Boxen als
Metapher
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Der Lebenslauf des Boxers Samson-Körner am Berliner Ensemble | Foto (C) Matthias Horn
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Bewertung:
Der Dichter Bertolt Brecht hatte zum Sport ein durchaus ambivalentes Verhältnis. Man müsse ins Theater gehen wie zu einem Sportfest, verlangte der junge Brecht schon 1920. Für „mehr guten Sport“ war der Dichter immer zu haben. Allerdings entsprach das mehr einem momentanen Interesse, als dass Brecht sich sein ganzes Leben über selbst irgendwelchen Leibesübungen hingegeben hätte. Zur Stärkung des Geistes hielt er sportliche Betätigung sogar eher für abträglich. Er schimpfte über Leute, die aus dem Sport eine „hygienische Bewegung“ oder gar eine Art „Kunst“ machen wollten.
Brecht war an der rauen Körperlichkeit des Kampfes interessiert und zog vom sportlichen Zweikampf zweier Kontrahenten Parallelen zum Durchboxen im wirklichen Leben. „Ein Boxer, der seinen Gegner nicht niederschlagen kann, hat ihn natürlich nicht besiegt.“ Brecht sah im Boxen also eine Art von Klassenkampf. Die Nähe zu diesen modernen Großstadt-Helden der 1920er Jahre suchte Brecht nicht nur allein. Auch andere Künstler widmeten sich damals diesem neuen Massenphänomen.
Auch heute sind Sport, Kampf, Kunst und Spiel eng miteinander verbunden. Wobei dazu noch der Kommerz kommt und so mancher Fußballer utopische Jahresgagen kassiert. Das Publikum geriert sich hier wie dort beim Mitfiebern oft als wahre Regel-Experten, was Brecht allerdings schon damals verurteilte. „Im Boxsport äußert sich diese sportsfeindliche Tendenz in der Propagierung des Punktverfahrens.“ monierte der Verfechter des „natürlichen naiven und volkstümlichen Boxsports“ und agitierte gegen einen vernünftigen, feinen und gesellschaftsfähigen Sport. Als Inbegriff eines sich nach oben boxenden Typs Mensch sah er den Boxer Paul Samson-Körner, den er 1924 kennenlernte und in Folge gemeinsam mit Elisabeth Hauptmann eine Interview-Biografie des Boxmeisters begann.
Leider blieb dieses Vorhaben wie so vieles bei Brecht Fragment. Der sogenannte Lebenslauf des Boxers Samson-Körner. Erzählt von ihm selber, aufgeschrieben von Bertolt Brecht bricht unvermittelt gerade da ab, wo es spannend wird und Körner endlich zum Boxen kommt. Wichtige Arbeiten am Theater hielten Brecht von einer Fortsetzung der Erzählung ab, und auch die Karriere des bereits 40jährigen Samson-Körner fand nach seiner Meisterschaftsniederlage nach Punkten gegen den bekannten Schwergewichtsweltmeister Hans Breitensträter 1925 ihr eher unrühmliches Ende.
Während Samson-Körner mehr oder weniger in Vergessenheit geraten ist, erfreut sich Bertolt Brecht in jüngster Zeit auf deutschen Bühnen wieder größerer Beliebtheit. Auch das Berliner Ensemble unter Oliver Reese kommt am Hausheiligen des Theaters am Schiffbauer Damm nicht vorbei. Nach Michael Thalheimers blutiger Inszenierung des Kreisdeskreis am Großen Haus hat sich Nachwuchsregisseur Dennis Krauss (Regieassistent u.a. bei Kay Voges, Falk Richter, Ulrich Rasche und Michael Thalheimer) nun das vorgenannte Prosa-Fragment Brechts für seine Inszenierung am Kleinen Haus vorgenommen. Eine One-Man-Show für den Schauspieler Oliver Kraushaar als Paul Samson-Körner und ein Fortsetzung der vor einem Jahr am neuen BE begonnen Ein-Personen-Stück-Tradition.
