Action-painting,
dance and
sound
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Die Bakchen - Lasst uns tanzen im Cuvilliéstheater München | Foto (C) Danny Willems
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Bewertung:
Als der Vorhang des rot-goldenen, prächtig verschnörkelten Cuvilliéstheaters sich hebt, blickt man auf geometrische weiße Flächen, die sich zu einer riesigen weißen Wand erheben. Saubere, aber kalte Eisschollen inmitten von tiefer Schwärze. Größer könnte der Kontrast zur Münchner Rokoko-Bühne nicht sein. Absicht, sagt Regisseur Wim Vandekeybus. Und wir glauben's gerne.
Da sinkt von ganz oben kopfüber eine Gestalt herab und hinterlässt eine schmale dunkle Spur, aus der im Lauf des Abends ein großartiges Gemälde wird. Es ist der Actionpainter Vincent Glowinski, wohl der Star dieser ungewöhnlichen Aufführung. Und das trotz einer grandiosen Tanzperformance der Tanzcompanie Ultima Vez und bravourösen Schaupielleistungen.
In Brüssel hat Glowinski viele Jahre lang als Phantom namens Bonom Kunstwerke an Hausfassaden gemalt. Er hat also Routine. Aber es ist faszinierend, wie dieser Maler, der auch für die Bühne verantwortlich ist, das ganze Stück über an einem riesigen Tafelbild arbeitet. Mal mit der Faust, mal mit dem Pinsel, mal mit einer Rolle an einer langen Stange, halsbrecherisch auf den Kanten der Kulisse balancierend. Zunächst sind nur Fahrer und Flecken zu erkennen, dann ensteht Strich um Strich, Klecks um Klecks ein riesiges Szenarium ineinander verflochtener Figuren: Fratzen, Faune, Frauenleiber, ein steil aufgerichteter Phallus. Glowinski ist und schafft Dionysos, eine der vielen spannenden Verkörperungen des Gottes über alle Geschlechtergrenzen hinweg. Während die Bakchen sich zu Tode tanzen, werden die Figuren an Wänden und Flächen immer lebendiger.
Dionysos gegenüber steht der Thebaner-König Pentheus. Rein und weiß passt er zu seinem ausgezirkelten Bühnen-Ambiente. Er, der männliche Herrscher, will Ordnung und Vernunft, Sitte und Gesetz. Da passen keine Farben. In diese Welt bricht ein goldener Dionysos ein. Das ist ein gekränkter, verletzter Gott, zweitklassig auch auf dem göttlichen Olymp. Zurückgekehrt in seine Geburtsstadt Theben will er als Sohn des Zeus endlich anerkannt werden – und wird abgewiesen. Dafür rächt er sich. Er verführt die thebanischen Frauen hinauf auf den Berg des wilden Tanzes und der Orgien. Das fällt ihm nicht schwer. Denn diese Frauen sind ans Haus gekettet. Und ihnen fehlt viel in der Welt des Pentheus: auch die Freiheit des Rausches, der Emotion, des Irrationalen.
„Wir müssen die bleiben, die wir sind“, mit dieser Devise will der junge Pentheus Frieden bewahren – in kriegerischen Zeiten. So nicht, urteilen der blinde Seher Teiresias und Pentheus´ Großvater Kadmos. Die Politprofis der alten Garde wollen Dionysos nicht völlig ausschließen. Denn sie wissen, dass man einen Gott wie ihn nicht ungestraft leugnen kann. Das Volk will schließlich einen Dionysos haben, den Kult der Entgrenzung, der Übertretung aller Moral- und Alltagsregeln. Nur wenn die Aristokratie ihn zulässt, kann sie ihn beherrschen. Glaubt sie. Sogar Pentheus´ Mutter zieht es schließlich auf den Berg. Ihr allzu vernünftiger Sohn solle sich anschauen, wovor er Angst habe, meint sie. Aber er fürchtet sich zu Recht. Denn als er seiner Mutter am Ende gehorcht und sich als Frau verkleidet auf den Berg schleicht, wird er von ihr und den rasenden Bakchen in Stücke gerissen.
