Die Faust
im Nacken
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Goethes Faust am Burgtheater Wien | Foto (C) Matthias Horn
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Bewertung:
Eine Frau als Mephisto ist schon deshalb begrüßenswert, weil es Widerspruch einlegt gegen die naive oder gar bigotte Verwechslung von Darsteller(in) und Rolle. Eine Corinna Harfouch als des Teufels General, eine Marianne Hoppe oder eine Barbara Nüsse als Lear, ein Peter Kurth als Mary Tyron in Eugene O'Neills Eines langen Tages Reise in die Nacht, ein Gert Voss als Shylock oder Othello sind ein Sieg des Theaterverstands über einen kunstfeindlichen Moralismus. Der Geschlechtertausch kann, muss aber nicht ein Beitrag sein zur Genderdebatte. Er kann auch der Lust entspringen, etwas zu scheinen, was man nicht ist: die Elfenkönigin Titania, Lady Macbeth oder eben Mephisto, wie André Jung in Thorsten Lensings Karamasow einen Hund verkörpert hat, ohne damit sagen zu wollen, alle Menschen seien im Grunde Hunde (oder alle Hunde Menschen). Schematische Erklärungen werden der Vielfalt künstlerischer Formen und Verfahren nicht gerecht.
Der Münchner Faust ist jetzt mit Martin Kušej und mit seinen beiden Hauptdarstellern am Burgtheater angekommen. Bibiana Beglaus Mephisto ist von Gustaf Gründgens ebenso weit entfernt wie von Peter Steins Mephistos Robert Hunger-Bühler und Johann Adam Oest. Er ist nicht grotesk, sondern elegant. Ihm gegenüber steht mit Werner Wölbern ein massiver, kompakter, erdverbundener Faust, kein grüblerischer Intellektueller wie Bruno Ganz, sondern eher ein deutscher James Cagney, der sein Gretchen auch ohne Verjüngung kriegt.
Kušej forciert, was die Modernität von Faust selbst im ersten, wenn auch in geringerem Ausmaß als im zweiten Teil ausmacht: den Montagecharakter. So kontrastiert er Faust, der mit Gretchen über die Bühne spaziert, mit Mephisto, der es derweil mit Frau Marthe treibt, in kurzen Blackouts. Er kürzt behende und stellt um. In diesem Faust gibt es keine Zueignung, kein Vorspiel auf dem Theater und keinen Prolog im Himmel – also auch keinen Gott und keine Wette. Die Hexe (Marie-Luise Stockinger) ist, wie Frau Marthe (Alexandra Henkel) aus- und einnehmend sexy und spricht vorweg Gretchens bekannteste und meistzitierte Passagen. Dafür leiht sich Kušej ein paar Szenen aus der Tragödie zweitem Teil. Die Verse „Wie tobt's in diesen wilden Tagen!/ Ein jeder schlägt und wird erschlagen“ will sich der neue pazifistische Burgtheaterdirektor nicht entgehen lassen, auch wenn sie nur sehr bedingt in die Gretchen-Tragödie passen.
Kušej kostet den Kontrast zwischen gehobener Sprache und trivialer Gestik aus. Das doppelstöckige Bühnenbild mit Kran und eingezäuntem Basketballplatz wie aus der West Side Story passt eher an die Waterfront von Hoboken als in das spätmittelalterliche Deutschland. Es erinnert aufdringlich an Aleksandar Denić. Es ist von Aleksandar Denić. Kušej ist Castorfs Faust zuvorgekommen.
Gedanklich mag diese Inszenierung etwas verwirrend erscheinen. Zu vieles ist nur angeritzt und nicht zuende gedacht. Was sie auszeichnet, ist ihre fast filmische Bildgewalt. Im Burgtheater darf man wieder Geld ausgeben. Und das ist gut so.
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Goethes Faust am Burgtheater Wien | Foto (C) Matthias Horn
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Thomas Rothschild - 14. Oktober 2019 ID 11746
FAUST (Burgtheater Wien, 13.10.2019)
Regie: Martin Kušej
Bühne: Aleksandar Denić
Kostüme: Heidi Hackl
Musik: Bert Wrede
Licht: Tobias Löffler
Dramaturgie: Angela Obst
Dramaturgische Mitarbeit: Albert Ostermaier
Besetzung:
Faust ... Werner Wölbern
Mephisto ... Bibiana Beglau
Margarete ... Andrea Wenzl
Baucis / Margaretas Mutter / Böser Geist ... Barbara Petritsch
Frau Marthe ... Alexandra Henkel
Wagner ... Jörg Lichtenstein
Hexe ... Marie-Luise Stockinger
Valentin ... Daniel Jesch
Junger Mann ... Max Gindorff
Philemon ... Jürgen Stössinger
Flaneur der nacht ... Arthur Klemt
Pate ... Robert Reinagl
Premiere am Residenztheater München: 6. Juni 2014
Wiener Premiere: 27. September 2019
Weitere Termine: 20., 21.10. / 03., 11., 13.11.2019
Übernahme vom Residenztheater München.
Weitere Infos siehe auch: https://www.burgtheater.at
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