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Den Alptraum

weglächeln


FRAU F. HAT IMMER NOCH ANGST
von Emre Akal


Frau F. hat immer noch Angst von Emre Akal im Münchner HochX | Foto (C) Judith Buss

Bewertung:    



Es sieht aus wie bei Barbie. Die Bühne ist ein einfaches Zimmer in pink, gelb und türkis. Bett, Tisch, Stühle, Waschbecken, Toilette. Darin wie abgeschnitten von der Außenwelt eine Kleinfamilie. Der ausgestopfte Vater in beige, die Mutter in knallgelb, der Bub in kurzen hellblauen Hosen, die halbwüchsige Tochter Blondie im Minirock. Alle Gesichter geschminkt zu erstarrten Grinsemasken, die Geschlechter vertauscht. Den Vater spielt eine Frau, die Mutter ein Mann usw. Verrichtet werden stumme Erziehungsmaßnahmen und alltägliche Rituale. Starre Bewegungen in slow motion: Um so lauter wirken die künstlich verstärkten Geräusche, die das Essen, das Zähneputzen macht. Knirsch, ritsch ratsch. Die raren Sprechblasen enthalten Floskeln. Es geht zu wie im Comic.

Nur dass diese Szenerie zwar durchaus komisch ist, aber kein Witz. Auf jedes der kurzen Bilder dieses stummen Szenen-Reigens folgt eine Schwarzblende. Dazu ein bedrohlich tiefer Brummton. Und immer wieder taucht eine einsame alte Frau auf, begleitet von einer Stimme aus dem Off. „Sprechen zu verhindern war normal... damals konnte keiner wissen, was es bedeutete, den Mund gehalten zu haben...“ Dazu zeigt der wild herumzappende Fernsehschirm Bildfetzen vom Krieg.

Die Welt soll draußen bleiben. Denn sie scheint im Umbruch. Und ruft diffuse Ängste hervor. So klammert man sich ans Altbewährte. Das Schweigen hat die Musterfamilie von der Kriegs-Generation vielleicht gerade deshalb übernommen. Strafen, Ausgrenzung, Liebe in immer noch patriarchaler Anordnung und wie gehabt ohne Worte. Wo doch was kommen könnte, würgt Schwarz ab. Gerade dann, wenn die vier den Mund öffnen. Wollten sie was sagen? Und was? Wir wissen es nicht. Nur eines können sie: Singen. Singen gegen die Angst. Sicherheitshalber im guten alten Volkslied-Kanon. „Heut kommt der Hans zu mir, freut sich die Lis. Ob er aber über Oberammergau, oder aber über Unterammergau, das ist nicht gewiss...“ Nein, das ist nicht gewiss, wohl aber das dräuende völkische Unheil.

„Erst war's ein leises Flüstern, da hat man noch gefragt“, sagt die Off-Stimme, dann aber sei das Flüstern immer lauter geworden. Geräusche hören sich an, als würde ein Tunnel gegraben. Wird diese Zivilisation ausgehöhlt? Untergraben scheint jedenfalls der Friede, das Idyll. Umso mehr heißt es sich abschotten und Katzenvideos schauen. Mag die Welt draußen auch brennen, im trauten Heim steht die Zeit still und ist sicher. Die Türen müssen nur zu bleiben.

*

Der Autor und Regisseur Emre Akal lebt in München, Berlin und Istanbul und gilt als vielversprechendes Talent. Er erhielt schon 2012 mit seiner ersten Arbeit Die Schafspelzratten eine Debütföderung der Stadt München. Sein Stück Ostwind bekam 2015 den Theaterpreis der Stadt Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg. 2017 gewann er zusammen mit Rieke Süßkow für Heimat in Dosen den Jurypreis des Nachwuchswettbewerbs Theater Drachengasse Wien.

Diesmal erzählt Emre Akal in eindringlichen, fast pantomimischen Bildern, was die Angst mit uns macht. Damals: „Was hätte ich denn tun können alleine gegen den Sturm?“ Aber auch heute, wo es um die eigene, deutsche Identität und Besitzstandswahrung geht. Selbst schuld, wer raus geht auf die Straße und sich überfahren lässt...

Ein theatralisch und musikalisch kompakter Abend auch dank eines hochmotivierten Ensembles, der viele Assoziationsmöglichkeiten entstehen lässt.




Frau F. hat immer noch Angst von Emre Akal im Münchner HochX | Foto (C) Judith Buss

Petra Herrmann - 16. Januar 2019
ID 11152
FRAU F. HAT IMMER NOCH ANGST (HochX, 15.01.2019)
Konzept, Regie und Text: Emre Akal
Dramaturgie: Kai Krösche
Bühne: Sina Gentsch
Kostüm und Maske: Bettina Kirmair
Sound, Komposition und Synchronisation: Greulix und Taison / Portmanteau
Stimmverrichterin: Ruth Geiersberger
Video: Kazim Akal
Licht und technische Leitung: Rainer Ludwig
Mit Julia Carina Wachsmann, Carina Werthmüller, Olaf Becker, Robert Naumann und Erkin Akal
Uraufführung war am 15. Januar 2019.
Weitere Termine: 17.-20.01.2019


Weitere Infos siehe auch: http://theater-hochx.de/


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