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Premierenkritik

NOORRRRAAAAAAA

am Gorki

Leonie Böhm reduziert Ibsens Drama auf eine Gegenwarts-Transformation für schlichte Gemüter


(C) Esra Rotthoff

Bewertung:    



„Hallo.“ Gorki-Schauspielerin Svenja Liesau und Gast Julia Riedler, ehemals engagiert an den Münchner Kammerspielen unter Matthias Lilienthal, stehen in weißen Kostümen und weiß geschminkter Augenpartie schüchtern lächelnd auf der großen Bühne des Maxim Gorki Theater. Viel mehr passiert zunächst nicht. Harfenist Stefan Czura spielt sanft Johnny Cashs melancholischen Song Hurt dazu. Der Musiker wird immer mal wieder die Saiten zupfen und mit ein paar Popsongs die Inszenierung von Regisseurin Leonie Böhm, neuer Star am deutschen Theaterhimmel, begleiten. Julia Riedler hat ihrer Gegenüber einiges zu sagen, singt erst Cashs Liedzeilen und bekommt dann aber außer einem langen „A-Schrei“ erstmal nichts heraus. Sie will reden, und das soll wohl länger dauern. Eine Beziehung am Ende oder ein Neubeginn, das ist der Ausgangspunkt der Inszenierung, die sich auf das letzte Gespräch des Ehepaars Helmer in Henrik Ibsens Drama Nora. Ein Puppenheim bezieht.

Es tut also weh. Privater Beziehungsschmerz bewirkt Sprachlosigkeit. NOORRRRAAAAAAAA nennt Böhm ihre Inszenierung nach Ibsen. Ein langgezogener Schrei und runtergelassene Hosen als Symbol sich bedingungslos öffnen zu wollen. Leonie Böhm ist bekannt für ihre Methode, alte Klassiker neu zu interpretieren und zu überformen mit emotional wirkenden Texten, die ihre Darstellerinnen wie improvisiert aus dem Spiel heraus entwickeln. Mit ihrer Zürcher Medea*, einer Soloperformance zu Live-Musik mit der Schauspielerin Maja Beckmann, wurde sie zum letzten Berliner THEATERTREFFEN eingeladen. Und auch die Gorki-Inszenierung arbeitet nach diesem Prinzip.

Von Ibsens Dramenhandlung hat man sich ihr radikal distanziert. Wen die beiden Schauspielerinnen darstellen, Nora und ihren Mann Torvald oder auch eine gespaltene Titelheldin, wie es das auf langer Stoffbahn aufgemalte Zwillingsportrait der beiden im Hintergrund erahnen lässt, bleibt unklar. Die anderen Personen wie etwa die alte Freundin Christine Linde, Dr. Rank, die Kinder oder der kleine Bankangestellte Krogstad, der Nora wegen der gefälschten Unterschrift auf einem Schuldschein erpressen will, sind nur in kleinen Textfetzen und einem ersten Ausbruch von Svenja Lisau erkennbar.

Als Schulvorführung eignet sich die Performance also eher nicht. Das ist auch nicht die Absicht der Regisseurin, sondern die Transformation des klassischen Textes in die Gegenwart, wie es im Programmheft heißt. Die Bühne als hoffnungsvoller „Soft-Space“, in dem man Gefühle, Verletzungen, Angst und Schwäche zeigen kann. „Ich bin in der Gewalt unkontrollierbarer Gefühle“, drängt es aus Riedler heraus. Ein bisschen Romantik versprüht sie noch als „Elfe im Mondschein“. „Zwei Schiffbrüchige auf einem Wrack“, das ist als Fazit ehrlicher. Die beiden gehen auch mal in den Körper-Clinch. Sie lieben und sie schlagen sich. Als Paartherapie mag das durchgehen. Nur nimmt man den beiden diese Wechsel zwischen Verzweiflungsfuror und Schmusekurs nicht ab.

Da machen sich die beiden fast buchstäblich nackig, um sich am Ende fünf Minuten lang in den Armen zu liegen. Es gibt noch ein Brautstraußwerfen, Rockiges und Schmusemusik mit Dido. Das soll emotional berühren. Die bedingungslose Wiederannäherung bleibt aber bloße Behauptung, wird verkaspert mit Riedlers angedeutetem Flötenspiel als Schlangenbeschwörung, um die sich in einer auf der Bühne liegende Stoffschlange verschanzte Lisau aus der Schmollecke zu holen, oder mit einer Liebeserklärung von Lisau an Riedler als Pinguin. Da wird viel „Magic“ mit der Nebelmaschine gemacht, der Vorhang mit dem Doppelportrait heruntergerissen und mit Luft aus der Windmaschine gefüllt. Der Stoff bläht sich, die langatmige Leere aber auch. Das ist dann doch etwas zu unterkomplex. Eine Ibsen-Transformation für schlichte Gemüter und geistige Verarmung des Theaters, wie man sie so schon lange nicht mehr gesehen hat.
Stefan Bock - 14. September 2021
ID 13142
NOORRRRAAAAAAAA (Maxim Gorki Theater, 12.09.2021)
Regie: Leonie Böhm
Bühne: Zahava Rodrigo
Kostüme: Magdalena Schön und Helen Stein
Lichtdesign: Lutz Deppe
Livemusik: Stefan Czura
Dramaturgie: Tarun Kade und Clara Probst
Mit: Svenja Liesau und Julia Riedler
Premiere war am 12. September 2021.
Weitere Termine: 16., 23., 30.09. / 02., 06., 07., 08.10.2021


Weitere Infos siehe auch: https://www.gorki.de


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