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Premierenkritik

Unbegleitete

Minderjährige



Futureland am MGT Berlin | Foto (C) Esra Rotthoff

Bewertung:    



18 Jahre alt, also volljährig zu werden, darauf warten die meisten Jugendlichen voller Ungeduld. Dass Volljährigkeit auch ein Grund für Angst sein kann, kann sich hierzulande kaum jemand vorstellen. Für sogenannte unbegleitete minderjährige Geflüchtete ist dies aber bittere Realität. Die Jugendlichen verlieren mit dem 18. Lebensjahr ihr Recht darauf, nicht abgeschoben werden zu können. Die Möglichkeit des Familiennachzugs wird komplizierter und die Zukunft ungewiss. Die argentinische Dokutheatermacherin Lola Arias hat sich nach Atlas des Kommunismus (2016) in ihrer zweiten Arbeit für das Maxim Gorki Theater den Geschichten solcher Jugendlicher gewidmet. 4 Mädchen und 4 Jungen im Alter von 14 bis 18 Jahren erzählen in Futureland von ihren Fluchterlebnissen und den bürokratischen Hürden mit Asylverfahren und Integration nach ihrer Ankunft im Aufnahmeland. In der Doku-Fiction What They Want to Hear (2018) an den Münchner Kammerspielen hatte Lola Arias bereits über die Probleme erwachsener Geflüchteter mit der deutschen Asylpolitik berichtet.

Die Besonderheit dieser Inszenierung ist aber, dass das titelgebende Futureland eine 3D-animierte Computerwelt ist. Eine Inselstadt, die mit ihren Häusermeeren und einem stilisierten Fernsehturm ein wenig wie ein Berlin der Zukunft aussieht und völlig menschenleer ist. Hier treten alle Erwachsenen nur als anonyme Avatare mit Computerstimmen auf. Als Jugendamts-Mitarbeiter, Lehrer und Betreuer stellen sie den Jugendlichen Fragen oder vermitteln ihnen die Regeln, die mehr als nur ein Spiel für die jungen Asylsuchenden sind. Ein langer Weg stünde vor ihnen und der heißt zu allererst Integration. Dann steht irgendwann in jedem Fall das „Interview“ über die Aufklärung der Asylgründe an. „Es kann Monate oder Jahre dauern. Es gibt keine Möglichkeit, die Entscheidung der Kommission vorauszusagen", erzählt der freundliche aber auch relativ gefühllose Avatar aus der von Mikko Gaestel steril designten Computerwelt. Die Chancen der Duldung bis zum 18. Lebensjahr und darüber hinaus positiv zu beeinflussen, sind das Erlernen der deutschen Sprache und eine Berufsausbildung.

In diese fremde Welt, die ihre Zukunft bestimmen wird, springen die acht allein aus ihren Heimatländern geflüchteten Jugendlichen zu Beginn in einer Computeranimation mit dem Fallschirm ab. Am Anfang ihres Weges nach dem allgemeinen Willkommen steht aber zuerst die magische Frage nach dem Alter, die sich für viele gar nicht so leicht beantworten lässt, da sie es wie Mamadou Allou Diallo aus Guinea gar nicht so genau kennen. Geprüft wird beim sogenannten Erstscreening durch das Vermessen der Arm- und Handknochen und daraufhin ein Alter festgelegt. Alle acht durchlaufen auch hier dieses Verfahren der Erstbefragung und kommentieren es aus eigener Sicht für das Publikum.

Die Jugendlichen spielen nun in kleinen Szenen durch, wie sich der Alltag im Aufnahmeheim und in der Schule abspielt, dazu werden in kleinen Soloauftritten von allen auch Persönliches über Heimat, Familie und Fluchthergang erzählt. Ahmad Azrati berichtet von seiner gefährlichen Flucht als 12-jähriger aus Syrien über die Türkei nach Griechenland. Seine Eltern sind tot. Andere der Jugendlichen würden ihre Eltern gern nachholen. Für Sagal Odowa, die mit ihrer Familie vor der Al-Shabab-Miliz nach Ägypten floh, wird dieser Traum wohl nicht mehr in Erfüllung gehen können, wie sie bei der Nachstellung einer Party zu ihrem 18. Geburtstag traurig feststellt. Zu hoch waren die bürokratischen Hürden und zu langwierig die Zeit für die Beschaffung von Visa für die Familie.

Die 14jährige May Saada floh vor einer Zwangsheirat aus Syrien und hat nun ihren Hijab abgelegt, was Sarah Safi aus Afghanistan nach einer Frage des Avatars aber nicht möchte. Ihr ist die Religion wichtig und mit ihrer Freundin Sagal aus dem Mädchenheim unterhält sie sich über ihre Pläne und was für sie Harām, also was nach muslimischem Glauben verboten ist, halten. Tanzen und Theater sind für beide aber nicht so schlimm und sie singen zusammen ein Lied. Auch für die 14-jährige Fabiya Bhuiyan aus Bangladesch ist Tanzen sehr wichtig, was sie oft und gern in ihrem Zimmer im Heim macht, während Mohamed Haj Younis aus Syrien am liebsten Computer-Games spielt. Eines davon hat dann auch die Inspiration für das Setting der Inszenierung geliefert. Nach den Berufswünschen befragt, haben die Jugendlichen bereits sehr konkrete Pläne. So möchte Bashar Kanan aus Syrien sogar mal Arzt werden und macht schon sein Abitur. Eine Berufsausbildung wird in jedem Fall die Chance, in „Futureland“ bleiben zu können, für alle erhöhen. „Aber, wenn die Ausbildung fertig ist, was passiert dann?“ fragt Mohamed schließlich. Doch darauf weiß der Avatar keine endgültige Antwort. Das Spiel ist also in echt für die Jugendlichen noch lange nicht zu Ende.
Stefan Bock - 20. Oktober 2019
ID 11756
FUTURELAND (Container, 18.10.2019)
Ein Projekt von Lola Arias

Regie: Lola Arias
Bühne: Dominic Huber
Musik: Santiago Blaum
Video: Mikko Gaestel
Choreografie: Colette Sadler
Kostüme: Tutia Schaad
Dramaturgie: Johanna Höhmann, Florian Malzacher
Recherche/Casting: Hannah Baumann
Produktionsleitung: Dag Lohde
Dramaturgische Mitarbeit: Bibiana Picado Mendes
Mit: Mamadou Allou Diallo, Ahmad Azrati, Fabiya Bhuiyan, Mohamed Haj Younis, Bashar Kanan, Sagal Odowa, May Saada und Sarah Safi
Premiere am Maxim Gorki Theater Berlin: 18. Oktober 2019
Weitere Termine: 04., 05.11.2019


Weitere Infos siehe auch: https://gorki.de


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