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nachDRUCK # 6

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Repertoire

Gesellschafts-

panorama

ohne

Proletariat



Katharina Klar und Alexander Absenger in Schnitzlers Der Weg ins Freie am Theater in der Josefstadt | Foto (C) Roland Ferrigato

Bewertung:    



Mehr als 40 Theaterstücke – darunter ein großer Anteil von Einaktern – und zwei Romane hat Arthur Schnitzler geschrieben. Von den Dramen konnten sich gerade fünf, und diese kaum außerhalb des deutschsprachigen Raums, auf der Bühne halten. Allenfalls ausnahmsweise werden einzelne der übrigen Stücke ausgegraben, um alsbald wieder zu verschwinden.

Am Theater an der Josefstadt hat man nicht etwa eins der vergessenen und unterschätzten Dramen auf den Spielplan gesetzt, sondern den Roman Der Weg ins Freie, dessen Konstruktion viele Kritiker für misslungen hielten, in einer Dramatisierung durch die einschlägig rührige Dramaturgin Susanne Felicitas Wolf. Allerdings bietet er sich, sieht man von den üblichen Schwierigkeiten bei Gattungstransformationen ab, insofern für die Bühne an, als er seitenweise aus Dialogen besteht und reich ist an geschliffenen Dialogen, die sich unmittelbar übernehmen und sprechen lassen.

Regisseur Janusz Kica, der an der Josefstadt schon Schnitzlers Professor Bernhardi inszeniert hat, ließ sich von Karin Fritz ein raffiniertes Bühnenbild bauen, dessen oberer Teil – ein mit der nötigen Zahl von Sitzgelegenheiten bestuhlter Salon der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert – sich senkt und hebt, um darunter einen leeren Raum frei zu geben, in dem die eher intimen Szenen spielen.

Das Josefstadt-Ensemble beherrscht, mit Abstrichen, immer noch die Umgangsformen, die Sprechweise und die Gesten der „besseren“ Gesellschaft vor dem Ende des Kaiserreichs. Kica lässt die Damen und Herren über weite Strecken auf der Bühne anwesend sein, auch wenn sie nicht gerade im Brennpunkt stehen. Er hält sie in ständiger Bewegung, wie man das einst auf der Schauspielschule gelernt hat. Nur wenn jemand grundsätzliche Äußerungen von sich gibt, setzen sich die anderen und erstarren im Hintergrund, hören eher unkonzentriert zu: ein Gesellschaftspanorama ohne Proletariat. Man ist, Jude, verständnisloser Beobachter oder Antisemit, unter sich.

Weil Der Weg ins Freie ein Roman ist, gibt es viele kleine Konfliktchen, aber es fehlt der zentrale dramatische Konflikt. Es wird viel, sehr viel geredet. Nun bestimmen die gesprochenen Dialoge auch Schnitzlers Konversationsstücke, aber ob in Professor Bernhardi oder im Weiten Land: ein pointierter Gegensatz sorgt für Struktur und Spannung. In der aktuellen Romanbearbeitung vermisst man sie, je länger der Abend dauert, umso schmerzlicher. Die potentielle Gegenfigur zum wankelmütigen Georg von Wergenthin (Alexander Absenger, der aussieht wie der junge Orson Welles), der christlichsoziale Anhänger Karl Luegers und dezidierte Antisemit Ernst Jalaudek, wird zur Karikatur reduziert, die nur klischierte Phrasen ausscheidet. Ein „Duell“ wie zwischen Bernhardi und dem Pfarrer Franz Reder findet nicht statt. Eigentlich schade. Ohnedies weiß man nicht, was in den Köpfen der Josefstadt-Zuschauer vor sich geht. Stimmen sie zu? Und wenn ja, mit wem? Überhaupt: was kann man beim jüngeren Publikum voraussetzen? Was weiß es über den Zionismus und Palästina vor der Gründung des Staates Israel? Die entsprechenden Passagen des Romans sind denn auch bis zur Unkenntnis zusammengestrichen.

Fazit: ein ehrenwerter Versuch, aber nicht der ganz große Theaterabend, den das Thema verdiente.



Der Weg ins Freie am Wiener Theater in der Josefstadt | Foto (C) Roland Ferrigato

Thomas Rothschild - 14. Oktober 2021
ID 13209
DER WEG INS FREIE (Theater in der Josefstadt, 13.10.2021)
Regie: Janusz Kica
Bühnenbild: Karin Fritz
Kostüme: Eva Dessecker
Musik: Matthias Jakisic
Dramaturgie: Matthias Asboth
Licht: Manfred Grohs
Besetzung:
Georg von Wergenthin, Komponist ... Alexander Absenger
Heinrich Bermann, ein Dichter ... Raphael von Bargen
Anna Rosner, Klavierlehrerin ... Alma Hasun
Else Ehrenberg, eine Salondame ... Michaela Klamminger
Leonie Ehrenberg, ihre Mutter ... Elfriede Schüsseleder
Salomon Ehrenberg, ihr Vater, Patronenfabrikant ... Siegfried Walther
Therese Golowski, Sozialistin ... Katharina Klar
Leo Golowski, ihr Bruder, Mathematiker, Pianist, Zionist ... Julian Valerio Rehrl
Doktor Stauber sen., Hausarzt und Freund der Ehrenbergs und Rosners ... Joseph Lorenz
Berthold, sein Sohn, Politiker und Arzt ... Oliver Rosskopf
Demeter Stanzides, Oberleutnant und Jockey ... Tobias Reinthaller
Josef Rosner, Annas Bruder, angehender Redakteur ... Jakob Elsenwenger
Ernst Jalaudek, Papierhändler und Politiker ... Michael Schönborn
Premiere war am 2. September 2021.
Weitere Termine: 18., 30., 31.10. / 01., 09., 13., 14., 29.11.2021


Weitere Infos siehe auch: https://www.josefstadt.org/


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