Klangoratorium
aus Wort, Musik
und Bewegung
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Oedipus am DT Berlin | Foto (C) Arno Declair
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Bewertung:
Es mag ein Phänomen sein, dass Peter Stein als Meister im Fach, klassische Texte ganz unironisch über die Rampe zu schieben, gerade von Theaterregisseur Ulrich Rasche abgelöst wird. Die Formstrenge und Textklarheit seiner rhythmischen Bewegungschöre erinnern aber auch an den früh verstorbenen Theaterberserker Einar Schleef. Das faszinierend Neue an Rasches Inszenierungen von Klassikern des allgemeinen Theaterkanons (Die Räuber, Woyzeck) war aber immer auch der Einsatz einer monumentalen Bühnentechnik aus sich hebenden und senkenden Laufbändern oder sich unablässig drehenden Scheiben, die den Menschen zu klar einstudierten Bewegungsabläufen auf der sie beherrschenden Maschinerie zwingen. Am Deutschen Theater ist das nun in dieser Form technisch nicht mehr möglich, so dass sich Rasches Inszenierungen, etwa die von Sarah Kanes intimem Kopf-Kammerspiel 4.48 Psychose, zwangsläufig verkleinern mussten, ohne sehr an Wucht zu verlieren.
Das Verbindende zwischen Stein und Schleef ist die Beschäftigung mit der griechischen Tragödie. Und so war es sicher nur eine Frage der Zeit, bis sich der Maschinenmenschen-Meister Rasche Oedipus der Tyrann von Sophokles, in der Übertragung von Friedrich Hölderlin noch ganz oldschool mit „Oe“ geschrieben, vornimmt. Auch das ein Phänomen, bevölkert doch momentan die antike Schwellfußsaga (besonders in Berlin) in den verschiedensten Formen die Spielpläne der Theater und Opern. Seuchen, Umweltkatastrophen und politisches Unvermögen, die eigene Lage richtig einzuschätzen, sind die alles beherrschenden Themen der Zeit. Blind für ihre Zukunft und Vergangenheit rennt die Menschheit mit fast schicksalsergebener Selbstverständlichkeit in ihr Verderben und klammern sich abgewählte Volksvertreter an ihre verlorene Macht.
All das wird Ulrich Rasche interessiert haben. So steht es zumindest im Ankündigungstext des Deutschen Theaters, in dem vom „Drama das Menschsein zwischen Herkunft und Zukunft, Schicksal und Selbstbestimmung, Schuld und Wut“ die Rede ist. Rasche hält sich in seiner Oedipus-Inszenierung an das Versmaß Hölderlins, bildet doch gerade dessen rhythmischer Text-Aufbau die Grundlage für die bekannte strenge Choreografie seiner DarstellerInnen, als im Rhythmus von Sprache und Musik über die Bühne schreitender Texttransporteure. Über ihren Köpfen schweben diesmal verschieden große Ringe aus farblich leuchtenden Neonröhren. Erst zwei, dann drei, dann schließlich vier. Ineinander verschachtelt potenzieren sie das Bühnengeschehen und die Dramatik des Textes in höhere Sphären. Bedrohlich heben und senken sich die Ringe des göttlichen Schicksals (wenn man so will), bilden leuchtende Kuppeln und Trichter oder stellen sich auch mal quer.
Rasche arrangiert hier Gruppenbilder aus sich gegen den Lauf der Drehbühne stemmender Figuren, die, wenn sie sprechen, aus der Gruppe ausbrechen, um danach immer wieder in sie zurück, oder ganz aus dem Bild zu fallen. Das erzeugt aus dem Text heraus zusammen mit der sich steigernden Intensität der Live-Musik eine Zuspitzung der Dramatik jeweils zu den Enden der 5 Akte hin. Das kurzeitige Anschwellen der Lautstärke von Sprache und Musik ist ja eines der ästhetischen Merkmale von Rasches Regie. Nico van Wersch hat ihm dazu einen fast oratorischen Elektro-Sound komponiert.
In pausenlosen drei Stunden spult sich so die Tragödie des König Oedipus ab. Blind für die eigenen Verstrickungen schlägt der alle Sehersprüche in den Wind, sucht die Schuld an der in Theben wütenden Seuche bei anderen und rennt so das Schicksal erfüllend in sein Verderben. Manuel Harder agiert als König Oedipus ebenso wie ein Getriebener der unaufhörlich rotierenden Maschinerie wie der dreiköpfige Chor (Toni Jessen, Linda Pöppel, Yannik Stöbener) der klagenden Bürger Thebens oder die anderen Figuren, die sich der Tragödie folgend nacheinander auf der Drehbühne nach vorne und wieder zurückschieben. Sie sind hier nur aus der Verteidigung heraus reagierende kurzzeitige Solisten. Der Wahrheitssucher mutiert dabei immer mehr zum Tyrannen, der mit der Gewalt der Worte Misstrauen sät, anderen wie seinem Schwager Kreon (Elias Arens), oder dem Seher Teiresias (Kathleen Morgeneyer) droht und sie beschuldigt, nach seiner Macht zu streben.
Frau und am Ende doch auch Mutter Jokaste (Almut Zilcher) frohlockt zu früh beim Bericht des Boten (Enno Trebs) vom Tod des Polybos, Ziehvater des Oedipus: „Was fürchtet denn der Mensch? Von nichts gibt's eine Ahnung deutlich.“ Der Auftritt des Hirten (Julia Windischbauer) bringt letztendlich die Wahrheit ans Licht. Oedipus ist dem Land selbst der Fleck, nach dem er sucht. Der Fluch hat sich längst erfüllt. Das ist zuweilen etwas eintönig, dann aber auch wieder faszinierend dicht, nicht nur am Text, sondern am Tragischen der Geschichte. Eine artifizielle Überhöhung, die Segen und Fluch des Abends zu gleich in sich selbst gefangen bleibt, wie Oedipus, der am Ende durch den herabschwebenden Lichtkreis geblendet ganz nackt und schutzlos auf der leeren Bühne steht. Aber bei aller Faszination, auch eine gut geölte Maschine läuft Gefahr, sich mit der Zeit totzulaufen.
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Oedipus am DT Berlin | Foto (C) Arno Declair
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Stefan Bock - 30. September 2021 ID 13175
OEDIPUS (Deutsches Theater, 29.09.2021)
Regie / Bühne: Ulrich Rasche
Komposition und Musikalische Leitung: Nico van Wersch
Chorleitung: Toni Jessen Mitarbeit
Bühne: Leonie Wolf
Kostüme: Clemens Leander
Licht: Cornelia Gloth
Ton: Marcel Braun, Martin Person
Dramaturgie: David Heiligers
Mit: Elias Arens, Manuel Harder, Toni Jessen, Kathleen Morgeneyer, Linda Pöppel, Yannik Stöbener, Enno Trebs, Julia Windischbauer und Almut Zilcher sowie den Live-Musikern Carsten Brocker, Katelyn King, Špela Mastnak und Thomsen Merkel
Premiere war am 28. August 2021.
Weiterer Termin: 17.10.2021
Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/
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