Ein Fest für
Bibiana Beglau
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Wer hat Angst vor Virginia Woolf? mit Bibiana Beglau und Norman Hacker | Foto (C) Andreas Pohlmann
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Bewertung:
Zu den Inszenierrungen, die Martin Kušej von München nach Wien mitgebracht hat, gehört Wer hat Angst vor Virginia Woolf aus dem Jahr 2014. Stück und Inszenierung sind unzerstörbar. Der moderne „Klassiker“ von Edward Albee wird immer wieder aufgeführt. Das hat einen einfachen Grund: er bietet vier Darstellern saftige Rollen an. Zwar wurde das Thema seit der amerikanischen Uraufführung im Jahr 1962 unzählige Male erneut abgehandelt, aber Albees Dialoge sind von solcher handwerklicher Qualität, dass es wenig Grund gibt, ihnen ein schwächeres Plagiat vorzuziehen. Dabei verweisen mehrere Spuren – die Libertinage, die zynische Missachtung der bürgerlichen Werte, die Aufstiegsfantasien und deren Bloßstellung – auf den Zeitgeist der sechziger Jahre hin.
Kušej baut ganz auf die Schauspieler. Sie sind auf sich gestellt, nichts lenkt von ihnen ab. Sie agieren auf einem schmalen Streifen vor einer weißen Wand. Es gibt keine Requisiten außer Gläsern und Flaschen, davon massenhaft vor der hochgezogenen Rampe des hell ausgeleuchteten Breitwandbühnenstreifens.
Bibiana Beglau ist Martha. Sie spielt mit allen Gliedern, mit jedem Zentimeter ihres schlanken Körpers, immer auf der schmalen Grenze zwischen Hysterie und Freude am Spiel, zwischen Besessenheit und Strategie. Was auf ihr Konto geht und was auf das der Personenregie, ist nicht auszumachen. Die Beglau, eine der ganz großen Schauspielerinnen unserer Tage, spielt ihre an sich hervorragenden Kollegen buchstäblich an die Wand.
Warum glaubt man Norman Hacker als George so bereitwillig den fiesen Kerl? Im Gegensatz zu Bibiana Beglau kultiviert er das Underplay, mit schlenkernden Bewegungen und der Kontrolliertheit des habituellen Säufers. Lediglich an der Stelle, an der er behauptet, der gemeinsame, in Wahrheit gar nicht existierende Sohn sei tot, geht er in seiner Verzweiflung über Marthas Wahn aus sich heraus.
Kušej erfindet das Stück nicht neu. Diese Inszenierung ist die hartnäckige Behauptung des „traditionellen“ Theaters gegen Performance, Stückentwicklung und Überschreibung, die schlagende Rechtfertigung des virtuosen Rollenspiels. Lediglich Nora Buzalka als Honey bleibt neben Johannes Zirner als Nick blass. Man könnte annehmen, dass das an der Rolle liegt, wäre da nicht die Erinnerung an Andrea Clausen, die sie einst in der Regie von Hans Neuenfels urkomisch neben Elisabeth Trissenaar, Klaus Maria Brandauer und Markus Boysen verkörpert hat. Zwischen Neuenfels und Kušej haben, in der Regie von Jan Bosse, Christiane von Poelnitz, Joachim Meyerhoff, Katharina Lorenz und Markus Meyer am Burgtheater nach der Angst vor dem großen, bösen Wolf – pardon: vor Virginia Woolf – gefragt.
Martin Kušej inszeniert nicht so sehr das Ehedrama wie Marthas Tragödie. Er ist näher an Eugene O'Neill, an Eines langen Tages Reise in die Nacht, als an Strindberg oder auch an Ingmar Bergman. Und gibt vielleicht damit eine Antwort auf die Frage, warum Albees Drama häufiger aufgeführt wird als die kurzlebigen, aber eindimensionalen Nachfahren.
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Wer hat Angst vor Virginia Woolf? am Burgtheater Wien | Foto (C) Andreas Pohlmann
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Thomas Rothschild - 12. Oktober 2021 ID 13206
WER HAT ANGST VOR VIRGINIAL WOOLF? (Burgtheater Wien, 11.10.2021)
Regie: Martin Kusej
Bühne und Kostüme: Jessica Rockstroh
Licht: Tobias Löffler
Dramaturgie: Andrea Koschwitz
Besetzung:
Martha ... Bibiana Beglau
George ... Norman Hacker
Nick ... Johannes Zirner
Honey ... Nora Buzalka
Wiener Premiere war am 15. September 2019
Weitere Termine: 28.10. / 03.11.2021
Weitere Infos siehe auch: https://www.burgtheater.a
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