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Dreistündige Meta-Sause mit Livekamera, Musikbegleitung und Svenja Liesau als Dänenprinzen



Hamlet am Maxim Gorki Theater Berlin | Foto (C) Esra Rotthoff

Bewertung:    



Hamlet, Prinz von Dänemark gilt als William Shakespeares meist gespieltes, aber auch als sein längstes Stück. Viel Text also, der zumeist von der Hauptfigur gesprochen wird. Das u.a. erfährt das Publikum von Gorki-Schauspielerin Svenja Liesau, die vor dem Bühnenportal in der Nebenspielstätte Container zu Beginn der dortigen Hamlet-Vorstellung aus dem Theaternähkästchen plaudert. Sie musste von Regisseur Christian Weise überredet werden, den Hamlet zu spielen, Jonas Dassler wollte nicht. Auch sonst gibt es viel über diese Inszenierung zu sagen, die man ja sonst möglicher Weise nicht verstehen würde, zumal das Gorki-Publikum gar keine klassischen Dramen mehr kennt.

Zuvor gab es schon mal einen Vorgeschmack per Videoliveschalte von hinter dem Vorhang, wo die Gorki-Truppe in Strickkostümen und -perücken vor bemalten Pappkulissen und mit Papprequisiten die Szenen der Hochzeit von Hamlets Mutter Gertrud (Catherine Stoyan) mit Claudius (Aram Tafreshian), dem Bruder und Mörder von Hamlets Vater, in betont manierierter Weise spielen bis ein Pappmikro im Bild hängt und sich das Ganze als Filmdreh eines aus New York nach Deutschland gekommenen ambitionierten Jungfilmers Horatio (Oscar Olivo) entpuppt. Dieser Horatio hat den Plot zwecks Bedeutung nach „Germany“ verlegt. Alles in allem ist dieses trashige Horrorszenario aber eher ein großer Spaß, typisch für Christian Weise, der sich am Gorki schon den Othello vorgenommen und eine Trashversion von SchillersKabale und Liebe am Ballhaus Ost herausgebracht hat.

Svenja Liesau spielt also Hamlet, die „Prinzenrolle“, um mal einen Wortwitz zu machen, den Liesau hier auch berlinernd zum Besten gibt. Ansonsten schleppt sie ein großes Schwert, schiebt eine Bank hin und her, damit mal jemand etwas mit dem Bühnenbild vor dem Vorhang macht. Die meiste Zeit spielt sich das Geschehen nämlich dahinter ab. Das wird auch viel Kino bleiben, prophezeit Svenja Liesau in ihrem improvisiert wirken sollenden Aus-der-Rolle-Steigen. Die Livekamera filmt die Stück-Szenen wie an einem echten Filmset. Die Bilder werden auf dem Vorhang übertragen. Auftritte und Abgänge erfolgen zumeist über einen Aufzug. Dazu macht Live-Musiker Jens Dohle szenische Geräusche und spielt die Begleitmusik wie bei einer Stummfilmvorführung. Mit Rufen wie „Cut“ oder „Genrewechsel“ unterbrechen Regisseur Horatio oder Hauptdarsteller Hamlet immer wieder das Spiel.

Dass hier eine Frau den Hamlet spielt, wird aber gar nicht groß thematisiert. Den Hamlet als Hosenrolle gab es immer mal wieder in der langen Aufführungsgeschichte des Stücks, sei es 1999 mit Angela Winkler in Peter Zadeks Inszenierung für die Wiener Festwochen in Kooperation mit der Berliner Schaubühne oder aktuell Sandra Hüller in Johan Simons Bochumer Inszenierung, die prompt zum THEATERTREFFEN eingeladen wurde und im Mai in Berlin zu sehen sein wird. Auch Svenja Liesau macht ihre Sache gut, wenn sie denn mal in ihrer Rolle drin ist. Da spielt sie närrisch mit crazy Wollmaske den Wahn und lässt auch das Hipster-Höflingsduo Rosenkrantz (Hanh Mai Thi Tran) und Güldenstern (Dominic Hartmann) pfeifenmäßig abfahren.

