Wenn die Liebe verrückt spielt... kann gutes Theater rauskommen.
|
Ein Sommernachtstraum am Münchner Volkstheater | (C) Arno Declair
|
Bewertung:
"Sycamore Grove" ist ein ziemlich hässlicher Strand mit einem verfallenen Theater, dessen Rückwand zerstört ist und so einen Durchblick auf Strandleben und Meer zulässt. Dort spielte Baz Luhrmanns kultige Verfilmung von Shakespeares Romeo und Julia von 1998.
20 Jahre später zitieren Regisseur Keran Joel und Belle Santos (Kostüme und Bühne) geschickt dieses Bild in der gelungenen Inszenierung von Shakespeares Ein Sommernachtstraum, mit der er und das Münchner Volkstheater die diesjährige Spielzeit eröffnen. „Sycamore Grove“ prangt in abgeblätterter Schrift über der ramponierten klassischen Kulisse. Dahinter ein Gerüst, kaputtes Mauerwerk, das den Blick frei gibt auf wechselnde Video-Szenen - und einen bleichen Mond. Der muss manchmal per Hand aufgehängt und diskret in (Dreh-)Schwung gebracht werden. Romantik mit Augenzwinkern.
Doch zunächst völlige Dunkelheit. Das Intro - eine raffiniert verhallte Toncollage statt der Hochzeitsszene im Palast des Theseus, einer heute verstaubt wirkenden Exposition. Verlorene Verliebte rufen einander, suchen sich und können sich nicht finden. Weder den anderen, noch sich selbst. Als der Vorhang aufgeht, Licht flirrt, stehen sie alle unversehens nebeneinander auf der Bühne wie in einem Traum: Helena (Nina Steils), Hermia (Carolin Hartmann), Lysander (Sebastian Schneider) und Demetrius (Timocin Ziegler) – in gleichen Jeans, gleichem Blümchenhemd, ja sogar mit der gleichen Pagenkopffrisur. Einander zum Verwechseln ähnlich. Austauschbar? Jedenfalls liebt Demetrius seine Verlobte Helena nicht mehr, dafür ihre Freundin Hermia, die wiederum Lysander will. Aber der läuft bald zu Helena über. Und Demetrius folgt ihm nach. So weit, so ungut.
Hinter Sycamor Grove liegt der Wald der Unvernunft, das Elfenreich des ebenfalls untreuen Ehepaares Titania (Luise Deborah Daberkow) und Oberon (Pascal Fligg), das sich nichts schuldig bleibt an Hassliebe. Die vier stolpern mitten hinein in diese tolle Auseinandersetzung, ein Highlight der Aufführung. Kein Wunder, dass die Elfen nicht weiterhelfen, sondern Albträume hervorrufen – sind sie doch mittendrin (und die Alben der germanischen Mythologie). So geraten alle Beteiligten in ein magisches Verwirrspiel, wobei Regisseur Puck als elegant-cooler Moderator (Max Wagner) die Strippen zieht. Klar, dass es total schief geht zwischen den jungen Leuten. Liebe schlägt um in Überdruss, Hass und Gewalt. Die immergleichen Szenen von Abscheu und Abhängigkeit verstärkt der Sound von Beats. Herztöne? Oder läuft nicht vielmehr im Hintergrund eine alte, knisternde Platte, die immer wieder an Kratzern hängen bleibt? Die Liebe – ein abgenudeltes Stück?
Zum Glück taucht im Zauberwald auch eine Truppe Laien-Schauspieler auf, hochmotiviert, aber schwach besetzt. Sie will die „äußerst spaßige Komödie von Pyramus und Thisbe“ aufführen - dabei endet sie wie bei Romeo und Julia – und das mit nur drei Darstellern. Dabei muss einer schon den Löwen machen und die Wand! Wahre Liebe, so die Quintessenz des Märchens, muss jung sterben. Oder sie hält eben nicht. Siehe Titania und Oberon. Aber die entsorgt Puck am Ende immerhin mit einem Laubbläser, auch der kann ein Zauberstab sein. Helena und Hermia, Lysander und Demetrius dürfen hoffen - und die Zuschauer mit ihnen.
Ein mitreißender und hochvergnüglicher Abend – auch dank der musikalischen Dramaturgie von Lenny Mockridge. Voller Spielfreude und Tempo das junge Ensemble! Die zeitgemäße Übersetzung des Stücks von Jürgen Gosch und Angela Schanelec bietet dafür eine wunderbare Grundlage.
Hingehen und genießen!
|
Ein Sommernachtstraum am Münchner Volkstheater | (C) Arno Declair
|
Petra Herrmann - 24. September 2018 ID 10937
EIN SMMERNACHTSTRAUM (Münchner Volkstheater,23.09.2018)
Regie: Kieran Joel
Bühne & Kostüm: Belle Santos
Musik: Lenny Mockridge
Video: Krzysztof Honowski
Dramaturgie: Daphne Ebner
Besetzung:
Oberon ... Pascal Fligg
Titania ... Luise Deborah Daberkow
Puck ... Max Wagner
Helena ... Nina Steils
Hermia ... Carolin Hartmann
Lysander ... Sebastian Schneider
Demetrius ... Timocin Ziegler
Zettel ... Jakob Geßner
Squenz ... Mauricio Hölzemann
Flaut ... Oleg Tikhomirov
Premiere war am 23. September 2018.
Weitere Termine: 24., 30.09. / 01., 12.10. / 01.11.2018
Weitere Infos siehe auch: http://www.muenchner-volkstheater.de
Post an Petra Herrmann
petra-herrmann-kunst.de
Premierenkritiken
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
RUHRTRIENNALE
TANZ IM AUGUST
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|