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Fight Club am Theater der Keller | Foto © MEYER ORIGINALS

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„Schlag mich, so hart du kannst!“ Es gibt sie noch, die Oasen, wo männliche Härte gefeiert wird. Hier geht es um den wütend strotzenden Lebenssinn oder –unsinn. Schon in antiken Arenen maßen Männer im Zweikampf ihre Stärke. Der US-amerikanische Schriftsteller Chuck Palahniuk, geboren 1962, löste mit seinem provokativen Debütroman Fight Club (1996) einen wahren Hype aus. Seine Vorlage über heimliche Untergrundkämpfe sinnsuchender Männer um die dreißig fand nicht nur in den USA reale Nachahmer.

Auf die Idee zu seinem Debüt kam er nach eigener Aussage selbst nach einer Klopperei. Er wurde auf der Arbeit nicht nach seinem blauen Auge gefragt. Bald dachte er sich eine Kurzgeschichte aus, in der er die Akzeptanz roher Gewalt unter Männern weiterführte. Schließlich sammelte er Material für einen Roman. Viele seiner Freunde wussten auch allerlei Zwielichtiges beizusteuern. So liebte einer es, kurzzeitige Porno-Szenen in Familienfilme hineinzuschneiden. Chuck Palahniuks Geschichte über destruktive Energien, Aggressionen und heimliche Männerbünde wurde 1999 von David Fincher verfilmt, starbesetzt mit Brad Pitt, Edward Norton und Helena Bonham Carter in den Hauptrollen. Intendant Heinz Simon Keller inszeniert nun im Theater der Keller eine gekürzte Fassung der Vorlage. Kampfszenen werden dabei gekonnt in choreographische Tanzsequenzen übersetzt.

Keller zeichnet sich auch für das kalte und requisitenlose Bühnenbild in der Werkshalle der Tanzmanufaktur verantwortlich. Laute Rhythmen beben zu Beginn. An die Wand werden dazu großformatig Textzeilen projiziert (Video: Alina Böhmer). Worte in Fettbuchstaben überlagern sich in Sekundenschnelle. Bald hebt sich die Textzeile ab: „In der Wirklichkeit geht es nur um eins - Marla Singer.“ Tim-Fabian Hoffmann tritt als unter Schlaflosigkeit leidender, attraktiver, suchender Hauptprotagonist hervor. Die vier übrigen Darsteller positionieren sich direkt hinter ihm und bewegen ihre Hände im Rhythmus der Beats vor und über seinem Körper. So erscheinen alle fünf wie eine einzige bewegliche und übergriffige Masse. Es kündigt sich an, dass der Einzelne in der Macht der Gemeinschaft auf- und untergehen kann. Bald lässt sich Hoffmann vornüber fallen. Alle anderen folgen ihm nach. Auch im weiteren Stückverlauf wird es immer um das Eskalieren und plötzliche Abstürzen gehen.

Karen Dahmen erhebt sich als erste unter den am Boden liegenden. Sie mimt ausdrucksstark die verwahrloste, desorientierte, vulgäre und fordernde Marla Singer. Sie erzählt eingangs von den diversen Vorlieben ihrer abgelegten Ex-Freunde. Keiner ihrer Ex-Männer vermochte es, ihre destruktiven Energien vollends zu befriedigen. Später wird sie in einer starken Szene kraftvoll singen, bevor ihre Stimme von krachenden Beats übertönt wird. Sie ist süchtig nach Selbsthilfegruppen für Sterbenskranke, ebenso wie der namenlos bleibende Hauptprotagonist. Sie erklärt ihm: „Wenn Menschen denken, dass du stirbst, hören sie dir richtig zu.“ Weil beide erkennen, dass sie nicht sterbenskrank sind und die Sozialangebote bloß ausnutzen, geraten sie aneinander. Erst als Hoffmanns Figur dem charismatischen Tyler Durden (Jean-Luc Bubert) begegnet, findet er einen anderen Weg, sich vital und lebendig zu fühlen. Tyler rät ihm dazu, alles zu verlieren und die mögliche Krise und das Wissen um die eigene Sterblichkeit zu lieben. Bald erklärt die Hauptfigur gar, Selbstzerstörung sei die neue Selbstoptimierung.

Eine stilisierte und inszenierte Kampfbereitschaft wird gepflegt. Emmanuel Edoror und Adrián Castelló in der Rolle von Fight Club-Anhängern umtanzen die Protagonisten sehenswert expressiv mit Saltos und kampfkunstähnlichen Darbietungen. Gemeinsam rufen alle männlichen Darsteller die Regeln des neugegründeten Fight Clubs aus, von denen Geheimhaltung und das gegenseitige Vertrauen oberste Priorität haben. Doch das Aufgehen, Angesehen- und Wahrgenommenwerden in der gewaltbereiten Gemeinschaft hat auch seine Schattenseiten. Es fällt schwer dauerhaft stolz auf neue Narben und plötzlich locker sitzende Zähne zu sein. Wenn man ganz unten ankommen möchte, steht man oft nicht mehr nur im eigenen Saft oder Schatten, sondern könnte auch zum Werkzeug eines oder mehrerer anderer werden.

Der Konflikt, in den die Hauptfigur gerät, muss eskalieren und der Ausruf „wir flippen gleich aus“ bleibt nicht unbeantwortet. Schließlich wird großformatig an die Bühnenwand der Satz projiziert: „Sich Federn in den Arsch zu schieben, macht dich nicht zum Hahn.“

*

Obwohl Palahniuk in Fight Club Riten destruktiver Männlichkeit subtil auch kritisiert, verherrlicht er sie zugleich in gewisser Weise. Der Erfolg des Stoffes in den USA steht symptomatisch für ein Land, in dem ein Egoman wie Donald Trump Präsident werden konnte. Ein Typus also, der zuvor in allen möglichen Hollywood-Inszenierungen vorgeführt wurde, wird dann zur politischen Realität gewählt. Heinz Simon Keller schafft es (ähnlich wie Charlotte Sprenger am gleichen Haus mit Clockwork Orange) der brutale Männlichkeitsriten zu sehr verherrlichenden Vorlage neue Aspekte abzugewinnen, durch starke Bilder, eine gewisse Homoerotik und auch eine choreographisch höchst ausdrucksstarke Ästhetik.



Fight Club am Theater der Keller | Foto © MEYER ORIGINALS

Ansgar Skoda - 2. Februar 2020
ID 11974
FIGHT CLUB (Theater der Keller, 31.01.2020)
Regie|Bühne: Heinz Simon Keller
Kostüme: Rene Neumann
Video: Alina Böhmer
Textmitarbeit: Caroline Schilling
Musik: Frank Schulte
Mit: Jean-Luc Bubert, Adrián Castelló, Karen Dahmen, Emmanuel Edoror und Tim-Fabian Hoffmann
Premiere war am 31. Januar 2020.
Weitere Termine: 14., 15.02. / 13., 14., 27., 28.03. / 10., 11.04.2020


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-der-keller.de


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