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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Träume,

Isolation,

Zerbrechlichkeit



Christian Czeremnych und Birte Schrein (im Hintergrund) in Die Glasmenagerie am Theater Bonn | Foto (C) Thilo Beu

Bewertung:    



Wir bleiben zuhause, meiden Kontakte. Sind wir auch wirklich sicher in den eigenen vier Wänden? Was, wenn das einsame Leben im eigenen Haushalt unerträglich wird? Bricht man doch aus, vielleicht aus dem eigenen Elternhaus? Die drei Hauptdarsteller bewegen sich schon vor Spielbeginn in mehreren kleinen Wohnräumen auf der Bühne. Aus dem Off erklingen englischsprachige Radiostimmen, die sich über politische Machthaber echauffieren. Das Politische spielt hinein in das Private. Zu Beginn erscheint so Matthias Köhlers Inszenierung von Tennessee Williams Die Glasmenagerie (1945) erstaunlich aktuell. Neue Gesetzesregelungen aufgrund der Corona-Pandemie verursachen eine Schließung aller Theaterhäuser im November. Der kommende Lockdown löst in vielen Bundesländern Proteste auch seitens der Tourismus- und Gastronomiebranche aus. Bei Tennessee Williams war es noch der Zweite Weltkrieg, vor dessem Hintergrund er das Drama schrieb. Heute wird alles vor dem Hintergrund der weltweiten, aktuellen Gesundheitskrise betrachtet.

Amanda Wingfield (sehr ausdrucksstark: Birte Schrein) lebt mit ihren beiden Kindern Laura (Sandrine Zenner) und Tom (Christian Czeremnych) in einer beengten Wohnung. Der Vater der Kinder hat die Familie vor langer Zeit verlassen. Die Mutter lebt in ihren Träumen, schwärmt ihren Kindern fortwährend von ihrer Jugend mit vielen Verehrern vor. Amanda Wingfield geht von ihren Erinnerungen nahtlos über zu Zukunftserwartungen an ihre Kinder. Dabei hört sie sich in pausenlosen ratgebenden Tiraden vor allem gerne selbst reden. Birte Schrein spielt den komplexen Facettenreichtum dieser herrischen Figur gut aus: Amanda birgt auch eine große Zerbrechlichkeit in sich, die sie den Kindern, verbunden mit fehlender Empathie, vorlebt. Sie belastet ihre erwachsenen Kinder im recht tristen Alltag schwer, insbesondere indem sie von ihnen erwartet, beruflich erfolgreich zu sein. Tom, der die Miete für die gemeinsame Wohnung als Lagerarbeiter einbringt, soll beruflich weiter aufsteigen und nebenbei ein Aufbaustudium meistern. Auch Laura soll eine Arbeit finden oder eine gute Partie machen. Die beiden Kinder sind überfordert, einsam und fühlen sich unverstanden. Tom und Laura ist eine Distanzierung von der übergriffigen Mutter, die sie kaum aus den Augen lässt, schwer möglich. Sie hören sich stets die gleichen Tiraden an.

Wie ein Symbol für eine Abgrenzungsmöglichkeit wirkt ein breites, flaches, dunkel gehaltenes Wasserbecken, das die Bühne zum coronabedingt spärlich besetzten Zuschauerraum trennt. Tom und Laura begehen das Wasser, um von ihrer Mutter unbeobachtete Momente zu genießen. Auf Insistieren der Mutter lädt Tom einen Kollegen, Jim O’Connor (markant und lässig: Sören Wunderlich), zu sich nach Hause ein. Amanda erhofft sich eine gute Partie für ihre Tochter. Er kommt durch das Gewässer zum Haus. Später zeigt Laura Jim ihre Glasmenagerie auf dem Wasser. In Matthias Köhlers Produktion sind die Tiere der Glasmenagerie unscheinbare Lichtreflexe auf dem Wasser. Glas erscheint als Stoff für Lauras Träume sehr zerbrechlich. Ein gelungenes Bild: Ebenso schimmernd wie Glas spiegelt das Wasser ein klares Abbild der Bühne oder schimmernde Verzerrungen, wenn der Sohn oder Jim durchs Wasser zum Haus gehen oder es verlassen.

Neben der aufwendigen Kulisse überrascht die pausenlose Vorführung auch durch eine extravagante Staffage vom israelischen Bühnen- und Kostümbildner Ran Chai Bar-zvi. Beim Besuch Jims tragen so alle vier Darsteller weite, weiße Brautkleider. So wird auf bildlicher Ebene bewusst Amandas Hintergedanke einer möglichen Verkupplung ihrer Tochter übertrieben. Wer könnte hier wen freien? Objekt einer Brautwerbung könnten auch die Mutter oder der Sohn oder der betont selbstsicher auftretende Jim werden. Es kommt dann ja natürlich doch anders, als man denkt. Bereichert wird Matthias Köhlers sehenswerte und sorgfältig komponierte Inszenierung durch eine nuancierte Lichtregie (Licht: Ewa Górecki) und selten zu aufdringliche Ton- und Musik-Einspieler u. a. von verträumten Popsongs von CocoRosie oder Lana Del Rey (Musik: Philipp Pleßmann). Schade, dass gleich nach der Premiere die kommenden November-Vorstellungen aufgrund der gegebenen Umstände entfallen.



Die Glasmenagerie am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

Ansgar Skoda - 1. November 2020
ID 12571
DIE GLASMENAGERIE (Werkstatt, 29.10.2020)
Inszenierung: Matthias Köhler
Bühne und Kostüme: Ran Chai Bar-zvi
Musik: Philipp Pleßmann
Licht: Ewa Górecki
Dramaturgie: Carmen Wolfram
Besetzung:
Amanda Wingfield, die Mutter … Birte Schrein
Laura Wingfield, ihre Tochter … Sandrine Zenner
Tom Wingfield, ihr Sohn … Christian Czeremnych
Jim O Connor, ein netter junger Mann … Sören Wunderlich
Premiere am Theater Bonn: 29. Oktober 2020
(Voraussichtlich) weitere Termine: 03., 04., 18., 19., 22., 30.12.2020


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de


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