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Premierenkritik

Von allen

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Geistern

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Hexenjagd am Berliner Ensemble | Foto (C) Matthias Horn

Bewertung:    



„Es ist eine große Wirrnis in der Welt.“ heißt es einmal in der neuen Inszenierung von Mateja Koležnik am Berliner Ensemble. Da hat man schon etwa eine Stunde hinter sich, überlegt aber immer noch, was es mit der angekündigten „filmischen Führung des Blicks“ auf sich hat, ob das nun mehr David Fincher oder Ingmar Bergman ist (wie im Programmheft behauptet), oder ob man vielleicht doch im ganz falschen Film sitzt. Gespielt wird jedenfalls das Stück Hexenjagd, Arthur Millers dramatischer Kommentar zur Kommunistenjagd der McCarthy-Ära in den USA von 1947 bis etwa 1956. Der davon selbst betroffene Miller griff dafür auf die Hexenprozesse in der puritanischen Stadt Salem an der Ostküste Nordamerikas am Ende des 17. Jahrhunderts zurück. Eine Massenhysterie - ausgelöst durch eine Gruppe Mädchen, die nachts im Wald okkulte Tänze aufführten, dabei entdeckt wurden und aus Angst vor Strafe reihenweise Gemeindemitglieder beschuldigten, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Ein gutes Beispiel dafür, wie Falschaussagen, Verschwörungstheorien und eine ideologisch bedingte Gruppendynamik die Entstehung von autoritären Systemen begünstigen.

Eine Aktualität in Zeiten von Fakenews und der Verbreitung jeder Menge von Verschwörungstheorien und falschen Anschuldigungen nicht nur in den sozialen Medien muss man da nicht extra herbeireden. All das scheint die Regisseurin Mateja Koležnik aber eher weniger interessiert zu haben, wenn auch im Text des Programmhefts von einer Dystopie wie in Margret Atwoods The Handmaid’s Tale oder Ray Bradburys Fahrenheit 451 die Rede ist. Beide Romane wurden erfolgreich verfilmt, wie auch die Hexen von Salem. Es geht Koležnik um die Dynamik des Bösen, die Wirkung von Populisten. Alles richtig und gut, nur verspielt die Regisseurin das Projekt in einer nur behaupteten Filmästhetik einer Guckkastenbühne, die den schmalen Flur vor einem Schul- oder Turnsaal zeigt, in den das Publikum nur durch zwei Türen begrenzten Einblick erhält. Auch wird der Blick durch eine Säule in der Mitte eingeschränkt. All das ist beabsichtigt, führt aber zu nichts. Mit Filmästhetik hat das wenig zu tun.

Junge Mädchen in Schuluniform gebärden sich wie besessen und bringen bisher unbescholtene Bürger vor Gericht. Alte Männer spielen Autorität und wirken dabei doch nur lächerlich. Nach halbwegs Normalen sucht man hier fast vergebens. Das hätte durchaus Potential. Zu vermelden ist aber nur biederes Aufsagetheater, das man meint, der Geist von Claus Peymann wäre doch nicht ausgeräuchert geworden, wie von einem verflossenen Berliner Kulturstaatssekretär einst gefordert. Doch von allen guten Theatergeistern verlassen, wird hier leider fürchterlichste Schmiere geboten, was an Folter grenzt, von der im Stück auch mal die Rede ist. Der personelle Aufwand und das Gedränge auf der schmalen Bühne sind durch nichts zu rechtfertigen. Ein totales Missverständnis vom Begriff Genre und eine schlechte Parodie 70er-Jahre-Horrors à la Der Exorzist. Eher unfreiwillig komisch als bedrückend, unglaublich zäh und ermüdend. Eine Tortur, die einen nicht nur an der Vernunft der Menschheit zweifeln lässt. Aus menschlicher Verwirrung wird theatrale Verirrung.



Hexenjagd am Berliner Ensemble | Foto (C) Matthias Horn

Stefan Bock - 8. Oktober 2021
ID 13193
HEXENJAGD (Berliner Ensemble, 07.10.2021)
Regie: Mateja Koležnik
Bühne: Raimund Orfeo Voigt
Kostüm: Ana Savić-Gecan
Musik: Michael Gumpinger
Choreografie: Magdalena Reiter
Licht: Rainer Casper
Dramaturgie: Karolin Trachte
Mit: Marc Oliver Schulze (John Proctor), Bettina Hoppe (Elisabeth Proctor), Lili Epply (Abigail Williams), Wiebke Frost (Tituba), Philine Schmölzer (Marry Warren), Sophie Scherrieble (Betty Parris), Oliver Kraushaar (Thomas Putnam), Judith Engel (Ann Putnam), Martin Rentzsch (Samuel Parris), Tilo Nest (Giles Corey), Corinna Kirchhoff (Rebecca Nurse), Gerrit Jansen (John Hale), Veit Schubert (Richter Hathorne), Ingo Hülsmann (Danforth, Stellvertreter des Gouverneurs), Marc Benner (Ezekiel Cheever) sowie Katharina Maria Abt, Lea Nora Härtel, Katharina Beatrice Hierl, Marine Madelin und Katharina Petrova (als Mädchen von Salem)
Premiere war am 7. Oktober 2021.
Termine: 08., 10., 24., 25.10. / 12., 13., 14.11.2021


Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-ensemble.de


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