Klassisch?
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Einen Jux will er sich machen von Johann Nestroy am Theater in der Josefstadt | Foto (C) Rita Newman
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Bewertung:
Johann Nepomuk Nestroy (1801-1862) ist für das populäre österreichische oder vielmehr für das Wiener Theater, was Feydeau für das französische, die Commedia dell'arte für das italienische, die Zarzuela für das spanische oder Gilbert und Sullivan für das englische Theater sind. Sie gehören zur nationalen Tradition und haben mit ihren Spielvorlagen über Jahrhunderte hinweg unveränderte Charakteristika und Darstellungsformen konserviert. Dazu gehören bei Nestroy die Mundart, die Gestik und bestimmte, durch historische Rollenprträts dokumentierte Posen, sowie die Couplets.
Seit rund fünfzig Jahren gibt es Versuche, Nestroy von seiner Aufführungspraxis zu befreien, ihn zu „entwienern“, zu entstauben und die verschüttete politische Dimension seiner Stücke freizulegen oder gar zu aktualisieren. Die meisten Ergebnisse erwiesen sich als machtlos gegenüber dem Beharrungsvermögen der Überlieferung und dem Konservatismus des Publikums. Jetzt hat Stephan Müller im Theater in der Josefstadt eine der meistgespielten Possen Nestroys, Einen Jux will er sich machen, angepackt, und er scheitert an Unentschlossenheit. Diese Inszenierung wagt weder einen Neuansatz, noch gelingt ihr eine historisch belegbare Rekonstruktion.
Den Handlungsdiener Weinberl, die von Nestroy selbst verkörperte Rolle, spielt Johannes Krisch, ein Wiener Publikumsliebling, der bisher dem Burgtheater-Ensemble angehört hat. Eine pointierte Auffassung der Rolle ist ihm nicht gegönnt. Dass er ein „verfluchter Kerl“ sein will, bleibt Behauptung. Und die Couplets, für die Thomas Arzt neue Texte unter seinem Niveau geschrieben hat, spricht er mehr als er sie singt.
Was den Dialekt angeht, redet ihn, ein wenig übertrieben, nur Elfriede Schüsseleder als die Wirtschafterin Gertrud. Nun könnte man das als Verlagerung zum Soziolekt verstehen, wenn diese Differenzierung bei allen Figuren durchgehalten würde. Wird sie aber nicht. Überhaupt findet die Aufführung zu keinem einheitlichen Stil. Martin Zauner wirkt als Hausknecht Melchior, der in das Wort „klassisch“ vernarrt ist, wie ein Imitat von Fritz Muliar, der in diesem Jahr seinen hundertsten Geburtstag gefeiert hätte, wenn er nicht vor zehn Jahren gestorben wäre. Die Damen sind eher grotesk angelegt, nur Fräulein von Blumenblatt, wieder Elfriede Schüsseleder, hockt marionettenhaft im für diese Szene eingeengten Bühnenraum.
Apropos Bühnenbild: den naiven Realismus früherer Nestroy-Inszenierungen wollte sich Sophie Lux nicht antun. Was ihr freilich, zumal für den ersten Akt und den Schluss, eingefallen ist, kann kaum als gelungene Alternative gelten. Ein geschlossener Raum aus schmutzig-braunen Quadraten, die sich nach Bedarf öffnen, tragen weder zur Deutung, noch zur Ästhetik etwas bei. Dagegen kommen auch die farbenfreudigen Kostüme der bewährten Birgit Hutter nicht an, und Röcke, die sich wie Jalousien hochziehen lassen, verlieren spätestens nach der dritten Wiederholung ihre Komik.
Eine vertane Chance. Das Premierenpublikum jubelte trotzdem. Es bestand, geschätzt, zur Hälfte aus Kollegen der Damen und Herren auf der Bühne.
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Einen Jux will er sich machen von Johann Nestroy am Theater in der Josefstadt | Foto (C) Rita Newman
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Thomas Rothschild - 11. Oktober 2019 ID 11740
EINEN JUX WILL ER SICH MACHEN (Theater in der Josefstadt, 10.10.2019)
Regie: Stephan Müller
Bühnenbild und Video: Sophie Lux
Kostüme: Birgit Hutter
Musik: Matthias Jakisic und Thomas Hojsa
Choreografie: Daniela Mühlbauer
Dramaturgie: Barbara Nowotny
Licht: Pepe Starman
Besetzung:
Zangler ... Robert Joseph Bartl
Marie ... Anna Laimanee
Weinberl ... Johannes Krisch
Christopherl ... Julian Valerio Rehrl
Kraps / Brunninger / Ein Lohnkutscher / Dritter Kellner ... Oliver Huether
Frau Gertrud / Fräulein von Blumenblatt ... Elfriede Schüsseleder
Melchior ... Martin Zauner
August Sonders ... Tobias Reinthaller
Hupfer / Philipp / Ein Wächter / Zweiter Kellner ... Paul Matic
Madame Knorr ... Martina Stilp
Frau von Fischer ... Alexandra Krismer
Lisette / Eine Hausmeisterin ... Therese Lohner
Rab / Erster Kellner ... Alexander Strömer
Thomas Hojsa (Akkordeon)
Matthias Jakisic (E-Geige)
Premiere war am 10. Oktober 2019.
Weitere Termine: 11., 16., 17., 19., 20.10. / 02., 03., 13., 27., 28.11. / 14.-17., 23., 25., 26., 30., 31.12.2019 // 01., 07., 16.-19.01. / 01.-04., 07.02. / 02., 14., 15., 30., 31.03. / 15., 18., 19.04. / 05., 08.05. / 09.06.2020
Weitere Infos siehe auch: https://www.josefstadt.org
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