Die Bakchen des Euripides sind ein besonders düsteres, blutiges Stück. Die Orgie des Dionysos, vielfach missverstanden als fröhliches Hippie-Fest, schlägt rasch um in totale Zerstörungswut. Das ist auch in der Version von Wim Vandekeybus so: eine großartige Gesamt-Choreographie von Tanz, Klang und Malerei, die sich mit Hilfe des hochgetunten Elektrosounds von Multi-Instrumentalist Dijf Sanders immer mehr steigert. Dieser Dionysos ist von Anfang an alles zugleich: traumatisiertes Opfer, hehrer Heilsbringer, geiler Erlöser, rasender Rächer und narzisstischer Gott. Und er ist immer schon in all die Bakchen gefahren, die permanent über die Bühne jagen, schleudern, sich drehen, wälzen, übereinander herfallen, zwischen die Beine fassen – und dabei jede Menge Schmutz-Farbe abbekommen. Glowinski nimmt sich auch die Tänzer vor.
Worte sind hier fast überflüssig. Und so lässt Regisseur Vandekeybus den Text denn auch zurücktreten. Dem flämischen Textbearbeiter Peter Verhelst bleibt lediglich, Material zu liefern und mit Zitaten (etwa von Macchiavelli) anzureichern, ein Verfahren, das zuweilen ein wenig didaktisch wirkt. Aber Pentheus verdrießt eben auch mit seinem ausgestreckten Zeigefinger, den ihm Dionys am Schluss abbeißen lässt. Eindrucksvoll allerdings der Monolog von Agaue, Pentheus' Mutter. Sie spricht über ihre Hände, die – auch ihre - vor allem Arbeit verrichten mussten. Die Rechte der Frauen in der Antike waren gering.
Der Choreograf Wim Vandekeybus hat weder Tanz noch Regie studiert. Seine Stücke (wie beispielsweise What the Body Does Not Remember), allesamt ein furchtloser Mix aus Schauspiel, Musik, Film und Malerei, haben seit Jahren auf der ganzen Welt Erfolg. Und dies, obwohl er sagt, dass er kein Choreograf sei, dem das Machtausüben Spaß mache. Er ziehe es vor, Künstler mit starken Persönlichkeiten zusammen zu bringen und mal machen zu lassen. Ein Konzept, das auch in München bestens aufgegangen ist.
Der furiose Vincent Glogowski verpasste Vandekeybus denn auch mitten in den lebhaften Premierenbeifall hinein einen roten Klecks. Und er hat versprochen, bei jeder Aufführung ein neues Kunstwerk zu kreieren. Man darf also gespannt sein. Die nächsten „Premieren“ sind am 17., 27., 29., und 30. März
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Till Firit und Sylvana Krappatsch in Die Bakchen - Lasst uns tanzen im Cuvilliéstheater München | Foto (C) Danny Willems
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Petra Herrmann - 16. März 2019 ID 11282
DIE BAKCHEN - LASST UNS TANZEN (Cuvilliéstheater, 15.03.2019)
Regie + Choreographie: Wim Vandekeybus
Bühne: Vincent Glowinski + Wim Vandekeybus
Kostüme: Isabelle Lhoas
Musik + Komposition: Dijf Sanders
Licht: Georgij Belaga + Francis Gahide
Live-Musik: Dijf Sanders
Live-Malerei: Vincent Glowinski
Dramaturgie: Götz Leineweber
Mit: Borna Babic (Bakche / Dionysos), René Dumont (Teiresias), Till Firit (Pentheus), Vincent Glowinski (Dionysos), Zoe Gyssler (Bakche / Dionysos), Sylvana Krappatsch (Agaue), Horacio Macuacua (Bakche / Dionysos), Aymará Parola (Bakche / Dionysos), Wolfram Rupperti (Kadmos), Dijf Sanders (Semele) und Niklas Wetzel (Dionysos)
Premiere am Bayerischen Staatsschauspiel war am 15. März 2019.
Weitere Termine: 17., 27., 29., 30.03.2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.residenztheater.de
Post an Petra Herrmann
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