So chargiert die Inszenierung beständig zwischen Quatsch und heiligem Ernst, ohne dabei wirklich in die Tiefe zu gehen. Da scheint es wichtiger, theaterspezifisch auf Identitätskrise des Regisseurs zu machen, der nicht wirklich weiß, ob er eine Schauspieler ist, der einen Regisseur spielt, oder umgekehrt. Das Stück im Stück, die berühmte Mausefalle gibt Oscar Olivo als Puppenspiel, so wie das ganze Setting mehr einem Comic oder schlechtem B-Movie gleicht. Als Geist von Hamlets Vater steht Gorki-Urgestein Ruth Reinecke in ihrer letzten Rolle auf der Bühne. Mit Karl-Marx-Maske führt sie Hamlet mit dem Aufzug in den Keller der Ideen. Dort stehen Büsten von Revolutionären wie Karl und Rosa, oder Autorengrößen wie Bertolt Brecht und Heiner Müller. Brudermörder Claudius steht hier für den realpolitischen Verräter an der revolutionären Idee.

Und auch Ruth Reinecke darf dann noch aus der alten Vorwende-Theaterzeit berichten, als noch keine Kamera gebraucht wurde, um Spannung zu erzeugen. „Da konnte man eine Stecknadel im Publikum fallen hören. Weil das, was auf der Bühne stattfand eine existentielle Bedeutung hatte.“ Als Beispiel gibt sie eine Szene als Handwerker Zettel im Schauspiel Pyramus und Thisbe aus Thomas Langhoffs Inszenierung von Shakespeares Sommernachtstraum. Nicht „Sein oder Nichtsein“ sondern wer sich da über wen mehr lustig macht, ist die Frage. Weises Inszenierung macht weiter auf Klamauk, und Svenja Liesau vergräbt die Überreste von Lauscher Polonius (Falilou Seck) im Beet vor dem Gorki-Theater. Der Familie von Ratgeber Polonius wird hier noch ein migrantischer Hintergrund verpasst. Seine Kinder Laertes (Mazen Aljubbeh) und Ophelia (Kenda Hmeidan) sprechen miteinander arabisch. Aber auch das bleibt nur eine Regieidee mehr.

Nach der Pause, in die man kurz durch das schön gemalte Bühnenbild von Julia Oschatz spazieren kann, geht es weiter wie zuvor mit Svenja Liesau als vor dem Vorhang improvisierender Meta-Clown mit Hamlet-Schädel, weil das Publikum ja irgendwie erwarte, dass der auch erscheint. Schein und Sein, Repräsentation und prekäre Darstellerverhältnisse werden am Beispiel einer Geschichte über die Kulissenstadt Dresden vorgeführt. Der Inszenierung, die noch ausführlich Grab- und Fechtszene im Programm hat, geht da aber so langsam die Meta-Puste aus. Der Rest ist wie üblich Schweigen. Cut!
Stefan Bock - 4. Februar 2020
ID 11977
HAMLET (Container, 02.02.2020)
Regie: Christian Weise
Bühne: Julia Oschatz
Kostüme: Paula Wellmann
Musik: Jens Dohle
Video / Videoschnitt: Jesse Jonas Kracht und Maryvonne Riedelsheimer
Fechtchoreographie: Klaus Figge
Licht: Jens Krüger
Dramaturgie: Ludwig Haugk und Aljoscha Begrich
Livemusik: Jens Dohle
Live-Kamera: Marlene Blumert und Samir Alain Nahas
Mit: Mazen Aljubbeh, Dominic Hartmann, Kenda Hmeidan, Svenja Liesau, Oscar Olivo, Ruth Reinecke, Falilou Seck, Catherine Stoyan, Aram Tafreshian und Hanh Mai Thi Tran
Premiere am Maxim Gorki Theater Berlin: 1. Februar 2020
Weitere Termine: 08., 10.02. / 03., 04.03.2020


Weitere Infos siehe auch: https://www.gorki.de/


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