehenden Webdesignerin im Abgabestress. Sarah vermietet kurzerhand ihre Wohnung an koreanische Künstler, um das nötige Kleingeld für die Reparatur der gecrashte Festplatte aufzutreiben und zieht spontan wieder bei ihrem „allerbesten“ Papa Dieter (ACHTUNG BERLIN-Urgestein Peter Trabner) ein. Das der mit seiner schwangeren Freundin Natascha (Eva Bay) gerade auf heile Familie machen will, ist der unkonventionellen Tochter dabei ziemlich schnurz. Doch unter der taffen Schale hat Sarah eine ziemlich verletzliche Seele. Hallo Tiefseetaucher, ist ihr stiller Hilferuf, den aber bei dem ganzen Chaos, das die junge Frau veranstaltet, kaum jemand hören kann.

„Von Oma gefördert“, wie es heißt, und gedreht nach den Kriterien des „Sehr gute Filme"-Manifests von Axel Ranisch (der in einer schönen Nebenrolle als Verteiler von Flyern für Singlepartys im Biene-Willi-Outfit auftritt), ist Liebe mich! einer dieser kleinen, feinen, mit nur sechsseitigem Skript auskommenden Lowbudget-Improfilme, die sich die Stadt Berlin als Kulisse erobern und für die man das ACHTUNG BERLIN Filmfestival so liebt. Und mit Lilli Meinhard hat es bereits eine heiße Anwärterin für den neu geschaffenen Darstellerinnenpreis.

Bewertung:    


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Nicht in Berlin sondern in Frankfurt/M ist der Wettbewerbsbeitrag von Regisseurin Maria Hengge angesiedelt. Dabei könnte der Plot von Sin & Illy Still Alive auch gut an der Spree spielen. Allerdings streifen die Protagonisten des Films nicht etwa durch das feine Bankenviertel der Mainmetropole, sondern durch das Sex- und Drogenmilieu rund um den Frankfurter Hauptbahnhof. Die drogenabhängige Sin (Ceci Chuh) versucht zum wiederholten Mal den Heroinentzug und will deshalb der kalten, grauen Stadt auf eine griechische Insel entfliehen. Das Geld für den Flug treibt die junge Frau durch den Verkauf von Blankorezepten auf, die sie in der Arztpraxis ihres Vaters gestohlen hat.

Sin trennt sich von ihrem Freund Leon (Ulrich Fastnacht) und holt die bei ihrem Zuhälter Mesuth (Burak Yigit) rausgeflogene Illy (Cosima Ciupek) vom Straßenstrich. Die Freundinnen kommen allerdings nicht allzu weit. Auf der Suche nach Illys Reisepass stranden die Beiden schon auf einem Dauercampingplatz in der Nähe des Frankfurter Flughafens. Im Wohnwagen von Illys alkoholkranker Mutter (Pascale Schiller) offenbart sich all das Elend aus Sucht und Hoffnungslosigkeit.

Maria Hengge zeigt einen realistischen, schonungslosen Blick auf den endlosen Kreislaufs aus Drogen, Alkohol und Beschaffungskriminalität, dem sich Sin mit letzter Kraft entziehen will, was sie allerdings nur schaffen kann, wenn sie konsequent alle Brücken hinter sich abbricht. Die Reise zum Sehnsuchtsort Griechenland endet für die körperlich vollkommen ausgelaugte Sin erst einmal nur wieder in der Entzugsklinik. Eine beeindruckende schauspielerische Leistung der 24jährigen Ceci Chuh, die gerade erst als Hanna in Moritz Krämers Bube Stur auf der BERLINALE zu sehen war. Die bekannte Berliner Theaterschauspielerin Angela Winkler spielt in einer Nebenrolle als Sins Ärztin.

Bewertung:    




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Ins Brandenburgische führt der Spielfilm Nachthelle von Florian Gottschick. Anna (Anna Grisebach) und ihr jüngerer Freund Stefan (Vladimir Burlakov) fahren zum letzten Mal in Annas Heimatdorf in der Lausitz, das kurz vorm Abbaggern für die Braunkohle steht. Dort treffen sie auf Bernd (Benno Fürmann) und seinen Lebensgefährten Marc (Kai Ivo Baulitz). Anna und Bernd kennen sich seit der Schule und hatten auch eine 4 Jahre dauernde Beziehung, was erst nach und nach herauskommt. Und auch ein weiteres, düsteres Geheimnis aus der Vergangenheit um den Suizid eines Mitschülers holt die Protagonisten ein. Der Psychologe Marc holt mit seinen provokanten Fragen das im Unterbewusstsein von Anne verschütte Trauma langsam wieder an die Oberfläche. Dazu kommen allgemeine Eifersüchteleien und Diskussionen über Treue und freie Liebe. Eine sehr unmittelbare Trauma-Bewältigung bei viel Rotwein und Liedern der Jugend. Das gottverlassene Dorf dient dabei als leere Projektionsfläche für die verlorenen Erinnerungen. Titelgebend schwebt das von Franz Schubert vertont Gedicht "Nachthelle" des österreichischen Dichters Johann Gabriel Seidl wie eine düster romantische Metapher über dem Ganzen.