Oliver Kraushaar mimt den sein Leben resümierenden Boxer zunächst in Unterhosen vor einem großen Lichtkreis sitzend, als käme er gerade von einem Boxkampf in seine Garderobe zurück. Beleuchtet wird die Jugend Samson Körners, der sich aus den ärmlichen Verhältnissen des Elternhauses in Zwickau bereits als 13jähiriger verabschiedet und nach weiteren Stationen in der thüringischen Provinz, der Lehre zum Elektrotechniker lieber die Seefahrt vorzieht. Per „Tippeltour“ geht es nach Hamburg und als blinder Passagier schließlich über Rotterdam nach Cardiff, wo der junge Körner immer wieder zunächst vergeblich Versuche nach London zu kommen unternimmt, sein Ziel letztendlich aber erst über den großen Umweg über Alexandria erreicht.
Im rauen aber sachlichen Ton ist das von Brecht geschrieben. So sachlich wie Samson-Körner nach Brechts Einschätzung boxte. Dennoch ist da auch ein leicht ironischer Unterton, der die Erlebnisse des jungen Ausreißers nicht ohne Witz darstellen. Hier hat jemand seine Lektion fürs Leben gelernt, „daß, jedes Ding, wenn man es genauer betrachtet, seine zwei Seiten hat“. Jede Niederlage bringt den jungen Mann auch irgendwie weiter, bei jedem vermeintlichen Sieg, wird am Ende doch draufgezahlt. Mal wird der Naivling von einem Rummelboxer nach Strich und Faden verprügelt, was ihm die Sympathie eines jungen Mädchens einbringt. Dann verliert Körner sein ganzes Habe und den ersten echten Kampf gegen einen Mann, der auf seine Stunde warten kann. Der Schiffskoch Brown erteilt dem jungen Wilden so seine erste Lektion. Ausgeknockt nach Punkten könnte man sagen.
Recht schnoddrig und schnell wird das von Oliver Kraushaar vorgetragen, dabei zieht sich der Schauspieler langsam an. Aus dem zunächst halb nackten Menschen wird so der später im feinen Anzug posierende Boxstar. Brechts Fragment schmückt Kraushaar mit dessen Reflexionen über den Sport im Allgemeinen und das Boxen im Speziellen aus. Dabei arbeitet sich der junge Regisseur etwas zu brav am Boxen als Metapher für das Leben ab. Der Kampfsport ist bei Brecht aber mehr als bloße Lebensphilosophie. Ein „Theater der Raucher und des Schweiß“, wie es Brecht vorschwebte, wird der sparsame Abend dann eher nicht. Zu disparat verhalten sich auch die einzelnen Textzitate zum Fragment, zu dem noch am besten die bekannte Brechterzählung Der Kinnhaken passt. Ein Boxer geht k.o., weil er sich nicht verzeihen kann, einem Gelüst folgend Stunden vor dem Kampf ein Bier zu trinken und es dann doch nicht tut. „Vorsicht ist die Mutter des k.o.“ Auch Krauss riskiert hier bei seiner ersten Inszenierung zu wenig. Boxen kann man, wie es einmal heißt, nicht spielen. Und das sieht dann hier auch eher wie ein einfacher, etwas knapper Punktsieg aus.
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Der Lebenslauf des Boxers Samson-Körner am Berliner Ensemble | Foto (C) Matthias Horn
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Stefan Bock - 4. November 2018 ID 11016
DER LEBENSLAUF DES BOXERS SAMSON-KÖRNER (Kleines Haus, 01.11.2018)
Regie: Dennis Krauss
Bühne/Kostüme: Johanna Meyer
Musik: Robin Paul Braum
Dramaturgie: Valerie Göhring
Licht: Benjamin Schwigon
Mit: Oliver Kraushaar als Paul Samson-Körner
Premiere am Berliner Ensemble: 1. November 2018
Weitere Termine: 03., 04., 19.11 / 08., 12., 13.12.2018 // 01.01.2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-ensemble.de/
Post an Stefan Bock
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