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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Trost des

Glaubens



Stefan Viering in Jakob der Lügner am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

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Wir sehen das großformatig projizierte Bild eines unbewegten, im Sonnenlicht funkelnden Baumes. Er steht auf einer Anhöhe unter freiem, tiefblauem Himmel. Im Hintergrund sind Berge und eine Landschaft erkennbar. Ein Farbfoto verheißungsvoller Freiheit und in die Weite gleitender Perspektiven. Der Blick auf Bäume war den Ghetto-Internierten zur Zeit des NS-Regimes versagt. Neben der Leinwand, auf die später auch andere, weniger hoffnungsvolle Fotos aus der NS-Zeit projiziert werden, gibt es nur wenige Requisiten im kargen, gleichbleibenden Bühnenbild: Eine Palme in einem Blumenkübel, ein Tisch, Stühle. Ein älterer Mann (Stefan Viering) betritt die Bühne mit einem Koffer. Die Kofferinhalte auf dem Tisch ausbreitend – ein Schreibheft, eine Weste, eine gefüllte Glasflasche – begrüßt er das Publikum erwartungsfroh. Er wird es fortan immer wieder in das szenische Spiel einbeziehen, in der Hoffnung, dass er mit den richtigen Zuhörern auch den richtigen Zugang zu seiner Geschichte findet.

In seinem wohl bekanntesten Roman Jakob der Lügner (1969) verarbeitet der jüdische Schriftsteller Jurek Becker (1937-1997) eigene Kindheitserfahrungen im Ghetto von Lodz während der nationalsozialistischen Besetzung in Polen. Die zusammengepferchten Bewohner leiden unter Hunger, täglicher Schikane und fehlenden Perspektiven. Beckers Roman erzählt aus einer erinnernden Ich-Perspektive um 1967 die Geschichte von Jakob Heym, mit dem die Ich-Figur zeitgleich im Ghetto interniert war. Heym schnappt zufällig heimlich bei Wachmännern den nahenden Vormarsch der sowjetischen Roten Armee auf. Er gibt diese Information an Ghetto-Insassen weiter und schürt so unabsichtlich unter den Leidgenossen Hoffnung. Um einen Verzweifelten vor drohender Gefahr zu bewahren, setzt er bald sogar die Mär in die Welt, er besitze heimlich einen verborgenen Volksempfänger, der gute Nachrichten vermelden würde. Diese Lüge verbreitet sich wie ein Lauffeuer unter den Internierten und motiviert Hoffnung und einen allgemeinen Durchhaltewillen.

Zusammen mit Jutta Berendes kondensierte und verknappte Stefan Viering Jureks Roman für seine szenische Umsetzung. Er beginnt seine Solo-Performance, indem er sie eingangs als Erzählung vorstellt, immer wieder auch kurz aus einem Heft vorliest. Die Handlung konzentriert sich auf den Ich-Erzähler und den Hauptprotagonisten Jakob. Bis auf Lina, eine sechsjährige Waise und ein Schützling Jakobs im Ghetto (eingespielt als Kinderstimme aus dem Off), werden Schicksale der übrigen Romanfiguren oft nur angerissen. Obwohl die Vorstellung durch eine längere Pause unterbrochen wird, leistet Viering (Jahrgang 1946) während der fast zweistündigen Solo-Performance eine beachtliche darstellerische Leistung. Einige starke Szenen, etwa bei der vokal farbenreichen Wiedergabe des nichtexistenten Volksempfängers, können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Viering die Spannung nicht durchgehend zu halten vermag. Seine Stimmführung, Mimik und Gestik beim Wechsel der Figuren, Schauplätze und Situationen ändern sich oft nur in Nuancen. Es fällt manchmal sogar schwer, dem Erzählten akustisch zu folgen und so ermüdet die Performance alsbald etwas. Immerhin gelingt es dem renommierten Staatsschauspieler in seinem Einpersonenstück zu guter Letzt eindringlich, die beiden alternativen Schlüsse für die Figuren in Jureks Roman zu erzählen, bei denen er Jakob mal als Märtyrer zeichnet und mal als Opfer eines grausamen Regimes porträtiert. Liebhaber des Romans oder der bekannten Verfilmungen könnte die sparsame szenische Umsetzung enttäuschen; Nichtkenner der Vorlage dürfte die recht solide und liebevolle Performance mit den warmherzig gezeichneten Figuren jedoch berührend unterhalten.




Stefan Viering in Jakob der Lügner am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

Ansgar Skoda - 23. November 2018
ID 11060
JAKOB DER LÜGNER (Werkstatt, 22.11.2018)
Text: Jutta Berendes und Stefan Viering
Ausstattungsassistenz: Ansgar Baradoy
Abendspielleitung: Frederik Werth
Inspizienz: Miklós Hórvath / H.J. Schmidt
Mit: Stefan Viering
Premiere am Theater Bonn: 22. November 2018
Weitere Termine: 07.12.2018 // 17.1.2019


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de


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