Die pop-
feministische
Austreibung
des Hodenclubs
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Die Hand ist ein einsamer Jäger an der Volksbühne Berlin | Foto (C) Vincenzo Laera
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Bewertung:
Gerade eben lief die für Einige, die nicht an die Prophezeiungen der Berliner Presse glauben mochten, doch recht überraschende Kür von René Pollesch zum neuen Intendanten der Volksbühne. Er wird in zwei Jahren antreten als großes Heilsversprechen, als Garant für Kontinuität, aber auch als Erneuerer eines Autorentheaters, das die Regiegötter abschaffen wollen zu Gunsten eines schauspielerischen Teamworks. Bis dahin hat Kultursenator Klaus Lederer den nach der Entlassung Chris Dercons interimsmäßig leitenden Geschäftsführer Klaus Dörr zum Intendanten auf Zeit ernannt. In den zwei Jahren bis zur Übernahme durch Pollesch steht ihm ein junges Team um den isländischen Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson als Schauspieldirektor und Lucia Bihler als Hausregisseurin zu Seite. Was Dörr noch selbst verantwortet hat, ist momentan mit Stefan Puchers Inszenierung von Frank Wedekinds Lulu und der Uraufführung eines Stücks von Katja Brunner in der Regie von Pinar Karabulut im 3. Stock zu sehen. In beiden Stück-Inszenierungen werden mal mehr und mal weniger gut aktuelle feministische Debatten verhandelt.
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Brunners Stück heißt Die Hand ist ein einsamer Jäger, wobei hier gleich zu Beginn klar wird, dass diese jagende Hand gar nicht so einsam ist, eher das sie verfolgende Wild, das wie in Wedekinds Lulu weiblichen Geschlechts ist und in einer Discoszene die nicht eingeladene Hand eines der männlichen Jäger in ihrer Hose fühlt. Zuvor wird jedoch noch die Göttin der Vulva in einem Spiegelschrein angebetet, die später noch Hostien und Absolution verteilen wird. Doch bevor es irgendwann am Ende des Abends „Tschüss Mann“ heißt, geht Frau hier buchstäblich durch die Hölle der patriarchalen Unterdrückung, die von ihr ständige Verfügbarkeit, Reduktion auf den Körper und die Anpassung an die Mutterrolle verlangt. Dass das nicht ganz ohne Ironie vonstattengeht, versteht sich fast schon von selbst. Brunners Stück kommt dabei als moderne Textfläche ohne Rollenzuschreibung daher, weswegen die fünf DarstellerInnen Elmira Bahrami, Malick Bauer, Paula Kober, Skye MacDonald und Linda Vaher auch in fast identischen Tennisoutfits mit Langhaarperücken auftreten.
Zum Beispiel als Chor der Bulimikerinnen, der sich nicht nur über sich selbst auskotzt, sondern auch auf Vater, Mutter und Fußballweltmeistermannschaft. Ein „orales Ausschaffungsritual“, das textlich von den Anleitungen zur Weiblichkeit über fast schön religiöse Mütterbilder bis zur Frau als Gefälligkeitsroboter reicht. „Sei ein gutes Mädchen, sei ein Hungermädchen“ singt der Chor. Das Kotzen als Geste der Autonomie, die Frau als „gestopfter Hort spärlichen Wissens“. Der Text beschönigt nichts, da steht dann jeder Stern dort droben am Himmelszelt für eine in der Ehe geschlagene Frau. Aber auch der „Hodenclub“ bekommt was auf die „Eierchen“, die Frau hier gern kochend in der Sonne auf dem Dach sehen will. Da wird dann auch schon mal gekalauert, als sei es ein Stück von Elfriede Jelinek. Recht dynamisch-rhythmisch hechelt die Inszenierung dabei dem Text hinterher. Was mal mehr und mal weniger zwingende Bilder schafft, aber immer wie eine pop-musikalische Sportveranstaltung wirkt, auf der auch auf Gymnastikbällen gehüpft wird.
Ein körperbetontes Sportstück halt mit Sicht auf die sich stetig bemühende Frau, die gerade erst in Geburtswehen zur Welt gebracht und auf die Beine gestellt, sich am Ende doch nur bei all denen bedankt, die ihr beigebracht haben, nicht nein zu sagen. Der Stachel der Minderwertigkeit sitzt tief. Die Befreiung kommt dafür umso heftiger. Das Misozooikum, Zeitalter der Alpha-Äffchen, wird ausgeläutet. Mit Pop-Feminismus gegen die alten Silberrücken. Als Einstand und Vorgeschmack auf die nächsten zwei Jahre reicht das durchaus. Nun muss das große Haus entsprechend nachziehen.
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Die Hand ist ein einsamer Jäger an der Volksbühne Berlin | Foto (C) Vincenzo Laera
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Stefan Bock - 17. Juni 2019 ID 11505
DIE HAND IST EIN EINSAMER JÄGER (3. Stock, 13.06.2019)
Regie: Pinar Karabulut
Bühne: Franziska Harm
Kostüme: Johanna Stenzel
Musik: Daniel Murena
Licht: Denise Potratz
Dramaturgie: Degna Martens und Hannah Schünemann
Mit: Elmira Bahrami, Malick Bauer, Paula Kober, Skye MacDonald und Linda Vaher
Uraufführung an der Volksbühne Berlin: 23. Mai 2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.volksbuehne.berlin/
Post an Stefan Bock
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