Regisseur Florian Gottschick hat nach eigener Aussage eine psychotherapeutische Hypnosesitzung bebildern wollen, was ihm im ersten Teil des Films durch die Gespräche der Protagonisten, die vielen Erinnerungsstücke im Haus und Annas geheimnisvolle Träume auch ganz gut gelingt. Allerdings läuft das Experiment irgendwann etwas aus dem Ruder. Nach Siegmund Freuds Theorie trennt sich bei einem Autounfall Annas Ichs vom Trauma-Ich und geistert aus einer anderen Perspektive rückwärts durch den schon bekannten Plot. Das nimmt Anklänge beim Mystery-Genre, wirkt aber auch etwas bemüht. Das Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten nach Freud wird für Annas Doppel-Ich zu einer albtraumhaften aber heilsamen Reise durch die Vergangenheit. In schönen kleinen Nebenrollen sind hier noch Michael Gwisdek und Gudrun Ritter als letzte geheimnisvolle Bewohnerin des bereits wie leergefegten Dorfes zu sehen.

Bewertung:    


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Für Regisseur Tom Sommerlatte gab es schon im Februar auf der BERLINALE einen kleinen Preis. Sein Debutlangspielfilm Im Sommer wohnt er unten, der die Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ eröffnete, erhielt von der Jury des Dialogue en perspective eine lobende Erwähnung.

Familientraditionen und hohe Erwartungshaltungen überschatten das Verhältnis zweier recht ungleicher Brüder. Eine nicht ganz unübliche Konfliktsituation, die hier in dem doch recht idyllischen Sommerdomizil einer deutschen Bankiersfamilie in Frankreich angesiedelt ist. Im elterlichen Ferienhaus hat es sich Matthias (Sebastian Fräsdorf) mit Freundin Camille (Alice Pehlivanyan) und ihrem Sohn Etienne (William Peiro) gemütlich gemacht. Er hält nicht viel von beruflicher Karriere und lebt auf Vaters Kosten in den Tag hinein. Die Ruhe ist vorbei, als Bruder David (Godehard Giese) mit seiner Frau Lena (Karin Hanczewski) eine Woche zu früh ins Idyll mit Swimmingpool platzt. Das recht geschäftstüchtige Alphatier ist ziemlich angespannt, da er wegen des Fortpflanzungswillens seiner Frau und auch geschäftlich stark unter Druck steht. David beginnt sofort Bruder und Freundin zu gängeln und besteht darauf, das Zimmer zu wechseln sowie den Sohn Camilles wegzuschicken.

Der eher antrieblose Matthias lässt sich das zunächst gefallen. Erst als Camille beginnt, David immer wieder erfolgreich herauszufordern, fängt auch er an seine Lage zu überdenken. Es entspinnt sich ein schönes Spiel um Balzgehabe, Eifersucht und Rivalität zwischen den Brüdern und ihren Frauen, das den zentralen Austragungsort Haus und Pool bestens zu nutzen weiß. Es macht Spaß, den beiden Paaren bei ihrem Kampf um männlichen Herrschaftsanspruch und weibliche Autonomie zuzusehen, bei dem die beiden konträren Brüder sich auch endlich wieder etwas näher kommen. Blut erweist sich hier auf eine andere Art dicker als Wasser, und das leidige Geld, das David in Mengen verzockt hat, als ziemliche Erotikbremse. Regisseur Tom Sommerlatte nimmt bewusst auch Anleihen bei bekannten französischen Autoren-Filmen, mixt aber einen ganz eigenen Sommer-Cocktail, der beim Publikum gut ankommen dürfte. Der Kinostart ist für Herbst 2015 geplant.

Bewertung:    




Stefan Bock - 20. April 2015
ID 8588
Weitere Infos siehe auch: http://achtungberlin.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de


ACHTUNG BERLIN 2015:

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= schon gut


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