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Dokumentarfilm

Müdigkeitsgesellschaft - Byung-Chul Han in Seoul / Berlin

Ein filmischer Essay von Isabella Gresser


Bewertung:    



Ein besonderes cineastisches Häppchen, nicht nur wegen seiner leicht verdaulichen Länge von nur 61 Minuten, ist der dokumentarische Filmessay Müdigkeitsgesellschaft - Byung-Chul Han in Seoul / Berlin von der Medien- und bildenden Künstlerin Isabella Gresser. Sie hat den öffentlichkeitsscheuen koreanischen Philosophen Byung-Chul Han über einige Jahre begleitet und legt nun mit ihrem Dokumentarfilm ein erstes sehr persönliches Portrait des seit 30 Jahren in Deutschland lebenden Han und seiner philosophischen Denkweise vor. Keine Bange: Hans überaus freundliches Wesen und seine am konkreten Beispiel der koreanischen Wachstumsgesellschaft leicht verständlich dargelegten Theorien sind selbst für philosophische Laien recht gut nachvollziehbar, was ihnen nicht unbedingt den Anschein des Populären verleiht, auch wenn ihn sein neuer Verlag S. Fischer, zu dem Han vom kleinen Berliner Verlag Matthes & Seitz gewechselt ist, mittlerweile schon als „neuen Star der deutschen Philosophie“ anpreist.

Han kam 1980 nach Deutschland, um Metallurgie zu studieren. Sein Plan war aber immer das Studium der deutschen Literatur und Philosophie, das er mit einer Dissertation über Martin Heidegger in Freiburg abschloss. Sein Referenzphilosoph aber ist, wie er selbst bekennt, Friedrich Hegel - was im Film leider nicht näher ausgeführt wird. Mittlerweile lebt Han in Berlin und hält Vorlesungen in Kulturwissenschaften an der UdK. Isabella Gresser lässt zu Beginn in fast meditativen Schwarz-weiß-Bildern Han selbst in gewohnter Umgebung seines Schöneberger Kiezes aus seinem Leben erzählen. Dabei besucht er Lieblingsorte wie den nahegelegene Friedhof und den Trödelladen an der Ecke, eine „Festung gegen die Konsumgesellschaft“. Han liebt die Ruhe und Weite (oder besser gesagt:) die Leere des Raums als meditativen Inspirationsquell für die Philosophie und Kunst. Und nicht von ungefähr zieht der genaue Beobachter unserer Gesellschaft auch die Inspiration für seine Gedanken aus Werken von Walter Benjamin, Michael Ende oder Peter Handke.

Besonders Peter Handke, der das Drehbuch zu Wim Wenders Filmklassiker Himmel über Berlin schrieb, hat es Han angetan. So führt er uns zur bekannten Brücke aus dem Film in Schöneberg und liest Handkes Eingangsverse Lied über das Kindsein. Zum eigentlichen Kern von Hans Thesen über die moderne Gesellschaft kommt der Film dann bei einer Reise nach Südkorea. Die Kamera folgt dem Philosophen auf seinem Weg durch das winterliche Seoul. Die Menschen in der asiatischen Wachstumsmetropole scheinen einer permanenten Müdigkeit verfallen. Gresser, die auch für Kamera und Schnitt verantwortlich zeichnet, verschneidet Bilder der Seouler U-Bahn mit animierten Schlafenden. Die hochtechnisierte Welt fordert ihren Tribut. Das Projekt Freiheit, das die westliche Welt so geprägt hat, ist für Han gescheitert. „Der Exzess der individuellen Freiheit, erweist sich letztendlich als Exzess des Kapitals.“

Das positive „Yes, we can!“ ist vielen schon zum Verhängnis geworden. Südkorea besitzt die größte Selbstmordrate der Welt. Psychische Krankheiten wie Depression und Burnout sind auf dem Vormarsch. Han referiert über die suggerierte Freiwilligkeit und das ewige Können der Leistungsgesellschaft, das bald mehr und mehr Zwänge zur ständigen Selbstoptimierung erzeugt. Man wähnt sich zwar anfänglich frei, beutet sich aber in Wirklichkeit freiwillig und leidenschaftlich aus, bis man zusammenbricht. Auch hier geht Han zu einer Brücke, an deren Geländer elektronische Spruchbänder mit positiven Botschaften die Lebensmüden vom Sprung abhalten sollen. Sogenannte Selbstmordseminare schießen in Seoul wie Pilze aus dem Boden. Han spricht mit Kunstschaffenden, liest auf Kongressen aus seinem Buch Die Transparente Gesellschaft und besucht buddhistische Klöster.

Den Ausweg aus der „aporetischen Sackgasse“ der neoliberalen Effizienzlogik sieht Han aber nicht einfach nur in der Entschleunigung oder rein taoistischen Philosophieansätzen, sondern in einer freundlichen Müdigkeit. Das gelassene Nichtstun als Quelle neuer Inspiration. Grundlage dafür ist ihm Peter Handkes Essay Versuch über die Müdigkeit. „Die Inspiration der Müdigkeit sagt weniger, was zu tun ist, als was gelassen werden kann.“ Vorrangig meint das natürlich auch den exzessiven Gebrauch der digitalen Kommunikation. Viele haben sich wie Zombies ans Smartphone verkauft und sind mit ihm wie mit einem Körperteil verwachsen, berichtet Han. Was allerdings die wahren Verursacher der Probleme betrifft, da bleibt der Philosoph eher unbestimmt. So erscheint seine transzendente Heilskunde dann auch anfällig für jede Art von Esoterik, die in Westeuropa immer wieder erfolgreich den Blick auf das Wesentliche versperrt. Einer Kritik Hans enthält sich dieses sonst sehr aufschlussreiche Portrait aber völlig.

Auch geht der Film nicht mehr auf seine neuesten Schriften wie etwa Im Schwarm - Ansichten des Digitalen oder Psychopolitik ein, die einen weiteren Bogen von der digitalen Welt zurück in die analoge, z.B. die des Schriftstellers Botho Strauß, schlagen, der sich eher konservativ dem Schwarm des allgemeinen Meinungsgeraunes entzieht und recht elitär vom wissenden „Idioten“ spricht. Philosophie ist für Han aber nicht nur als Orientierungshilfe wie die eines Ratgebers zu verstehen, man muss schon genauer zuhören und selbst weiterdenken. In der Kunst (besonders der darstellenden im Theater) werden Hans Theorien aber bereits rege rezipiert. Am Ende führt der Film zurück nach Berlin auf das weite Tempelhofer Feld, das sich wie ein Tempel der Leere und Stille dem Kommerz entzieht. Ein großes Potential der Hoffnung inmitten der Stadt. Das war dann auch Grund genug für die Ökumenische Jury des ACHTUNG BERLIN-Festivals, dem Film ihren Preis zu verleihen.



Müdigkeitsgesellschaft - Byung-Chul Han in Seoul / Berlin | (C) Isabella Gresser

Stefan Bock - 23. April 2015
ID 8593
Weitere Infos siehe auch: http://achtungberlin.de


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