Extrem-
Performance
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A Divine Comedy von Florentina Holzinger | Foto (C) Nicole M Wytyczak
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Bewertung:
Von der viel beachteten ersten Spielzeit Barbara Freys als neue Intendantin der RUHRTRIENNALE kommt jetzt wenigstens eine Produktion als Gastspiel nach Berlin. René Pollesch, selbst neuer Intendant an der gerade wiedereröffneten Volksbühne, hat sich den Auftritt der Wiener Extrem-Choreografin Florentina Holzinger gesichert. Die Zusammenarbeit mit der Volksbühne war bereits länger angekündigt. Seit ihrer furiosen Performance Tanz, die kurz vor der Corona-Pandemie noch in den Berliner Sophiensaelen gastierte und zum ersten virtuellen THEATERTREFFEN 2020 eingeladen wurde, ist Holzinger sehr gefragt.
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Nun hat sich die Choreografin passend zum Dante-Jahr den wohl bekanntesten Text des italienischen Nationaldichters für eine weitere rein weibliche Extrem-Performance ausgesucht. In der Göttlichen Komödie (Divina Commedia) taucht Dante bei seiner Durchquerung der drei Reiche der jenseitigen Welt in die neun Höllenkreise ein und durchquert auch das Fegefeuer bis hinauf zum Paradies. „Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren.“ heißt es da zu Beginn. Hier lässt nur eine Dante-Performerin einen fahren, werden Statisten hypnotisiert und geht auch sonst wieder die Luzie, nicht der Luzifer ab.
Holzinger wählt für ihre Performance den englischen Titel A Divine Comedy. Es werden hier aber keine Jenseitsreiche durch-, sondern höchsten die Grenzen des geltenden Geschmacks überschritten, und das ganz bewusst und gezielt. Körperliche und Schmerzgrenzen natürlich auch, das kennt man schon aus Tanz. An Tod und Jenseits erinnern nur die auf den Rücken der Performerinnen geschnallten Skelette (Gleiches hatten wir ja gerade erst bei René Pollesch gesehen). Es vollzieht sich ein Tänzchen zu Techno-Live-Musik von Maja Osojnik. Wenn das der erste Höllenkreis sein soll, ist es bestens gelungen.
Über das Häuten und Ausstopfen von Ratten könnte man vielleicht ins Grübeln kommen, ansonsten geht, was Frau gefällt. 22 nackte Performerinnen üben sich im Hürdenlauf, im Holzhacken oder einem farbmächtigen Rausch aus Action- und Body-Painting. Es hängen zwei Autos und ein Klavier samt Pianistin vom Schnürboden und heilige Scheiße gibt es auch noch. Im einzigen nennenswerten Textbeitrag erzählt die 80jährige Tänzerin Beatrice Cordua aus ihrer Zeit im Ballett-Ensemble von John Neumeier, wo sie im Ballett Le sacre du printemps getanzt hat. Sie sagt, als Tänzerin stirbt man zweimal, erst wenn die Karriere vorbei ist und dann, wenn man wirklich stirbt. Dantes Jugendliebe Beatrice tritt hier nicht als jugendlicher Engel auf, sondern als eine vom Leben und von der Arbeit an der Kunst gezeichnete Frau. Sie hat Parkinson und fährt in einem Elektro Caddy. Später erlebt sie einen göttlichen Koitus, dessen Höhepunkt man tatsächlich als verzückten Übertritt in andere Sphären verstehen könnte.
Alles, was Spaß macht, ist bekanntlich Sünde, die in der Kunstgeschichte meist noch durch aufreizende Weiblichkeit symbolisiert wird. Auch Dantes Göttliche Komödie hat über die Jahrhunderte vor allem männliche Künstler zu verschiedensten Bildwerken inspiriert. Nun setzt Holzinger den weiblichen Körper auch als selbstbestimmten Kraftquell in Szene. Auf dem Programmzettel steht ein großes BeraterInnen-Team aus Kultur-, Tanz- und Literaturwissenschaft, Medizin, Psychologie sowie Sterbe- und Bestattungsbranche. Diese wissenschaftliche Beglaubigung hätte die fröhliche Nummernrevue gar nicht unbedingt nötig, auch wenn hier aus Kunsthistorie, Popkultur, Literatur, Philosophie und Sterbekulten geschöpft wird. Mit Dantes Jenseits-Visionen hat das alles eher wenig zu tun. Der wird am Ende von zwei riesigen Skeletten verfolgt. Eine etwas alberne Rahmenhandlung, in der auch ein Dixi-Klo den Eingang zur Unterwelt markiert. Und die Hypnotiseurin vom Anfang wünscht uns am Ende Love and Peace.
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A Divine Comedy von Florentina Holzinger | Foto (C) Nicole M Wytyczak
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Stefan Bock - 24. September 2021 ID 13165
A DIVINE COMEDY (Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 23.09.2021)
Regie: Florentina Holzinger
Komposition / Sound: Maja Osojnik und Stefan Schneider
Bühne: Nikola Knezevic
Licht: Anne Meeussen und Max Kraußmüller
Video: Noam Gorbat
Dramaturgie: Renée Copraij, Sara Ostertag und Sara Abbasi
Produktionsleitung: Ricardo Frayha
Performance/ Choreografie: Foxxy Angel, Amanda Bailey, Linda Blomqvist, Renée Copraij, Beatrice Cordua, Paige A. Flash, Alba Gentili-Tedeschi, Noam Gorbat, Ria Higler, Florentina Holzinger, Susanne Jablonski, Steffi Laier, Annina Machaz, Courtney May Robertson, Audrey Merilus, Xana Novais, Maja Osojnik, Bärbel Schwarz, Anna Tierney, Linnéa Tullius, Miranda van Kuilenburg und Isabelle Volckaert
Premiere bei der RUHRTRIENNALE war am 19. August 2021.
Weitere Berlin-Termine: 24.09. / 08., 09.10.2021
Weitere Infos siehe auch: https://www.volksbuehne.berlin
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